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Premiere

„Weltall Erde Mensch“ im Deutschen Theater: Hohle Phrasen in endloser Bühnenshow

Szene aus „Weltall Erde Mensch“ von Autor und Regisseur Alexander Eisenach am Deutschen Theater.

Szene aus „Weltall Erde Mensch“ von Autor und Regisseur Alexander Eisenach am Deutschen Theater.

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Berlin. Am Ende des dritten Jahrtausends hat die Welt ein neues Antlitz. Alle Menschen leben in vollkommener Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Zukunft könnte rosiger nicht sein. Wären da nicht der ewige Fortschrittsdrang und die Sehnsucht nach dem Neuen, würde uns nicht eine ständig rumorende Unzufriedenheit hinaus träumen lassen in die Weite des Universums und uns nicht die Frage umtreiben, warum der Mensch sterblich ist und wie wir den Tod ein für alle Mal besiegen können. Alles ist, aus heutiger Sicht, neu und anders. Nur eines ist gleich geblieben: Zur Jugendweihe erhalten, wie weiland in der DDR, alle Heranwachsenden den bleischweren Sammelband „Weltall Erde Mensch“ in die Hand gedrückt und die Mahnung mit auf den Weg ins Leben, die Wissenschaft vom unaufhaltsamen Sieg des Kommunismus genau zu studieren und sich aktiv am gesellschaftlichen Fortschritt zu beteiligen.

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„Weltall Erde Mensch“ heißt auch die von Autor und Regisseur Alexander Eisenach mit Versatzstücken aus Marxismus, Frauen-Emanzipation, Relativitätstheorie, Science-Fiction-Literatur, philosophischen Gemeinplätzen und trivialen Mythen zusammengerührte Szenen-Collage, mit der das Deutsche Theater die neue Spielzeit und zugleich die neue Intendanz von Iris Laufenberg eröffnet.

„Weltall Erde Mensch“ im Deutschen Theater: Theatralischer Größenwahn

Es hätte schlimmer kaum kommen können: Was als „lustvolle Expedition ins Ungewisse“ und „Suche nach alternativen Wirklichkeiten“ gedacht ist, andere „Raum-Zeit-Kontinuen“ und „Parallel-Universen“ erforschen und Ideen ausbrüten will, „wie wir die Zukunft gestalten könnten und woher unsere Gegenwart kommt“, versinkt in einen Abgrund aus intellektueller Banalität und schauspielerischer Blödelei. Der von Video-Kameras umschwirrte und von allen guten Geistern verlassene Assoziations-Reigen leidet in seiner irrlichternden Ziellosigkeit an theatralischem Größenwahn.

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Von atmosphärisch aufbrausender Live-Musik angetrieben und von dicken Theater-Nebeln umwölkt, fliegt eine Schar von Erdbewohnern ins Weltall, um andere Planeten zu besiedeln, unbekanntes Leben zu entdecken und den Tod zu besiegen. Im Gepäck haben sie wahrscheinlich Marx und Einstein, vielleicht auch den Science-Fiction-Klassiker „Gast im Weltraum“ von Stanislaw Lem und die feministische Zukunftsvision „The Female Man“ von Joanna Russ. Und ganz bestimmt die Kult-Romane und die Serie „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. So genau weiß man das nicht, denn es wird zwar viel geschrien, geplappert und geblödelt, aber wer für den jeweiligen Gedanken-Quark und Bilder-Brei Pate stand, wird weder durch das wüste Bühnen-Tohuwabohu noch durch den kargen Programmzettel kenntlich gemacht.

„Weltall Erde Mensch“ im Deutschen Theater: Männer sind überflüssig

Nachdem man sich im unverwüstlichen „Café Moskau“ mal wieder die Köpfe heiß geredet hat über die vom zu Recht längst vergessenen russischen Existenz-Esoteriker Nikolai Fedorow (der nicht erwähnt wird und nur Eingeweihten oder Lesern von Knausgards kürzlich erschienenem Roman-Ungeheuer „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ ein Begriff ist) entwickelten Thesen zur Wiedererweckung der Toten und der Unsterblichkeit des Menschen, düst das Raumschiff los. Die Besatzung muss unterwegs manch blutige Not-Operation ausführen und automatische Herzen transplantieren, trifft auf Abgesandte anderer Zeiten und Räume und auf Frauen von einem Planeten, wo alle überflüssigen Männer längst ausgemerzt wurden oder zu tierisch grunzenden und sinnlos sabbernden Dumpfbacken und Doofdödeln mutiert sind und einen kaum erträglichen Gestank verbreiten. Warum sonst sollten sich die Frauen in Ganz-Körper-Schutzanzüge zwängen, wenn sie die Mutanten in einem mit Comic-Zeichnungen und poppigen Sprechblasen verunzierten Dschungel aufspüren, sie mit einem Heavy-Metal-Musik-Ballett umkreisen und abschlachten?

Was das ganze will und wohin es führen soll? Keine Ahnung. Nur eines ist gewiss: Die Diskussionen über Freiheitschancen und Kunstfantasien, Frauen-Emanzipation und toxische Männlichkeit, abseitigen Totenkult, Schwarze Löcher und Zeit-Reisen wirken abgestanden und aufgesagt, sind nur noch blutleere rhetorische Floskeln, lassen einen vollkommen kalt und werden auch nicht dringlicher, wenn die in scheußliche Plastik-Klamotten gehüllten Diskutanten unzerstörbare realsozialistische Denkmäler besteigen, sie von Kameras umzingelt und ihre hohlen Phrasen von Mikrofonen verstärkt und ihre verzerrten Münder und aufgerissenen Augen riesengroß auf Leinwände projiziert werden. Das „Raumschiff Theater“, heißt es in einer Ankündigung des DT, möchte „utopische Schubkräfte aus Geschichte und Gegenwart“ bündeln, „die unsere Zeit so dringend benötigt.“ Klingt super. Die ausufernde Bühnen-Show, die einfach kein Ende finden mag und mit ihrem medialen Overkill wie eine völlig verrutsche schlechte Castorf-Persiflage wirkt, ist davon allerdings so weit entfernt wie der Mond: 384.400 Kilometer.

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Deutsches Theater, „Weltall Erde Mensch“, wieder am 24., 30. September,

MAZ

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