Techno-DJ Westbam verachtet Bushido & Co.
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Der Musiker und DJ WestBam (bürgerlich Maximilian Lenz).
© Quelle: dpa/Horst Galuschka
Potsdam. DJ Westbam heißt mit bürgerlichem Namen Maximilan Lenz. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen (15 und 17) lebt er auf Mallorca und in Berlin. Und fast an jeden Wochenende ist er noch unterwegs, um aufzulegen.
Herr Lenz, was ist an Ihrem neuen Album „Risky Sets” riskant?
Westbam: In der Popkultur gibt es Leute, die nur gängige Erwartungen bedienen und solche, die was Neues, vielleicht sogar Irritierende oder Erleuchtendes liefern wollen. Für mich ist ein DJ-Set immer noch ein Abenteuer, das schief gehen kann. Abfütterungspop gefällt mir nicht.
Bei DJ Westbam erwartet man einen geradlinigen Sound. Ihre neuen Tracks kommen weniger monumental daher, sind simpler und asketischer.
Ich habe eine Freude an den einfachen Dingen, an der einfachen Art, Musik zu machen. Ich bin einer der Gründungsväter der DJ-Kultur und habe mich schon in den 1980ern dafür eingesetzt, dass DJ ein künstlerischer Beruf ist. Es gibt heute Kollegen, die bekommen 200 000 der 300 000 Euro für eine Nacht. Dabei wird nicht einmal deutlich, was so ein Star-DJ eigentlich macht. Er singt nicht, hat die Texte nicht geschrieben und die Tracks meistens auch nicht. Es kann sogar sein, dass er nur ein Tape laufen lässt. Und die Bühnenshows werden so sehr mit Pyrotechnik, Licht und Dancern aufgeblasen, dass spontane Entscheidungen und eine wirkliche Begegnungen mit dem Publikum gar nicht mehr möglich sind. Das Routinierte, Durchchoreografierte und Kontrollierte ist keine gute Popkultur.
Aber auch Sie stehen nicht mehr hinter Plattentellern und Mischpult.
Ja, auch ich bin mittlerweile ein Datenstick-DJ. Ich trage mir nicht mehr den Rücken krumm mit Schallplatten und muss nicht mehr die Plattenläden ablaufen. Doch jeder Abend besitzt für mich eine eigene Magie und Logik. Ich reagiere intuitiv auf die Leute. Ich habe noch nie eine Playlist so runtergespielt, wie ich sie vorher programmiert habe.
Zur Person
Maximilian Lenz wurde 1965 in Münster geboren. Seine Eltern waren Hippies und Künstler. 1984 zog er nach Westberlin, wo er 1985 das Plattenlabel Low Spirit gründete. Mit Dr. Motte produzierte er die jährlichen Hymnen für die Love Parade. Er förderte Künstler wie Marusha. Seine Autobiografie: „Die Macht der Nacht“ (Ullstein, 2015).Sein aktuelles Album: „The Risky Sets“ (No Limits)
Trauern Sie der guten alten Schallplatte nach?
Ob Schallplatte, MP3 oder WAV-Datei – das ist völlig unerheblich. Letztendlich geht es ums Menschliche. Die Leute wollen den DJ sehen. Es geht nicht um Technik, sondern um Kommunikation. Ein Roboter-DJ, der mit Messdaten von der Tanzfläche gefüttert wird, dürfte keine Begeisterung wecken. Bei aller Digitalisierung: Gute Partys bleiben analog und leben von der Begegnung zwischen dem DJ und den Leute, die tanzen.
Und Ihr neues Album liefert den Beweis, dass Sie Ihre Tracks selber herstellen.
Mein ganzes musikalisches Leben habe ich in Tonstudios verbracht und dem Tontechniker zugesehen, wie er an Höhenkurven rumbastelt hat. Zum ersten Mal habe ich jetzt ein Album ganz allein und nur mit meinem Laptop hergestellt. Mein Freund Hardy Hard hat mir gezeigt, dass es auch ohne Boxen, Keyboards oder Effektgeräte geht. Für mich lassen sich plötzlich Musik und Leben viel besser verbinden. Ich sitze in der Küche, im Bett oder im Flugzeug und mache Musik. So wie meine beiden Söhne, die am liebsten den ganzen Tag nur Video-Games spielen.
In einem Track heißt es „No Internet, No Instagram, No Facebook ...“. Ist das ein Plädoyer für die analoge Welt?
Ganz so simpel ist es nicht. Ich selbst benutze Facebook, Twitter und die technical things. Und den No-Facebook-Track habe ich auf Facebook gepostet. No-Lieder haben mich geprägt. Es ist die pure Freude, diesen Gedanken auszusprechen. Als Teenager und Punkrocker war „No Future!“ von den Sex-Pistols mein Motto. 1990 machte ich die Patte „No More Fucking Rock And Roll“, später „No vocals nessesairy“. Ich mag die Power des Neins. Auf dem Dancefloor haben die Leute immer Spaß, wenn der einfache Text das dritte oder vierte Mal wiederholt wird.
