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Stück über illegale Auswanderung bei den Potsdamer Tanztagen

Wie die „Idolboyz“ aus dem Senegal ihre Landsleute von der Flucht übers Meer abhalten wollen

Ibrahima Ndiaye und Aly Johnson.

Ibrahima Ndiaye und Aly Johnson.

Potsdam. „Ein Boot, zwei junge Männer, das Meer“, beginnt die Stückbeschreibung, die das Gastspiel der Idolboyz aus dem Senegal ankündigt. Die Performance zum Thema Migration ist die einzige Europapremiere bei den Potsdamer Tanztagen 2023. Vor dem Abflug nach Deutschland beantworteten die beiden Künstler die Fragen der MAZ per Mail.

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Sie sind das Duo Iolboyz. Können Sie uns eine konkrete Beschreibung Ihrer Lebensumstände im Senegal geben?

Idolboyz: Wir heißen Ibrahima Ndiaye und Aly Johnson und wohnen in Thiès, 75 km entfernt von der Hauptstadt Dakar. Wir leben in verschiedenen Stadtvierteln und üben neben dem Tanzen unsere Arbeit aus. Ibrahima ist Bauzeichner und Aly ist Händler. Wir haben uns bei Battles zwischen 2006 und 2008 kennengelernt, bei denen wir Rivalen waren. Seitdem haben wir zusammen gearbeitet und dreimal die Hip-Hop-Tanztrophäe im Senegal gewonnen.

Idolboyz: „Wir verbringen gerne Zeit in den Dörfern unserer Großeltern.“

Wie wichtig ist Ihnen Ihre Familie?

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Wir leben in der Stadt und verbringen gerne Zeit in den Dörfern unserer Großeltern, weil wir die Natur lieben, die uns inspiriert. Die Ruhe dort ermöglicht es uns, über unsere Tanzstücke nachzudenken. Wir finden Frieden, Wärme und Liebe, wenn wir mit unseren Familien zusammen sind. Das ist unsere Motivationsquelle, die uns antreibt.

Welche Absicht verfolgen Sie mit dem Tanz?

Wir haben mehrere Programme initiiert. Gegen den Widerstand der Schulverwaltung konnten wir Tanzkurse für Schüler an der französischen Schule „René Guillet“ und an einigen Privatschulen einführen. Wir bieten monatlich die Ausbildung in verschiedenen Tanzstilen an, um zur soziokulturellen Entwicklung unserer Region beizutragen.

Ihren Lebensunterhalt können Sie aber mit dem Tanzen nicht bestreiten?

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Wir haben keine regelmäßigen Einkommen. Aber wir versuchen, auch Honorare zu erhalten, wenn wir in Schulen oder bei Festivals auftreten.

Was ist Ihnen wichtiger: die afrikanischen Traditionen oder die aktuellen Trends der westlichen Kultur? Afrikanische Tänze oder Hip-Hop?

Die aktuellen Trends der westlichen Kultur haben einen positiven Einfluss auf den Senegal. Wir bewahren die afrikanischen Traditionen, entwickeln aber stets die Techniken und Grundlagen weiter.

Der Senegal liegt an der Atlantikküste in Westafrika. Woran denken Sie, wenn Sie aufs Meer schauen?

Während unserer Trainingseinheiten verbringen wir oft Zeit damit, auf das Meer zu schauen. Der erste Eindruck ist die Schönheit des Sonnenuntergangs über dem weiten Horizont, davor die Fischerboote am Strand. Aber uns kommt auch in den Sinn, dass viele Brüder und Schwestern auf tragische Weise im Atlantischen Ozean ihr Leben verloren haben, bei dem Versuch, illegal zu emigrieren.

Warum gehen so viele Menschen dieses Risiko ein?

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Es gibt viele Gründe, warum junge Menschen auswandern wollen. Der Staat stellt nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung. 70 Prozent der senegalesischen Bevölkerung sind arbeitslos, darunter viele junge Akademiker. Sie müssen im informellen Sektor arbeiten, um ihre täglichen Bedürfnisse zu befriedigen. Es gibt aber auch einen starken sozialen und familiären Druck und ganz allgemein einen Mangel an Hoffnung.

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Was denken Sie über das Auswandern?

Wir Menschen sind frei. Jeder sollte reisen und sich entscheiden dürfen, wo er lebt. Es ist aber wichtig, legale und sichere Wege zu wählen, statt illegal auszuwandern. Die Risiken sind zu hoch. Die Flüchtlinge ertrinken, verschwinden und sie erleiden nicht nur körperliche, sondern auch psychische Schäden.

Szenenbild aus dem Stück „Mbeuk Mi Wossi“.

Szenenbild aus dem Stück „Mbeuk Mi Wossi“.

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Haben Sie mit Überlebenden gesprochen?

Ja, wir haben viel recherchiert. Die Flüchtlinge haben uns erzählt, wie gefährlich es ist, illegal über das Meer auszuwandern. Nur wenige hatten Glück. Als professionelle Choreografen und Performer nutzen wir den Tanz als Kommunikationsmittel, um die Bevölkerung über die Gefahren der illegalen Auswanderung aufzuklären. Unser Stück „Mbeuk Mi Wossi“ (Nein zur Auswanderung), das wir in Potsdam zeigen, hat also eine wichtige und reiche Botschaft.

Waren Sie schon einmal in Europa?

Nein. Um so mehr freuen wir uns auf unseren Auftritt. Und auf Deutschland. Wir möchten dieses wunderbare Land mit seiner reichen Kultur und Geschichte entdecken und uns mit den Tänzern des Landes austauschen.

Preisgekröntes Stück

Die Potsdamer Tanztage finden noch bis zum 11. Juni statt. Programm unter www.potsdamer-tanztage.de

Die beiden Künstler gewannen 2022 mit einem Ausschnitt aus dem Stück den Sunu Talents Preis des Goethe Instituts im Senegal.

Ideolboyz mit „Mbeuk mi wossi“: 9. und 10. Juni, 19 Uhr. Nach der 45-minütigen Aufführung gibt es ein Publikumsgespräche. T-Werk, Schiffbauergasse, Potsdam.

Interview: Karim Saab /Übersetzung: Laurent Dubost

MAZ

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