100 Jahre Bauchschmerzenbrücke: Torsten Gränzer schenkt ihr ein Märchen
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Torsten Gränzer schenkt der Bauchschmerzenbrücke ein Märchen zum Geburtstag.
© Quelle: Heiko Hesse
Brandenburg/H. Katarina war die jüngste Tochter eines auf dem Schloss Plaue ansässigen Adels-Geschlechts, welches ihren Weg längst vorbestimmt und den Ehepartner bereits ausgesucht hatte. Arturo hieß jedoch der junge Fischer, den sie auf ihren Wegen immer wieder begegnet war und dem sie sich schon bald sehr zugeneigt zeigte.
Auch ihm war das Mädchen schon lange aufgefallen, jedoch getraute er sich lediglich, sie aus der Ferne zu trachten. So geschah, was es musste und es blieb nicht aus, dass sie sich lieben lernten.
Leider aber geschah zudem, dass diese Verbindung nicht lange im Verborgenen stattfand und sich der edelblütige Vater der jungen Frau nunmehr gegen das Glück der Beiden aussprach. Er drohte, dem jungen Fischer den Garaus machen zu lassen und seine Tochter für immer im Schloss einzusperren, oder zumindest so lange, bis sie schließlich wieder bei Sinnen wäre.
Die wilde Jagd über die Seen von Brandenburg an der Havel
So lief Katarina, als sie dies vernommen hatte, schnell zu ihrem Geliebten und gemeinsam sprangen sie in sein Boot, um der Etikette und dem Vater zu entkommen. Der jedoch schickte alsbald seine Häscher hinter den Fliehenden her und es entspann sich eine wilde Jagd über die Seen bis hin zur Havelmündung, hinter jener das Paar sich erst einmal sicher glaubte.
Dennoch fuhren sie den Fluss hinauf, um in der nahen Stadt weiteren Schutz zu finden und neue Pläne zu schmieden. Die ersten Häuser lagen bereits neben ihnen, als sie plötzlich wieder ihre Verfolger hinter sich wussten, die schon in Rufweite angelangt waren.
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Noch einmal schlug Arturo das Ruder wie wild, um den bissigen Gesandten seines ihn verleugnenden Schwähers, von denen er überhaupt nichts Gutes für sich erwartete, abermals zu entkommen. Aber es schien hoffnungslos, denn die rückten näher und näher an sie heran.
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Torsten Gränzer, Jahrgang 1971, ist in Brandenburg an der Havel aufgewachsen.
© Quelle: Heiko Hesse
Gerade, als sich die Blicke des jungen Paares immer verzweifelter suchten und beide bereits ans Aufgeben dachten, erspähten sie zu ihrer Rechten einen fast verwunschen wirkenden Wassergraben, auf dem sich ihrer Jäger möglicherweise leichter entledigen ließe, als auf dem breiten Flusse. Nur führte an dessen Einmündung eine Brücke mit schneeweißem Geländer dahin, unter der das Boot mit seinem Mast, an dem sonst das Tuch hing, unmöglich hätte hindurchfahren können.
Da wölbte sich die Brücke an der Havel
Kaum hatte Arturo die Aussichtslosigkeit dieses letzten Fluchtweges abgeschätzt, wölbte sich jene Brücke plötzlich in die Höhe und bildete einen riesigen Bauch, unter dem es nun ein Leichtes war, sie zu durchqueren. Zum Wundern blieb den jungen Menschen keine Zeit und wären sie nicht selbst schon inmitten dieser Sage gewesen, hätten sie spätestens jetzt an ein Märchen geglaubt.
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Durch diese einladende Pforte wollten sie nun fliehen und sich hinter dem bis fast auf die Wasseroberfläche reichenden Geäst der ufersäumenden Bäume irgendwo einen Schutz suchen, in dem es sich gut verstecken ließe. Fest entschlossen trieb Arturo das Boot in den Graben hinein, der in seinem Verlauf bald über ein kaum zu erklimmendes Wehr führte.
Sie ließen sich in die Stadt Brandenburg hineintreiben
Die Verzweiflung in den Eingeweiden spürend überwanden sie das Hindernis dennoch und folgten dem Wasser entlang seiner Verzweigungen um eine Insel herum und zwischen Häusern hindurch. Sie schlugen Haken und Bögen, bis sie den Hauch ihrer Verfolger nicht mehr spürten und sie sich schließlich und in Sicherheit wägend im Schatten einer sich aufgetanen Ziegelsteinmauer langsam und ohne Ruderschlag weiter in die Stadt hineintreiben lassen konnten.
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Gerade, als sie bei einer Stelle angelangt waren, an der unweit ein „Ehebrecherturm“ genanntes Bauwerk gestanden hatte, versank das Boot plötzlich in der Tiefe und nie wieder ward einer von Beiden, oder auch nur ein Teil von ihnen, gesehen.
Dieses Stück des unheilvollen Grabens aber ist später zugeschüttet worden, während die Brücke mit dem weißen Geländer noch immer an ihrem angestammten Platze und in ihrer gewölbten Stellung verharrt, fast, als würde sie weitere sich heimlich Liebende einladen wollen, sie in ein erlösendes Verderben zu schicken.
Von Torsten Gränzer