Zwischen Amélie und Armageddon: „Paul und Paula“ kamen vor 50 Jahren ins Kino
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Schon 50 Jahre ist es her: Angelica Domröse und Winfried Glatzeder in „Die Legende von Paul und Paula".
© Quelle: Manfred Damm/dpa
Potsdam. Der letzte Satz des Filmes wirft ein schwarzes Tuch über die Liebe, die Küsse und die Tänze, die 105 Minuten lang gefeiert wurden: „Paula hat die Geburt ihres dritten Kindes nicht überlebt“, sagt der Sprecher, als begrabe er mit diesen Worten keine Frau, sondern verlese das Wetter. Dieses letzte Kind, an dem sie stirbt, ist ihr erstes mit Paul, dem Mann, den sie am Ende vielleicht wirklich liebt. Die DDR hat wiederum den Film nicht überlebt, der vor präzise 50 Jahren, am 29. März 1973, im „Kosmos“-Kino von Berlin-Friedrichshain Premiere feierte. Das Stück von Heiner Carow war kein Aufbruch, eher ein Requiem. Es war zu klug, fast schon zu gierig, um das Glück in Trippelschritten – oder sagen wir: Fünfjahresplänen – zu suchen.
Der Sprung in die Moderne wollte einfach nicht gelingen in der DDR, da konnten sie in „Paul und Paula“ noch so viele Altbauten abreißen. Wenn er zur Arbeit ging, trug Paul, gespielt von Winfried Glatzeder, ein Honecker-Hütchen. Wenn er feierte, liebte und ganz Mann war, nahm er das Hütchen ab. Und wirkte wie Alain Delon. Paula aber, gespielt von Angelica Domröse, war keine Romy Schneider, nicht so weltläufig und nicht so intellektuell. Sondern eine Frau, zerrissener noch als die DDR, die 1973 glaubte, alles würde gut. Mitte der 70er, das waren Blütejahre, bei der WM 1974 schlug man die BRD in West-Deutschland.
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Doch dann begann der Abstieg, von dem auch dieser Film erzählt, in weiser Ahnung. Angela Merkel hat gesagt, es sei ihr Lieblingsfilm. Er hat den Zauber von „Amélie“ und den dunklen Bass von „Armageddon“. Dass er beides vereint, macht ihn zum Meisterwerk einer Moderne, nach der die Politik der SED sich so gesehnt hat, doch dort nie ankam.
Im Westen tobte Rainer Werner Fassbinder in diesen Jahren als ein Regisseur und als Rebell, er rangelte mit dem System, mit einer feisten, selbstverliebten Marktwirtschaft, er schikanierte Schauspieler, vor allem Schauspielerinnen. Im Osten tat Heiner Carow so, als drehe er einen Liebesfilm. Doch schon der Titel birgt die Einsicht, dass alles nur erfunden war: „Die Legende von Paul und Paula“ ist ein schönes Märchen, das Wort „Legende“ steht von der Bedeutung her nur eine Handbreit vor der „Lüge“.
Die „Paul und Paula“-Schauspieler gingen bald in den Westen
Auch wenn im Westen vieles nicht in der Balance war, nicht nur am Set von Rainer Werner Fassbinder, sondern mental im ganzen Land, gingen die DDR-Stars Domröse und Glatzeder bald in die Bundesrepublik. Für beide brachte dieser Film den Durchbruch. Sie kannten sich vom Theater, spielten regelmäßig an der Berliner Volksbühne. Beide hatten ein gespaltenes Verhältnis zur DDR, das nach Biermanns Ausbürgerung im Jahre 1976 nicht mehr zu kitten war. Domröse siedelte 1980 mit ihrem Ehemann, dem Schauspieler Hilmar Thate, in den Westen. Glatzeder wanderte nach mehreren Ausreiseanträgen 1982 mit Frau und zwei Söhnen aus. Ihr Film, den in der DDR drei Millionen Zuschauer sahen, wurde fortan verbannt. Und kam erst 1993, nach der Wende, wieder in die Kinos. In der Rummelsburger Bucht, wo damals unter anderem gedreht wurde (vor allem entstand der Film aber in den Studios von Potsdam-Babelsberg), stehen heute Luxuswohnungen.
