Erinnerung an eine Nacht voller Gewalt
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Frauke Hoffmann (v. l.), Knut Mohr und Carsten Schober spielten auch jüdische Musik zum Gedenken.
© Quelle: Christian Bark
Wittstock. Sie sind zwar mit dem Leben davon gekommen und konnten noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust nach Shanghai auswandern. Dennoch dürfte die Reichspogromnacht 1938 wohl das Schrecklichste gewesen sein, was die Familien Rehfisch und Mendelsohn in ihrem Leben mitgemacht haben. Die jüdischen Familien lebten am Markt. Mit der Progromnacht am 9. November ließ das nationalsozialistische Regime endgültig die Maske fallen, es kam zu Gewaltakten und Vandalismus an Juden und ihrem Eigentum.
So auch in Wittstock vor 80 Jahren. „Es war der Beginn des Kriegs gegen die Juden“, sagte Evelyn Zibul vom Aktionsbündnis „Wittstock bekennt Farbe“ am Freitagabend vor den Stolpersteinen, die 2014 zur Erinnerung an die beiden Familien vor deren Häusern in den Boden eingesetzt worden waren.
70 000 solcher Stolpersteine gibt es bundesweit in über 1200 Orten, wie Evelyn Zibul erklärte. Seit 2011 organisiert das Aktionsbündnis jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November. Die jährt sich 2018 zum 80. Mal. „Deshalb gibt es in diesem Jahr auch ein besonderes Programm“, sagte Bündnismitglied Carmen Lange.
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Klaus Doll (vorne l.) erinnerte an das Schicksal der jüdischen Familie Mendelsohn.
© Quelle: Christian Bark
Nach dem Gedenken am ehemaligen jüdischen Friedhof in Wittstock, versammelten sich Bündnismitglieder und Bürger vor den Stolpersteinen am Markt. Vor dem Haus der Familie Mendelsohn erinnerte Bündnismitglied Klaus Doll an deren Schicksal. „Statt dass hier Akkordeon gespielt wurde, wurden 1938 mit Steinen Fensterscheiben eingeschlagen“, sagte er.
Dabei nahm er Bezug auf die musikalische Begleitung des Abends, wobei Frauke Hoffmann am Akkordeon, Carsten Schober am Saxofon und Knut Mohr an der Klarinette zum Teil jüdische Musik spielten.
Großes Interesse von Schülern
Zwischen 60 und 80 Menschen nahmen an der Gedenkveranstaltung teil, wie Carmen Lange schätzte. Darunter auch viele junge Leute. „Wir sind mit dem Geschichte-Leistungskurs hier“, sagte Schülerin Antonia Kölpin.
Bisher habe sie nicht gewusst, dass es die Gedenkveranstaltung in Wittstock gibt, auch nicht von der Existenz eines jüdischen Friedhofs.
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Zahlreiche Wittstocker gedachten an Stolpersteinen den nach der Reichspogromnacht ausgewanderten Juden.
© Quelle: Christian Bark
Ohne Schüler aber mit großem Interesse war auch Geschichtslehrerin Sabrina Müller zum Marktplatz gekommen. „Toll, dass es sowas auch in kleineren Städten gibt“, lobte sie die Veranstaltung.
Die wurde nach dem Gedenken im großen Sitzungssaal des Rathauses fortgesetzt. Nach einer Stärkung mit Suppe und warmen Getränken gab es einen Vortrag von Lukas Welz. Er ist Vorsitzender des Vereins Amcha in Deutschland.
Amcha hilft den Überlebenden
„Amcha bedeutet: einer von uns“, erklärte er. Damit hätten sich schon früh Holocaustüberlebende untereinander begrüßt. Der Verein setze sich seit 1988 für Überlebende des Holocaust und deren Nachkommen ein. Zunächst sprach er über den 9. November 1938, den er als „Anfang vom Ende“, als „Zeichen der totalen Vernichtungsfantasien Deutschlands gegen die Juden“ bezeichnete.
Er würdigte aber auch die Wittstocker und viele weitere Gedenkveranstaltungen, die an dieses Ereignis in der deutschen Geschichte erinnern. „Den Überlebenden ist das eine Genugtuung, zu erfahren, dass man in Deutschland an sie denkt“, sagte er.
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Lukas Welz (2. v. l.) erhielt als Dankeschön für seinen Vortrag Blumen vom Aktionsbündnis.
© Quelle: Christian Bark
Das habe er bei seinen Besuchen in Israel aber auch anderswo immer wieder gehört. Auf der anderen Seite würden die Wunden des Holocaust bei vielen immer noch tief sein und gerade im Alter wieder hervortreten.
„Für viele Überlebende bedeutete die Befreiung 1945 keine Freiheit“, sagte Lukas Welz. Das Erlebte sei oft verdrängt und verschwiegen worden. Deshalb helfe Amcha auch mit Kleinigkeiten wie Kochkursen, dass das Erlebte verarbeitet werden kann.
Und die Hilfe richte sich auch an Nachkommen Überlebender. „Auch sie haben mit den Folgen des Holocaust zu kämpfen“, erklärte Lukas Welz. Etwa in Form von erblicher Belastung oder fehlenden beruflichen Perspektiven.
Die Gedenkveranstaltung ist Teil der Reihe „Dunkles Echo“. In diesem Rahmen findet am Sonntag, 18. November, im Kino Astoria eine Filmvorführung statt. Gezeigt wird ab 14 Uhr der Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“. Der Eintritt ist frei.
Von Christian Bark