Trampen – macht das noch jemand?
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Daumen raus und auf das nächste vorbeifahrende Auto warten. Das kann schon mal mehrere Stunden dauern.
© Quelle: Getty Images
Ein Pappschild, ein gigantischer Rucksack, breites Grinsen und ein Strohhut. So steht Dawid Krzyzowski an der Landstraße. Anhalter in Aktion und, wie es vielen scheint, einer der wenigen verbliebenen seiner Art. Während das Trampen in den 80ern und 90ern für junge Menschen so normal war wie der Walkman in der Hosentasche, gibt es heute immer weniger Hitchhiker. Oder?
Krzyzowski ist 28, kommt aus Polen und reist seit zwei Wochen durch den Balkan. Seit 20 Minuten wartet er im Norden Montenegros auf eine Mitfahrgelegenheit. „Mein Kumpel und ich haben Urlaub und fahren per Anhalter bis Serbien“, erklärt der leidenschaftliche „Tramper“.
Tramper – der Begriff stammt vom englischen „Tramp“, bedeutet so viel wie Landstreicher und passt eigentlich so gar nicht zu dem jungen Mann: weißes Poloshirt, sauberer Kragen, Dreitagebart, von Beruf Bergbauingenieur – einen Herumtreiber stellt man sich anders vor. Doch was hat das Trampen mit dem ursprünglichen Gedanken, günstig und ohne eigenes Auto von A nach B zu kommen, tatsächlich noch zu tun?
Roman „Unterwegs“ inspiriert Tramper
„Nothing behind me, everything ahead of me, as is ever so on the road“, schreibt Jack Kerouac in seinem Roman „Unterwegs“. Das 1957 erschienene Buch ist der Tramperroman schlechthin. Eine Autobiografie, die von einer Reise per Auto, Güterzug und Anhalter quer durch die USA und Mexiko handelt. Das Werk hat zahlreiche Künstlerinnen und Künstler inspiriert und die amerikanische Jugendkultur beeinflusst. Immer auf der Suche nach dem nächsten Erlebnis.
Und das suchen auch Dawid Krzyzowski und sein Kumpel. „Man weiß nie, wo man ankommt, trifft neue Leute und erlebt spannende Dinge“, erklärt der Urlauber. Das ist der Grund, warum er gerne per Anhalter reist. In diesem Jahr ist er – nach zwei Jahren Corona-Pause – zum vierten Mal als Tramper auf Reisen. Sein verrücktestes Erlebnis bislang: eine Nacht zwischen frischen Pilzen im Laderaum eines Lkw. Der Fahrer hatte ihm angeboten, dort sein Zelt aufzuschlagen, als er die vorgeschriebene Ruhepause einlegen musste.
Der Wettkampf der Tramper
Nicht nur Krzyzowski jagt im Urlaub das Abenteuer. Jedes Jahr im Spätsommer macht sich eine Gruppe junger Europäerinnen und Europäer gezielt auf, um den Daumen rauszuhalten. Denn dann startet das „Tramprennen“ – seit 2008 organisiert von der „Club of Roam – Autostop! e. V.“. Nur 2020 und 2021 konnte das Rennen wegen der Pandemie nicht stattfinden.
In diesem Jahr fiel der Startschuss wieder, und 38 Teilnehmende hielten Ende August in Nürnberg den Daumen hoch. Das Ziel des Wettkampfes: der Ohrid-See in Albanien, knapp zwei Wochen später.
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Der Ohrid-See in Albanien war Ziel des diesjährigen „Tramprennens“.
© Quelle: Unsplash
Auf der Route sind bestimmte Tagesetappen fix. Je schneller die Teilnehmenden diese überwinden, desto mehr Punkte gewinnen sie und kommen so dem Siegertreppchen näher. Für Philipp Weckesser, Teilnehmer und Vorstandsmitglied im „Club of Roam – Autostop! e. V.“ hat es in diesem Jahr nicht für den Sieg gereicht, aber das findet er nicht schlimm. Die Reise an sich, spannende Begegnungen und Einblicke in die Kulturen seien das eigentliche Ziel.
Trampen braucht Zeit
Doch was ist mit all den Anhaltern, die früher Kurzstrecke fuhren? Haben Blabla-Car, Billigflüge und durchschnittlich ein bis zwei Autos pro deutschem Haushalt das Trampen als kostengünstige Transportform verdrängt? Laut Weckesser nicht unbedingt. Gerade nach Ablauf des 9-Euro-Tickets sei Trampen wieder eine tolle Option, um im Alltag von A nach B zu kommen. Darüber hinaus spielen aber auch ökologische Faktoren eine Rolle: Durch das Trampen werden Autos nämlich einfach besser ausgelastet.
Wer per Anhalter reist, ist demnach mehr als zeitgemäß unterwegs – aber auch zeitig am Ziel? Wie lange warten Trampende auf die nächste Mitfahrgelegenheit?
Während es in Spanien, Italien und Griechenland eher schwieriger sei, per Anhalter zu fahren, sind die Balkanländer laut Weckesser ein gutes Pflaster für Tramperinnen und Tramper. Deutschland bewegt sich seiner Erfahrung nach im Mittelfeld: „Die Menschen hier sind erstaunlich nett zu Anhaltern, in der Regel dauert es zwischen zehn Minuten und eineinhalb Stunden, bis jemand stoppt.“ Ganz genau ließe sich das natürlich nicht sagen.
Das bestätigt auch Tramper Krzyzowski: „Einmal musste ich nur zehn Sekunden an der Straße stehen. Ein anderes Mal dagegen fast vier Stunden.“ Der „Hitchhiking-Style“, so meint er, sei daher nicht für jeden etwas. Was es braucht, sind Offenheit, gute Laune – und ein bisschen Mut.
Diese Vorsichtsmaßnahmen sollte man beachten
Angst haben müsse man nach Ansicht von Krzyzowski beim Trampen aber nicht. Hitchhiking sei im Großen und Ganzen relativ sicher. Dazu bedarf es allerdings ein paar Vorsichtsmaßnahmen.
Dazu rät auch die Gewerkschaft der Polizei, und hält auf ihrem Onlineportal Tipps bereit: Dazu gehört zum Beispiel, nie alleine zu trampen, nur bei Paaren oder Frauen mitzufahren und Kennzeichen und Fahrtziel zu Beginn der Reise per Handy an eine Kontaktperson zu schicken.
Die NGO „Club of Roam – Autostop! e.V.“ empfiehlt darüber hinaus, früh morgens zu starten, sodass man vor dem Dunkelwerden am Ziel ankommt – und ein gutes Picknick einzupacken.
Trampen bekommt nach Corona-Pause wieder Aufwind
Fest steht: Die Generation Hitchhiking ist noch längst nicht ausgestorben. Laut Krzyzowski und Weckesser geht es nach einer Tramperflaute während der Corona-Pandemie jetzt erst wieder los. Vor allem Spontaneität und Abenteuerlust treiben die Autostopper von heute an. Es ist das Interesse an Menschen, an Kulturen und neuen Erlebnissen, das vor allem junge Leute antreibt, Pappschilder zu schreiben, Stunden an Straßenrändern totzuschlagen und Daumen auszustrecken.
Für Tramper Krzyzowski ist das nächste Ziel das 40 Kilometer entfernte montenegrinische Mojkovac. Von dort aus geht es mit dem Zug nach Belgrad in Serbien, wo er ein Busticket in die Heimat gebucht hat. Denn ein bisschen Planungssicherheit brauchen auch Abenteurer – zumindest, wenn der Jahresurlaub zu Ende geht.