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„Die Legende von Paul und Paula“ ist einer der erfolgreichsten Spielfilme aus der DDR. Er entstand im Defa-Studio für Spielfilme, Herstellungsgruppe Berlin, dem heutigen Studio Babelsberg. Regie führte Heiner Carow nach dem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf. Premiere feierte der Film am 29. März 1973 im Berliner „Kosmos“-Kino, einen Tag später lief der Film in den anderen Kinos des Landes. Ingesamt kam er zu DDR-Zeiten auf etwa drei Millionen Besucher. Ursprünglich drohte ein Aufführungsverbot, bis Erich Honecker persönlich die Freigabe erteilte, da er in „Paul und Paula“ einen Film speziell für junge Menschen sah. Der Film verhalf den Puhdys zum endgültigen Durchbruch. Die Texte der von Peter Gotthardt komponierten Filmsongs „Geh zu ihr“ und „Wenn ein Mensch lebt“ stammen von Ulrich Plenzdorf, unter Verwendung von Versen aus dem Alten Testament. Was verbindet Sie mit „Paul und Paula“? Schreiben Sie es uns an leserbriefe@maz-online.de.
Auf den ersten Blick scheint dieser Film noch immer heutig und modern zu sein, im besten Sinne undressiert: Glatzeders Paul ein verheirateter Familienvater, Domröses Paula eine alleinerziehende Mutter – zunächst wirkt diese Liebe aussichtslos. Ein Paar, das nicht zusammenkommt. Bis sich Paul Zutritt verschafft mit einer Axt, er stürmt den morschen Altbau, zerschlägt die Wohnungstür. Kein Problem für ihn, den Ingenieur der neuen Plattenbauten, im Film noch unfertig und unbegrünt wie die gescheiterten Visionen eines Aufbruchs. Paula schreit „Nein!“, als Paul in ihre Wohnung stürmt, doch dann ergibt sie sich, halb aus Liebe. Und halb aus Einsicht, dass der Mann am Ende stärker ist als sie. Man muss nicht mal im Geiste von „MeToo“ des 21. Jahrhunderts auf die Bilder blicken, um zu schlucken. Wir sehen eine Vergewaltigung, die poetisch aufgelöst wird. Falls so etwas möglich ist.
Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass all die Beat-Musik des Anfangs, die kurzen Kleider und die Karussells, mit denen uns der Film in dieses komplizierte Land entführt, komplett an Schwung verlieren. Und dass die Liebe zwischen Paul und Paula, aber auch die Liebe zwischen Land und Leuten, nicht funktioniert.
Nicht nur Paula ist tot, sondern das ganze Land
Das ist dunkler Existenzialismus, wie wir ihn sonst aus Frankreich kennen, damals in den 70ern als später Ausläufer der Nouvelle Vague, diesem fatalistisch eingefärbten Kino: Mann und Frau, das wird nichts. Liebe und Politik, das wird erst recht nichts! Mit dem Unterschied, dass es in Filmen aus Frankreich immer im Café zum Showdown kam, bei „Paul und Paula“ aber in der Kaufhalle. Paula war eine Königin der Arbeiterklasse, sie hat das Pfandgeld und die Kasse verwaltet. In Frankreich behauptet der Existenzialismus bloß das Scheitern, in der DDR aber wurde es exekutiert. Nicht nur Paula ist tot, sondern das ganze Land.
Weshalb wird dieser Film bis heute geliebt? Weil er schöner, ehrlicher, verrückter ist, als es die DDR je war. Er ist die „Rocky Horror Picture Show“ des Sozialismus. Ohne Konfetti, doch mit Jahrmarktsluft. Der Jahrmarkt ist das geistige Zentrum dieses Stückes. Er duftet nach Zuckerwatte, nicht nach Marx-Engels-Gesamtausgabe. Wenn es dort Gewehre gibt, dann an der Schießbude. Nicht an der innerdeutschen Grenze.
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Die Puhdys packten den Abgesang aufs Land in einen Song, leicht wie ein Gedicht und unergründlich schlau: „Weckt sie nicht, bis sie sich regt, / Ich habe mich in ihren Schatten gelegt“. Ulrich Plenzdorf schrieb die Zeilen, er verfasste auch das Drehbuch. Das Lied „Wenn ein Mensch lebt“ steht ganz am Anfang, als Ballade für den Altbau, der gesprengt wird. Die Puhdys bieten einen letzten Ausweg: Wer partout nicht glauben will, dass hier ein Land durch einen Film erschüttert wird, dem gibt das Lied die Möglichkeit, sich einzureden, alles sei nur leichte Unterhaltung im 4/4-Takt. Die anderen wissen: Das Land liegt im Sterben, bevor der Film erwachsen wird und geradestehen kann für alles, was er sagt, denkt und singt. 16 Jahre brauchte es von der Filmpremiere bis zur Maueröffnung.
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