EU-Verordnung verbietet zahlreiche Tattoofarben

Tattoos und Gesundheit: Geht das noch unter die Haut?

Durch eine neue EU-Verordnung dürfen etliche Tattoofarben nicht mehr verwendet werden.

Durch eine neue EU-Verordnung dürfen etliche Tattoofarben nicht mehr verwendet werden.

Eine blaue Eule am Unterschenkel, ein rotes Herz mit „Mama“-Aufschrift oder dem Namen der großen Liebe auf dem Oberarm oder auch ein kunterbuntes Buddhabild, das den ganzen Rücken bedeckt: Tätowierkünstler und ‑künstlerinnen konnten lange Zeit so ziemlich jedes gewünschte Motiv unter die Haut ihrer Kundschaft stechen.

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Reachordnung trifft Tätowierer und Tätowiererinnen hart

Doch jetzt sind der Kreativität vorerst Grenzen gesetzt: Seit Anfang des Jahres dürfen in Ländern der EU fast alle zuvor gängigen Tattoofarben nicht mehr verkauft und verwendet werden. Grund ist eine neue EU-Verordnung, die rund 4000 chemische Bestandteile der speziell für diese Art von Körperschmuck produzierten Farben verbietet. Diese Substanzen sind nach Aussage der für die Verordnung zuständigen Europäischen Chemikalien­agentur (ECHA) entweder gefährlich für die Gesundheit oder in ihrer Wirkung noch nicht ausreichend erforscht.

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Für die ohnehin schon durch die Corona-Krise gebeutelte Tattoobranche ist die sogenannte Reachverordnung ein weiterer Rückschlag. Zwar haben viele große US-amerikanische Hersteller bereits verordnungskonforme Farben auf den Markt gebracht, allerdings haben Tätowierer und Tätowiererinnen hierzulande laut Olaf Lobe vom Verein Tätowierkunst noch keine Erfahrungswerte mit diesen Materialien: „Viele Kundinnen und Kunden sind daher nun skeptisch, ob ihre Tattoos auch lange halten werden“, sagt Lobe, der auch selbst Tätowierer ist.

Zahlreiche Betreiber der rund 7000 Tattoostudios in Deutschland beklagen sich außerdem über die Kosten und die geringe Menge an verfügbaren, legalen Sets. Daher sind viele derzeit nicht in der Lage, beliebig bunte Tattoos stechen. „Mit der EU-Verordnung wird die künstlerische Freiheit der Tätowierenden und ihrer Kunden und Kundinnen stark eingeschränkt. Das wäre so, als dürften Maler nur noch mit einem Farbton arbeiten“, beklagt der Kunsthistoriker Ole Wittmann vom Institut für deutsche Tattoo-Geschichte.

Doch auch farblose Tattoos liegen im Trend

Ähnlich sieht das Lobe, er ist sich jedoch sicher, dass Tattoos weiterhin beliebt sein werden – auch wenn zumindest vorerst nicht alle Studios mit Farbe stechen können. „Ich tätowiere seit 25 Jahren – und der Trend, den Körper mit Tattoos zu schmücken und damit ein Statement zu setzen, hat in dieser Zeit nie abgenommen“, sagt Lobe. Das kann auch Wittmann bestätigen. „In den vergangenen Jahrzehnten ist der Körperschmuck immer sichtbarer und größer geworden“, sagt der Wissenschaftler, der über „den menschlichen Körper als Bildträger“ promoviert hat. Besonders populär geworden sind in den letzten Jahren etwa schwarz-graue Sleeve-Tattoos, wie sie Fußballspieler gern zur Schau stellen. Dabei handelt es sich um Tätowierungen, die ganze Arme bedecken – und komplett ohne Farbe auskommen.

Tattoos seien laut Wittmann seit jeher beliebt, aber sie seien früher eher an unauffälligeren Körperstellen getragen worden. Selbst Kaiserin Elisabeth von Österreich trug ein Ankertattoo auf der Schulter, was sie stets verdeckte, heute aber wohl stolz präsentiert hätte.

Mancherorts sind Tattoos noch immer verpönt

Die Hemmschwelle sei gesunken, weil viele Menschen keine Diskriminierung oder geschmälerte Jobchancen mehr befürchten müssten, so Lobe. Tattoos würden in vielen Berufen inzwischen akzeptiert – und gelten laut Wittmann mitunter auch als sexy. Noch bis in die 1980er-Jahre hinein haftete ihnen jedoch das Stigma von Kriminalität und sozialer Marginalisierung an. In Japan sind Tattoos sogar bis heute verpönt: Menschen mit sichtbarer Körperkunst haben oft schlechtere Chancen auf einen Arbeitsplatz und werden mitunter nicht in Schwimmbäder oder Fitnessstudios reingelassen. Die Körperbilder werden häufig mit der Mafia­organisation Yakuza assoziiert, die mit traditionellen Irezumi-Ganzkörper­tattoos ihre Loyalität zeigt.

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Tätowierungen hatten und haben auch wegen möglicher gesundheitlicher Risiken vielerorts keinen guten Ruf. Laut Wittmann gab es in New York zwischen 1961 und 1997 ein Tattooverbot, welches die Stadt, getrieben von der Angst vor Hepatitis C, erlassen hatte. Auch in Deutschland weisen die Verbraucher­zentralen darauf hin, dass mangelnde Hygiene im Studio zu schweren Infektionen wie HIV oder Hepatitis führen kann.

Welche Wirkungen die Farbpigmente Blau 15 und Grün 7 auf den Organismus haben, ist dagegen unklar. Sie wurden zur Mischung einer sehr umfangreichen Palette an Farbtönen benötigt, bevor sie nun verboten wurden. „Ich sehe die EU-Verordnung sehr kritisch, weil es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass die Farben gesundheitsschädlich sind“, sagt Lobe.

Auch ohne Farbe geht der Tattoohype wohl weiter

Das Bundesinstitut für Risiko­bewertung (BfR) kam in einer Stellungnahme vom September 2020 dagegen zu dem Schluss, dass die Pigmente eine Toxizität aufzeigen, wenngleich eine relativ geringe. Das BfR räumte aber gleichzeitig ein, dass die vorhandenen Daten zu den gesundheits­gefährdenden Eigenschaften der beiden Pigmente unvollständig seien – und eine Risikoeinschätzung daher nicht möglich ist. Laut ECHA betreffe die Beschränkung „zum Beispiel Chemikalien, die Krebs oder genetische Mutationen verursachen, fortpflanzungs­gefährdende Chemikalien sowie Hautallergene und Reizstoffe“, heißt es auf der Website. Das Ziel sei nicht, Tätowierungen zu verbieten, sondern Tätowierfarben sicherer zu machen.

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Tattoofans werden sich jedoch wohl kaum von der EU-Verordnung abschrecken lassen, meinen Lobe und Wittmann. Das Interesse an Tatttoos habe bislang jedenfalls nicht abgenommen, sagt Lobe. Wittmann berichtet, dass das einstige Tattooverbot in New York „das Tätowieren nicht im Keim erstickt“ habe. Stattdessen sei eine florierende Untergrundszene entstanden. Auch nach der EU-Verordnung würden Menschen Wege finden, sich mit den nun verbotenen Farben Tattoos stechen zu lassen – notfalls in Ländern außerhalb der EU.

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