So bescheiden waren die Wünsche von Emma aus Golzow 1925 an den Weihnachtsmann
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Emma Haagen (links) Anfang der 1930er-Jahre mit ihrer Cousine Hilde.
© Quelle: privat
Golzow. Geweint habe sie. Erzählt Helga Schulze. Geweint vor Rührung, wegen der plötzlich wieder hergestellten Nähe zu ihrer Mutter, die vor mehr als zwei Jahrzehnten gestorben ist. Geweint habe sie aber auch über diese unglaubliche Bescheidenheit. Da erwägt ein Mädchen allen Ernstes, den Weihnachtsmann gar nicht zu empfangen, weil andere Kinder eine Bescherung nötiger hätten.
Obwohl sie den Wunschzettel ihrer Mutter, der ihr unlängst beim Sichten bislang unbekannter Unterlagen in die Hände gefallen ist, inzwischen zig mal gelesen hat, huscht immer wieder ein Anflug von Beklommenheit über ihr Gemüt. Diesen Brief an den Weihnachtsmann hat die 13-jährige Emma Haagen, spätere Schulze, aus Golzow, im Jahre 1925 geschrieben.
Emmas Brief aus Golzow an den Weihnachtsmann
„Lieber Weihnachtsmann”, beginnt Emmas Brief, „du weißt, daß das Weihnachtsfest vor der Tür steht. Ich hatte noch keine Zeit, dir meine Wünsche zu schreiben. Bis heute hoffte ich, daß ich dich selber treffen, und dir alles persönlich sagen könnte, aber nun habe ich meine Hoffnung aufgegeben, denn ich weiß, daß du viel Arbeit hast. Auch ich habe etliche Sachen, dir zur Erleichterung, zum Weihnachtsfeste gemacht. Vergessen wirst du mich doch nicht haben.
Lieber Weihnachtsmann, meine Wünsche sind in diesem Jahr sehr klein und gering. Ich habe auch nicht den Mut, daß ich meinen Eltern und dir eine lange Reihe von Wünschen aufzähle, wie ich es alle Jahre getan habe, denn meine Eltern müssen auch schon an meine bevorstehende Konfirmation denken.
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Lieber Weihnachtsmann – die erste Seite des Briefes.
© Quelle: privat
Ich habe alles und brauche nichts zum Weihnachtsfeste. Darum behalte in diesem Jahre dein Geschenk und gib es anderen artigen Kindern, die es bedürfen. Einen kleinen Wunsch habe ich doch noch. Bring mir doch, wenn du es übrig hast, ein schönes Gesangbuch und eine bunte Schürze, die ich noch gebrauchen kann.
Nun will ich schließen, denn die Zeit erlaubt es nicht mehr, es ist auch viel Arbeit vor dem Feste. Ich denke, daß ich dir alles gesagt habe. Nun bitte ich dich noch einmal recht herzlich, erfülle meine kleinen Wünsche. Meine Adresse wirst du hoffentlich noch wissen.
Mit vielen Grüßen”, schließt Emma ihren sehr sauber verfassten Brief.
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Mit vielen Grüßen verbleibe ich Emma Haagen – die zweite Seite.
© Quelle: privat
„Sie hat mir nie davon erzählt”, sagt Helga Schulze. Ihre Mutter habe überhaupt sehr wenig über ihre Kindheit und Jugend in Golzow berichtet. Hart muss diese Zeit gewesen sein. So viel habe sie aus den Gesprächen herausgehört. Emma war wenige Jahre alt, als ihre Mutter starb. Der Vater nahm eine neue Frau ins Haus, die sich zu einer recht gestrengen Schwiegermutter entwickelt habe. „Was ich nicht verstehen kann, denn sie war für mich eine wunderbare Großmutter”, erinnert sich Helga Schulze, „ich habe meine Oma sehr gern gehabt.”
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Golzow, Mitte der 1920er-Jahre: Die Landwirtschaft prägt das Leben der Menschen im Planetal. Emmas Vater hatte eine kleine Landwirtschaft, verdiente sich allerdings auch als Jagdaufseher für die reicheren Jagdpächter im Ort Geld dazu. „Es waren einfache Verhältnisse, in denen meine Mutter lebte”, berichtet Helga Schulze, „eher etwas ärmlich.”
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Golzow an Plane und Temnitz auf einer Luftaufnahme um 1930.
© Quelle: Sammlung Hesse Brandenburg
Emma packte in Haus und Hof zu und entwickelte ihren enormen Fleiß, ihre Liebe zur Landwirtschaft und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Dies drückt sich gewiss im Weihnachtswunsch nach einer schönen Schürze aus.
Ein bescheidenes Leben in Golzow
Und sie war fromm. Emma Haagen war das Wort des Herrn ein steter Halt und immer neuer Auftrag zu helfen. Jesus sprach: „Was du einem meiner geringsten Schwestern und Brüder getan hast, das hast du mir getan.” Ihre Mutter habe geholfen, wo immer Hilfe nötig war, und habe stets gegeben. „Sie hat das letzte Stück Brot geteilt”, erzählt die Tochter.
Dies dürfte den Wunsch nach einem Gesangbuch erklären. Helga Schulze ist überzeugt, dass der Weihnachtsmann der lieben Emma die beiden Wünsche erfüllte. „ich habe überall gesucht, aber weder die Schürze noch das Gesangbuch finden können”, bedauert sie.
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Die Golzower Kirche im Schnee, fotografiert am 17. Dezember 2010.
© Quelle: Heike Schulze
So richtig erklären könne sie sich die tiefe Gläubigkeit ihrer Mutter nicht. „Sie ist immer eine hilfsbereite und feine Frau geblieben”, schwärmt Helga Schulze. Selbst Widerstände hielten sie nicht ab.
Vor dem Ende des Krieges und danach, Emma hatte längst geheiratet und war zur Familie ihres Mannes in die Hauptstraße gezogen, zwängten sich die Flüchtlings- und Vertriebenenströme durch Golzow. Ins Haus der Schulzes kam eine Familie. „Meine Mutter hat den Flüchtlingen immer etwas zugesteckt, mal eine Hand voll Kartoffeln, mal ein Stück Speck.”
Emma hatte in Golzow immer ein offenes Ohr
Der Schwiegermutter hat dies allerdings ganz und gar nicht geschmeckt. „Die war leider nicht so freigiebig”, erinnert sich Helga Schulze an ihre andere Großmutter. „Meine Mutti hat es eigentlich nie leicht gehabt.”
Dennoch sei sie nie unzufrieden gewesen und habe immer Freundlichkeit ausgestrahlt. Immer habe sie ein offenes Ohr gehabt und jedermann Trost gespendet oder eine Decke zum Wärmen.
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Helga Schulze ist überzeugt: „Es gab keinen besseren Menschen als sie.” Da versteht es sich wohl von selbst, dass Tränen rollen, wenn man sich an so etwas Schönes und Gutes erinnert — und wenn es der Wunschzettel eines Mädchens ist, das mit 13 noch an den Weihnachtsmann glaubt.
Dieser Beitrag ist erstmals am 24. Dezember 2007 in der MAZ erschienen.