Emil Spiess: Zwischen Bilderstürmern und Kunstliebhabern
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Die Bilder sind ausgewählt und müssen jetzt aufgehängt werden. Gemeinsam mit ihrem Sohn Jan hat Monika Spiess die Ausstellung mit Malereien ihres Mannes Emil Spiess vorbereitet.
© Quelle: Rüdiger Böhme
Brandenburg/H. Es wird kein Spaziergang durch ein Künstlerleben, der die Besucher erwartet, die sich ab Freitag in der Kunsthalle Brennabor auf das sechswöchige Abenteuer einlassen, ein paar Spuren zu folgen, die der Maler Emil Spiess auf Erden hinterließ. Es ist viel mehr.
Es ist das Leben einer Künstlerfamilie, die sich – zuerst nur aus dem Maler Emil und der Bildhauerin Monika Spiess bestehend, 1963 in Brandenburg an der Havel niederließ und die viele Jahrzehnte lang weit über die Stadt hinaus die Kunst in der DDR mit zu prägen wussten. Nicht in vorderster Front. Doch vorn dabei.
Kneisels Drängen war erfolgreich
Gewöhnliche Familien würden, wollten sie aus ihrem Leben erzählen, das Fotoalbum öffnen. Es ist dem Kurator Christian Kneisel zu danken, dass Monika Spiess, die jahrelang nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2009 dessen umfangreiches Werk kaum zu berühren wagte, ab 2018 ihr Herz und ihre Schatzkammer öffnete, um den Brandenburgern einen wunderbaren Einblick in künstlerische Welt ihres Mannes zu gewähren. Gut 70 Bilder hat sie aus ihrem Fundus herausgesucht.
Einige, wenige hat Kneisel mit vorsichtig drängender Hand dazu gestellt. Die Ausstellung wird zu einer Zeitreise. Sie beginnt in Dresden, zeigt Werke aus der Studienzeit des Malers und lässt erkennen, wie sehr dieser mit mutig-frechem Pinselstrich beispielsweise die Stadt Dresden verehrte und Licht und Farben ins Grau brachte.
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Der Brandenburger Maler Emil Spiess im Jahre 2008 bei einem seiner letzten Interviews mit der MAZ. Das Bild entstand wenige Monate vor seinem Tod.
© Quelle: Benno Rougk
Nach dem Krieg ging der 1938 geborene Emil mit den Seinen von Pommern nach Leipzig. Schon da fing er an zu zeichnen: Alles, was er sah, bannte er auf billiges Papier. Selbst die Schlachtenbilder aus den Zigarettenalben und Bilder aus der Zeitung. Dann ging alles schnell: Arbeiter-und-Bauern-Fakultät, Studium an der Kunsthochschule Dresden beim späteren Rektor Rudolf Bergander, Beststudent, Meisterschüler, Wilhelm-Pieck-Stipendiat, Mitglied des Verbandes Bildender Künstler. Gutverdiener und Künstler des Volkes.
Besuch beim Zauberer
Ein knappes Jahr vor seinem Tod 2009 lud Emil Spiess den Autor zu Besuch in sein Refugium in Klein Kreutz ein. 70 war er da gerade geworden, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, die ihn zu DDR-Zeiten hofierte.
Es war ein Besuch bei so liebenswerten wie zynisch-schrulligen Zauberer in einem zum Irrgarten umgebauten Magierhaus, in dem man sich auf engen Wegen zwischen ungezählten begonnenen und fertigen Bildern durch Spiess’ einzigen sichtbaren Luxus wühlen konnte. Also, in Öl gemalte Orgien aus Grün, Schwarz, Blau, Braun, Rot und Gelb. Noch damals stellte er sich fast jeden Tag vor seine Leinwand, das Augenlicht war in den Jahren immer schlechter geworden, dafür wurden seine Farben stetig intensiver, rauschhafter, greifbarer.
Mit dem Opernglas nah an der Leinwand
Die kleinen, zur Sparsamkeit rufenden daumendicken Ölfarben-Tuben aus der DDR-Zeit waren abgelöst worden von fetten Tuben mit Farben voller Leuchtkraft. Die Feinheiten auf seinen Bildern zu bearbeiten und zu erkennen und das Licht einzufangen, bediente er sich 2008 schon lange eines Opernglases. „Dass die Welt Konturen verliere, müsse kein Nachteil sein“, meint Spiess damals lachend und verweist auf Monet, dessen beste Bilder erst entstanden, als er fast blind war: „Vorher war er langweilig.”
Auch wenn Spiess den Untergang der DDR und des sozialistischen Experimentes zu bedauern schien, so sah er sich doch als Wendegewinner. „Ich kann von meiner Kunst leben, darauf bin ich stolz.” Das können kaum fünf Prozent der Künstler in Deutschland von sich behaupten. Damals wie heute.
Bilder vom Müll gerettet
Was er schwer verwinden konnte, waren die Bilderstürmer. „Nach der Wende landeten viele Bilder, vor allem Auftragswerke von meinen Mann auf dem Müll“, erinnert sich Monika Spiess kopfschüttelnd, als sie durch die Brennabor-Galerie läuft. Eines der großartigsten Werke der Ausstellung, ist ein Triptychon, das dass Arbeitsleben in der Brandenburger Elisabeth-Hütte zeigt. Das hat der Rietzer Metallbauer Burkhard Ahrend damals aus dem Müll gezogen, ein tumber Anstreicher hatte zuvor schon seine Farbrolle auf einem Teil des Bildes ausgedrückt.
