Gentzrode – ein ungewöhnliches Gut
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Im Dornröschenschlaf: Schloss Gentzrode zerfällt.
© Quelle: Robert Rauh
Gentzrode. Gentzrode liegt im Dornröschenschlaf. Hinter meterhohem Gestrüpp verstecken sich das imposante Schloss und der ehemalige Speicher mit Wohnturm. Die beiden Gebäude stehen zwar noch, aber aus den Dachrinnen wachsen Birken und durch die kaputten Türen, Fenster und Dächer dringt Feuchtigkeit ins Mauerwerk.
Das Schloss gleicht einer Tropfsteinhöhle. Überall riecht es nach modrigem Gebälk. Im ehemaligen Salon finden sich Graffiti an den Wänden und Reste einer Party. Seit Jahrzehnten ist der denkmalgeschützte Gutshof im Norden Neuruppins dem Zerfall preisgegeben. Trotz der Tristesse hat der historische Ort aber nichts von seiner magischen Anziehungskraft verloren.
Aufstieg und Fall
Gentzrode sucht in Brandenburg seinesgleichen. Die von der Kaufmannsfamilie Gentz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Gutshofanlage auf einer mit Heidekraut bewachsenen Sanddüne („Kahlenberge“) sollte den Besucher begeistern: ein Schloss im maurischen Stil (1876/77), unter anderem von Martin Gropius entworfen, sowie ein Landschaftspark, der „den Schöpfungen des Fürsten Pückler an die Seite gestellt werden“ könne.
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Erster Wohnsitz der Familie Gentz: Speicher mit Wohnturm.
© Quelle: Robert Rauh
Alexander Gentz (1825-1888) hatte sich jedoch übernommen, ging bankrott und musste das Gut 1881 verkaufen. Aufstieg und Fall von Gentzrode stießen auf Fontane Interesse. Der Dichter knüpfte Kontakt zu Alexander Gentz, der ihn nicht nur auf einigen Wanderungen durch das Ruppiner Land begleitete, sondern auch mit Materialien für das „Gentzrode“-Kapitel versorgte.
Fontane war schon früher vor Ort
Das Kapitel „Gentzrode“ wurde im ersten „Wanderungen“-Band („Die Grafschaft Ruppin“) erst 1875 aufgenommen und für die „Wohlfeile Ausgabe“ 1892 noch einmal komplett überarbeitet. Die bisherige Forschung geht davon aus, dass Fontane mit der Stoffsammlung im Frühjahr 1873 und mit einer Reise im Herbst desselben Jahres begonnen habe. Aber der Dichter war schon ein Jahrzehnt früher mit Gentzrode befasst.
Wie die digitale Edition der Notizbücher belegt, hielt sich Fontane bereits im Sommer 1864 in Gentzrode auf. Der Ort erhielt anschließend in der „Wanderungen“-Auflage von 1865 einen kurzen Abschnitt – in dem Kapitel „Dörfer und Flecken im Lande Ruppin“, das später ersatzlos gestrichen wurde.
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Speicher mit Wohnturm, Fontanes Zeichnung von 1864.
© Quelle: Digitale Notizbuchedition
Als Fontane Gentzrode 1864 besuchte, sah er den schon errichteten Speicher mit Wohnturm (1861). Von diesem Ensemble gibt es in einem Notizbuch zwei Zeichnungen des Autors. In den gedruckten „Wanderungen“ wird der Wohnturm dann ausführlich beschrieben.
So habe man im unteren Turmzimmer „alles in Bild und Schrift beisammen, die Personen und Gedanken, die Gentzrode seinerzeit entstehen ließen. Es ist eine dunkelgrüne runde Halle, oben mit goldenen Sternen bemalt.“ Noch heute, 150 Jahre später, finden sich in dem runden Turmzimmer Reste der grünen Wandbemalung und der Schriftzug „Gentz“.
Märchenhafte Träume
Seit 1881 wechselten in Gentzrode mehrfach die Besitzer. 1945 besetzte die Rote Armee das Areal, auf dem bis Anfang der 1990er Jahre rund 5000 sowjetische Soldaten und Offiziere stationiert waren. Nach dem Abzug der Truppen zerfiel die Anlage. Alle Versuche, das Gut zu sanieren, verliefen im Sande.
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Reste der alten Wandbemalung: Schriftzug „Gentz“ an der Innenwand des Wohnturms.
© Quelle: Robert Rauh
Auch die letzte Hoffnung scheint sich zu zerschlagen. Ein türkischer Investor hat das denkmalgeschützte Gut 2010 gekauft und will es zum größten Golf- und Freizeitresort Europas erblühen lassen. Ohne Superlative geht es in Gentzrode offenbar nicht.
Passiert ist seitdem, was der Ort seit Jahrzehnten kennt: nichts. Gentzrode zerfällt weiter. Und geschieht auch künftig nichts, wird sich die Natur das Gebiet zurückholen. Dann sollte man konsequent sein und dem Areal seinen alten Namen zurückgeben: „Kahlenberge“.
Die Autoren: Gabriele Radecke & Robert Rauh
Gabriele Radecke, geboren 1967, studierte Germanistik, Politik- und Rechtswissenschaft und promovierte zu Fontane. Sie ist Trägerin des Preises des Stiftungsrates der Universität Göttingen. Seit 2010 leitet sie die von ihr gegründete Fontane-Arbeitsstelle der dortigen Universität. Seit 2010 ist sie Mitherausgeberin der „Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe“ und hat gerade sämtliche Notizbücher Fontanes digital ediert. Die digitalen Notizbücher kann man hier einsehen. Robert Rauh, geboren 1967 in Berlin, ist Historiker, Lehrer und Seminarleiter. Er arbeitet als Herausgeber von Lehrbüchern und Träger des Deutschen Lehrerpreises. 2017 veröffentlichte er sein Buch „Fontanes Fünf Schlösser“, 2018 „Fontanes Frauen“, in denen er die Werke Fontanes unter die heutige Lupe nimmt. Gerade ist sein neues Buch „Fontanes Ruppiner Land“ erschienen. Weitere Rechercheergebnisse und Ausflugstipps gibt es hier.
Lesen Sie dazu auch aus unserer Reihe „Wandern nach Fontanes Notizen“:
Meseberg in Fontanes Notizbüchern
Ebenfalls finden Sie hier auch unsere Reihe „Fontanes vergessene Orte“:
Wildberg – das Dorf mit dem höchsten Kirchturm
Wie Bechlin in den Bann geriet
Buskow Trauma des Husarengenerals Zieten
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Wuthenow – Fontanes Dichtung und Wahrheit
Barsikow – Der Streit um das Luch
Binenwalde – Der Dichter und die schöne Sabine
Von Gabriele Radecke und Robert Rauh