Spricht aus dem Text vielleicht auch der besorgte Vater, der fürchtet, dass sich seine Söhne in der virtuellen Welt verlieren?
Da müsste ich eher sagen „No deutscher Ghetto-Gangster-Rap“, denn der vergiftet unser Verhältnis.
Taugt die antiautoritäre Erziehung, die Sie selbst erlebt haben, als Gegengift?
Ich versuche entspannt zu sein. Je mehr ich mich darüber aufrege, desto sicherer ist, dass meine Söhne das gut finden müssen. Natürlich haben alle Eltern etwas gegen die Musik ihrer Kinder. Daraus zieht die Popkultur ihren Honig. Meine Kinder wollen keinen Techno hören, sie wollen sich abgrenzen und behaupten. Als ich 15 war, hatte ich Sprüche drauf wie „Stalingrad, Stalingrad – Deutschland Katastrophenstaat“. Ich war gegen die Bullen und meinte sogar, für Terroristen Sympathien haben zu müssen. Als jugendlicher Mann willst Du kein Mitleid erregen, sondern krass sein und Angst und Schrecken verbreiten. Diesen Teil erkenne ich wieder. Ich trug damals eine Lederjacke mit Nieten, Springerstiefel und eine Sicherheitsnadel im Ohr. Da fühlt man sich, wie wenn man aus einem Actionfilm mit Bud Spencer kommt. Aber die Kids heute wollen nicht nur krasse Typen sein, die wollen auch, dass es „real“ ist. Wenn einer nur so tut, als sei er ein Gangster, reicht das nicht.
Diskutieren Sie viel mit Ihren Söhnen?
Die haben ja ständig Kopfhörer auf. Wenn sie aus der Schule kommen oder im Bett liegen, hören sie ständig nur den Schwachsinn von diesen Typen. Das ist Gehirnwäsche, zehn Stunden am Tag, gegen die man selbst mit einer Stunde Reden nicht ankommt. Was die Deutschrapper erzählen, ist asozial und schlimm, gewaltverherrlichend, gegen Frauen, gegen Schwule. Die Kids heute meinen, sie müssten sich bewaffnen und sagen: „Isch muss ja meine Ehre verteidigen.“ Ich sag': „Welche Ehre? Und in Berlin sagt man nicht ,Isch’, du sprichst schon mit arabischem Akzent.“
Sie könnten sich doch mal auf Augenhöhe Kollegen wie Bushido oder Farid Bang zur Brust nehmen!
Das sind Leute, mit denen möchte ich nicht mal ein Abendessen verbringen. Ich möchte die nicht bekehren, die können mich auch nicht bekehren. Sonst schätze ich jeden, der was Neues macht. Aber die nerven einfach. Im Grunde genommen sind das Kriminelle. Ihre Familien haben hier Asyl bekommen und kassieren Sozialhilfe. Und was machen die? Die erpressen ihre Landsleute und finden Gewalt geil. Und wenn jemand seine Schwester auf der Straße abschlachtet, faseln sie was von Ehre. Und wenn jetzt Bushido plötzlich die deutsche Polizei einschaltet, gilt er in der Szene als Hurensohn und Verräter. Ich weiß, dass in Berlin viele Kinder so ticken, weil sie merken, dass sie damit ihre Eltern erschrecken. Im Technokontext tauchte damals auch die Frage auf, warum die Deutschen so krassen Detroit-Techno hören von Leuten, die in krassen Verhältnissen leben. Wahrscheinlich meinen viele, ihnen fehle was, weil ihr Leben so unkrass verläuft. Aber bei den Kids heute ist sicher auch eine diffuse Angst vor der Zukunft mit im Spiel.
Eigentlich müssten Sie doch bei Ihren Jungs punkten können, weil sie auf Ihrem neuen Album berühmte amerikanische Gangsterrapper wie Drake und Kendrick Lamar zu Wort kommen lassen!
Die Worte von Tyler The Creator - „Hey black, give me my kids back...“ - handeln genau davon, die Kinder weg vom Rap zu holen. Vielleicht ist der Text von Lil Wayne ein bisschen assi. Und bei Kendrick Lamar heißt es „My Flat is a Red Light District“ und „My Couch is a Pornostar“ vor. Das sind Codewords, aber er hat surrealistische Sätze daraus gemacht, die auf jeden Fall besser sind als „Isch hab'n Kilo Koks in der Tasche, isch hau dir aufs Maul“.
Haben Sie die Größen der heutigen Popkultur zur Mitwirkung eingeladen, um der jungen Generation näher zu sein?
Ich fühle mich als DJ jung, weil ich die Platten von letzter Woche spielen und reinmixen kann. Und selbst dieses Rapper-Zeug ist Poesie unserer Zeit. Wenn ich einen Text aber ganz schlimm finde, würde ich ihn nicht nehmen. Ich fühle mich wie ein Regisseur, der Filme dreht und Dialoge und Texte aufarbeitet. Ich lasse Leute auftreten, die etwas sagen. Das ist was anderes, als wenn Bob Dylan über sich erzählt.
Von Karim Saab
MAZ