„Das war das erste, was die neues Besitzer in die Tonne warfen“, sagt die kleine, quirliege 77-Jährige und streicht fast liebvoll über den schlichten Rahmen. Es ist Farbenspiel von Stahl und Feuer, mit Arbeitern, die nicht wie Helden des sozialistischen Realismus wirken sondern wie hart arbeitende Menschen, die dem Feuer den Stahlguss entreißen. Das Eli-Hütte ist heute nur eine Ruine, das Bild hält die Erinnerung daran wach.
Vom Dunkel ins Licht
Durch die Jahrzehnte seines Schaffens führt die Ausstellung den Besucher. Es ist eine Reise vom Grau in die Farbe, von der Dunkelheit ins Licht. Sie beginnt im grauen Beton des Aufbaus der DDR nach dem Krieg, sie nimmt den Besucher mit auf eine Handelsschiffsreise um die halbe Welt, die ihn und und die Bildhauerin Monika nach Kuba, Kolumbien und Mexiko führt. Sie erzählt von den Mühen der Landwirtschaft und dem rauschhaften Farbspiel der Gärten und Felder in der Sonne, sie lässt eine abstrakte Welt entdecken, die nur auf den ersten Blick ungeordnet scheint.
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Die Bilder sind ausgewählt und müssen jetzt aufgehängt werden. Gemeinsam mit ihrem Sohn Jan bereitet derzeit Monika Spiess die Ausstellung mit Malereien ihres Mannes Emil Spiess in der Kunsthalle Brennabor vor.
© Quelle: Rüdiger Böhme
„Hier ist alles, jeder Pinselstrich komponiert“, sagt Monika Spiess. Jeder Strich, so hätten sie es gelernt, hätte allein für sich auch als Kunstwerk gerahmt werden können müssen. „Anders als heute, wo das die jungen Leute nicht mehr lernen“, sagt die Künstlerin, die ihren Mann auf Schritt und Tritt begleitete, die ihn in die Betriebe und auf die Baustellen führ, die am Feldrand saß und las oder ihn im Auto zur Küste kutschierte und dort nähte.
Immer an seiner Seite: Monika Spiess
Sie ist die Konstante im Leben des Malers und zeichnet nun das seine nach. Mit Liebe, Achtung und nicht ohne Stolz. Kein Bild mit ihr selbst findet sich in der Schau und doch atmet die Galerie ihren Geist, denn sie hat diese Ausstellung komponiert. Zwei herausragende Bilder der Ausstellung zeigen die Söhne der beiden. Marc Spiess, heute Korrepetitor am Brandenburger Theater spielt als Jugendlicher am Klavier. Jeder Pinselstrich des fein gemalten Gesichtes ist mutig gesetzt, der Faltenwurf des Hemdes scheint sich aus der Leinwand zu heben.
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Die Bilder sind ausgewählt und inzwischen auch aufgehängt. Freitag ist die Eröffnung der Werkschau mit Malereien von Emil Spiess in der Kunsthalle Brennabor.
© Quelle: Rüdiger Böhme
Sein Sohn Jan Spieß , 1967 geboren, ist auf einem weiteren Bild zu sehen, dass der Vater 1973 gemalt und dann 2005 völlig verändert und mit viel intensiveren Farben übermalt hat. Allein diese Bilder sind Alben. Auch Jan Spiess hat die Künstlerlaufbahn als Maler eingeschlagen. Doch in keinem seiner Bilder kopiert er den expressionistischen Stil. "Es sind große Schuhe, die mein Vater hinterlassen hat. Aber ich vergleiche mich nicht mit ihm."
Jan hilft seiner Mutter beim Sortieren und Hängen der Ausstellung. Sein Bruder und Musiker Marc, auch ein begabter Fotograf, hat sich mit der Katalogisierung der Werke beschäftigt. Das Gros der etwa 6000 Bilder, die so ein Künstlerleben lang entstanden sein werden, ist verkauft, verloren oder hängt in Sammlungen. „Häufig waren die verkauften natürlich die Schönsten“, sagt Monika Spiess schulterzuckend.
Der Alte wäre stolz
Würde Emil Spiess diese Ausstellung sehen, er wäre stolz auf seine Frau und seine Söhne und sein Lebensalbum. Emil Spiess, der zumindest im Alter das Image des bedürfnislosen Bohemien pflegte, liebte es, durch sein vollgestelltes Refugium zu stolpern, in dem jeder Raum längst Atelier und Abstellkammer geworden war. „Mein Weib hat sich dran gewöhnt, dass wir Schlampen sind”, sagte Spiess 2008 bei der stundenlangen Schatzsuche schulterzuckend und keineswegs entschuldigend.
Wer Monika Spiess in ihrer feinen Art kennt, mochte das dem Alten schon damals nicht glauben. Wer jetzt „Emil Spiess – Ein Leben für die Kunst – Fünf Jahrzehnte Malerei“ sieht, erlebt eine aufgeräumte Welt. Und er erahnt, mit wie viel Liebe und Achtung die Künstlerin ihrem Mann folgte und dessen Marotten nonchalant übersah.
Info Ausstellung „Emil Spiess – Ein Leben für die Kunst“ wird mit einer Vernissage am Freitag, 24. Mai 2019 um 18 Uhr in der Brennabor Kunsthalle eröffnet.
Von Benno Rougk
MAZ