Theater

Poetenpack spielt „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann

Marianna Linden und  Peter Wagner in „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann in der Poetenpack-Inszenierung.

Marianna Linden und Peter Wagner in „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann in der Poetenpack-Inszenierung.

Potsdam. DDR-Plattenbaugebiete, heißt es heute immer wieder, seien besser als ihr Ruf. Doch es dauerte teilweise Jahrzehnte, bis sich in den Schlafstädten auch soziales Leben entfalten konnte. In den Ansammlungen von „Arbeiterschließfächern“ an der Peripherie vom Bombenkrieg gezeichneter Städte entstanden mitunter erst nach der Wende Einkaufszentren und Ärztehäuser, Stadtteilzentren und Jugendklubs.

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Brigitte Reimann zog 1960 voller Optimismus nach Hoyerswerda. Sie wollte als Schriftstellerin im Sinne des Bitterfelder Weges bezeugen, wie auf der sozialistischen Großbaustelle eine bessere Welt entsteht. Sie glaubte an den „neuen Menschen“ und an ein gesellschaftliches Leben, das nicht vom Kapitalismus deformiert wird. Mehr als zehn Jahre schrieb sie an ihrem Roman „Franziska Linkerhand“, der noch unvollendet war, als sie 1973, noch nicht einmal 40-jährig, an Krebs starb.

Dem Poetenpack gelingt eine Aktualisierung

Das Poetenpack, ein kleines professionelles Theater mit Sitz in Potsdam, nahm das Jahr der Brandenburger Baukultur zum Anlass, Reimanns 620-Seiten-Roman als Kammerstück einzurichten. Wer die Figuren, Dialoge und Konflikte um Titelheldin Franziska Linkerhand nicht kennt, dem vermag Gislén Engelmann den Stoff in einem anderthalbstündigen Schnelldurchgang kraftvoll zu skizzieren. In ihrer Regie nehmen die einzelnen Szenen erstaunlich Fahrt auf. Im Spielfluss zählen jede Geste, jedes Wort und fordern den Zuschauer zum Mitdenken heraus.

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Dabei verzichtet die Endfünfzigerin weitestgehend auf DDR-Kolorit. Ideologische Schlüsselwörter wie „Partei“, „Klassenkampf“, „Genosse“ oder „Sozialismus“ klammert sie aus. Ihr Bühnenbild und auch die Videoprojektionen von Martin Wolf verzichten auf furnierte Schrankwände, Trabis oder eine Reproduktion des Walter-Womacka-Paars „Am Strand“. Eingespielte Musiktitel wie Riders On The Storm von den Doors oder „Sonntag“ von Manfred Krug deuten aber die Atmosphäre der Ost-West-Spaltung an. Die historische Zeitebene wird außerdem dezent durch eine Zeitung mit dem Namen „Volksstimme“ repräsentiert und mithilfe eines Radios im 1960er-Design.

Lützenrath, Ukraine, Türkei

Aus dem Gerät dringen allerdings Nachrichten von heute. Von der gewaltsamen Räumung des Klima-Aktivisten-Camps in Lützerath ist die Rede, vom Krieg in der Ukraine und dem Erdbeben in der Türkei. Wörter wie Handwerker*innen werden gegendert.

Dieser unvermittelte Zeitsprung lässt sich vielleicht mit einem Satz aus dem Roman rechtfertigen. Da meint Franziska: „Es muss, es muss sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden.“ Schließlich betrachten wir heute die einst so tristen DDR-Neubaugebiete auch durch die Brille der Gegenwart. Und in der Ukraine waren die zerschossenen Wohnblocks auch vielen Menschen eine wertvolle Heimat.

