Stehende Ovationen für Shakespeare im Sprachengewirr
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Akteure verschiedener Nationen führen im Bad Belziger Kleinkunstwerk ihr Shakespeare-Stück im Sprachgewirr auf.
© Quelle: Andreas Trunschke
Bad Belzig. Im Kleinkunstwerk im Bad Belziger Mühlenhölzchen erlebte das begeisterte Plublikum am Wochenende eine ganz besondere Theateraufführung. Die Akteure des Projektes „Sans souci avec Shakespeare“, ein Integrationstheater für Vielfalt und Toleranz der Universität Potsdam, zeigte eine von nur acht Aufführungen seines Shakespeare-Stücks „Der Kaufmann von Venedig“. Ob es am schönen Wetter oder an den „Zumutungen“ dieser Aufführung lag, jedenfalls war der Saal diesmal entgegen der Gewohnheit nicht ganz gefüllt.
Akteure aus 14 Nationen
Dort stellte sich manchen Besuchern die Frage, wie das funktionieren soll: Menschen aus 14 Nationen mit drei Konfessionen spielen gemeinsam ein Stück in mehreren Sprachen, in Deutsch, Englisch und Arabisch, aber auch in Türkisch, Kurdisch, Urdu, Persisch, Italienisch, Dänisch, Russisch, Thailändisch, Französisch, Griechisch und sogar auf Sächsisch. „Also ist alles dabei, was sich im Mittelmeerraum nicht versteht“, fasst der künstlerische Leiter des Ensembles, Kaspar von Effra, einen Teil des damit verbundenen kulturellen Problems zusammen. Und dann ausgerechnet dieses Stück, dass wegen der tragenden Figur des „bösen“ Juden Shylock lange als in Deutschland unspielbar galt.
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Viele der Schauspieler bringen in das außergewöhnliche Theaterprojekt für Vielfalt und Toleranz ihre eigenen Erfahrungen als Flüchtlinge ein.
© Quelle: Andreas Trunschke
Doch es funktioniert. „Es ist erstaunlich verständlich durch das Spielen der jungen Menschen“, findet nicht nur die Bad Belziger Ortschronistin Helga Kästner. Natürlich versteht niemand im Raum alles Gesprochene. Unterstützung bieten aber Handzettel, die alle Gäste bekommen haben und denen sie die grobe Handlung entnehmen können. Dass man nicht Wort für Wort versteht, schafft überraschenden Raum, auf anderes zu achten. Man fühlt dem Klang der Sprachen nach und nimmt plötzlich Dinge wahr, die sonst oft verborgen bleiben. Wer will, kann sich richtig in die Sprachmelodien und in die Emotionen des Stücks fallen lassen.
Kulturell sehr unterschiedlich geprägte Figuren
Doch das Stück und die Aufführung begegnen sich noch auf einer anderen Ebene. Es treten kulturell sehr unterschiedlich geprägte Figuren auf, fast so vielfältig wie ihre Schauspieler. Wer will kann sich außerdem durch die Art der Aufführung ein klein wenig in die Lage der Flüchtlinge unter den Schauspielern versetzen. Diese müssen sich in verschiedenen, komplexen Handlungen im Alltag zurechtfinden, ohne jedes einzelne Wort verstehen zu können. Je ein Drittel der Schauspieler sind deutsche und ausländische Studierende sowie Flüchtlinge.
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Ein außergewöhnliches Theaterprojekt für Vielfalt und Toleranz begeistert im Bad Belziger Kleinkunstwerk.
© Quelle: Andreas Trunschke
Orkan Özgül aus Berlin, der den Shylock spielte und an der Potsdamer Universität Philosophie im Hauptfach sowie Linguistik studiert, war im vorigen Jahr über die Homepage auf das Projekt gestoßen. Er wollte früher einmal professioneller Schauspieler werden, jetzt bot sich ein Ersatz und außerdem gab es Punkte im Studium dafür. Nach dem ersten Stück „Der Sturm“, ebenfalls von Shakespeare, machte er weiter, auch wenn er jetzt keine Studienpunkte mehr dafür bekommt. Das Bad Belziger Publikum gefällt ihm: „Es geht richtig mit und hört sogar Nuancen heraus“, sagt der Schauspieler.
Vorbereitung auf engstem Raum
Das ganze Theaterprojekt lebt auch durch das Engagement vieler Menschen im Hintergrund. Rentnerin Anke Claes aus berlin-Wannsee beispielsweise hilft bei den Kostümen und beim Ankleiden und Schminken: „Die Leute müssen sich hier einen Wohnwagen zur Vorbereitung teilen, und es funktioniert.“ Tatsächlich klappt die Verständigung untereinander vor dem Wohnwagen so reibungslos wie auf der Bühne. Es fällt auf, wie rücksichtsvoll und fröhlich die Akteure miteinander umgehen.
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Akteure verschiedener Nationen führen ein Shakespeare-Stück im Sprachgewirr auf. Am Ende gibt es dafür stehende Ovationen.
© Quelle: AndreasTrunschke
Am Ende applaudieren die Zuschauer den jungen Schauspielern mit stehenden Ovationen. Wer kam, wird diesen Abend sicher gut in Erinnerung behalten.
INTERVIEW
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Kaspar von Effra, künstlerischer Leiter des Ensembles
© Quelle: Andreas Trunschke
Kaspar von Effra ist künstlerischer Leiter des Integrationstheaters „Sans souci avec Shakespeare“für Vielfalt und Toleranz der Universität Potsdam.
Herr Effra, wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Kaspar von Effra: Meine Tochter meinte, ich solle einmal etwas für Flüchtlinge machen. Ich wollte aber die Flüchtlinge nicht allein in die Rolle bringen, etwas lernen zu müssen, nämlich Deutsch.
Was ist für Sie der größte Erfolg des Stücks?
Dass wir die Zusammenarbeit so unterschiedlicher Kulturen erleben konnten und dass wir zu einem interkulturellen Team geworden sind.
Heißt das, dass die Zusammenarbeit reibungslos lief?
Natürlich gab es auch Konflikte und einen erhöhten Gesprächsbedarf. Aber am Ende haben wir es geschafft, gemeinsam auf ein anspruchsvolles Ziel hinzuarbeiten.
Woran messen Sie den Erfolg?
Viele Teilnehmer schleppen große gesundheitliche und psychische Probleme mit sich. Wenn mir dann einer nach der Aufführung sagt, dass er zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder glücklich sei, dann fühle ich, dass wir unserem Ziel näher gekommen sind.
Wie geht es weiter?
Die Uni verstetigt jetzt unser Projekt und hat es in den Lehrplan aufgenommen. Unser nächstes Stück wird wieder von Shakespeare sein. Mehr verrate ich nicht.
Wie gefällt Ihnen das Bad Belziger Publikum?
Die Leute hier sind sehr neugierig auf das, was gezeigt wird, und sie haben einen besonderen Bezug zu diesem Ort entwickelt.
Von Andreas Trunschke