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Resonanz in Ost und West

Brigitte Reimann lebte von 1933 bis 1973. Ihre wichtigsten Bücher konnten in der DDR nur in gekürzten oder überarbeiteten Fassungen erscheinen. Der Roman „Franziska Linkerhand“ erschien postum im Jahr 1974 und stieß im Osten wie im Westen auf große Resonanz. 1998 kam eine vollständige Ausgabe nach dem überlieferten Typoskript heraus.Das Originalmanuskript der Erzählung „Geschwister“ aus dem Jahr 1963 wurde 2022 bei Renovierungsarbeiten unter der Treppe von Reimanns ehemaliger Wohnung in Hoyerswerda entdeckt und neu ediert. Es erzählt von der geplanten Republikflucht des geliebten Bruders.

Mit der Ich-Erzählerin hat sich Brigitte Reimann eine Alterego-Figur geschaffen, mit der sie die bürgerliche Herkunft, ihren Idealismus und ihre diversen Männergeschichten teilt. Der größte Unterschied ist, dass Franziska keine Schriftstellerin ist, sondern Architektin. Sie träumt davon, in der Neustadt „Häuser zu bauen, die ihren Bewohnern das Gefühl von Freiheit und Würde geben“. Dafür hat sie sogar ihren berühmten Lehrer, Prof. Reger, verlassen, der durch den Wiederaufbau historischer Gebäude höchstes Ansehen genießt.

Auf der Großbaustelle wird sie von Stadtarchitekt Horst Schafheutlin unter die Fittiche genommen. Der wohnt mit seiner Familie weit draußen auf dem Land und hat nur die Schaffung von Wohnraum im Sinn. Der Funktionär muss der engagierten jungen Kollegin die Sachzwänge verklickern. Für eine soziale Stadt mit Orten der Begegnung fehlt es nun einmal an Material und an Geld. Schafheutlin, etwas hölzern gespielt von André Kudella, beteuert: „Wir haben keine Zeit für Experimente.“

Franziska Linkerhand, ein Mordsweib

Franziska ist aber ein Mordsweib und versteht es, so ziemlich alle Männer, auch ihren Vorgesetzten, für sich einzunehmen. Marianna Linden spielt die Titelfigur als ungebrochene, lebendige, positive Heldin. Warum Franziskas Beziehungen am Ende immer wieder scheitern und sich kein Mann nach einer intensiven Affäre dauerhaft auf sie einlässt, dafür liefert die Inszenierung keine These.

Das Temperament von Brigitte Reimann wird gern als „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ beschrieben, ihre politische Haltung als ziemlich naiv. Zwei ihrer drei Ehemänner kommen in „Franziska Linkerhand“ als Charaktere vor. In der Aufführung des Poetenpacks werden alle Männerrollen von zwei Schauspielern verkörpert. Kudella gibt auch noch den „schönen Wolfgang“, den ersten Ehemann, einen einfachen Arbeiter, der mir und mich verwechselt.

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Poetenpack: Marianna Linden, Peter Wagner und Andre Kudella

Poetenpack: Marianna Linden, Peter Wagner und Andre Kudella

Peter Wagner spielt recht virtuos den netten, aber nüchternen Kollegen Jazwauk mit Lockenhaarperücke sowie den zynischen Geliebten Ben, der sich als Agitator und Journalist gegen die revoltierenden Arbeiter in den Kampf geworfen hat, bis er selbst als politischer Gefangener in Bautzen gelandet ist.

Das Radio meldet Erfolge bei der Kernfusion

Alle Männer sind abgestorbene, müde, frustrierte Menschen, die mit ihrer Ohnmacht in der Diktatur nicht klarkommen. Dass sich auch der warmherzige Bruder von Franziska, der als Atomphysiker in die Sowjetunion aufgebrochen ist, am Ende als verstrahlter, kranker Mann verabschiedet, setzt der resignativen Stimmung die Krone auf. Auch hier schlägt die Regisseurin einen Bogen in die Gegenwart, wenn sie das Radio auf der Bühne die unlängst erste erfolgte Kernfusion melden lässt.

Nächste Vorstellungen: 21. und 22. April, 19.30 Uhr. Zimmerbühne Potsdam, Zimmerstraße 12c. Karten unter www.theater-poetenpack.de/ oder 0331 951 22 43.

MAZ

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