Letzte Ehre für Liesel Willkomm
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3SEOHG7WQMR2ZKJAVB424CXU5E.jpg)
Vor dem letzten Wohnhaus von Elisabeth Willkomm ist gestern der 23. Stolperstein in der Gemeinde verlegt worden. Quelle: Gesine Michalsky
Kleinmachnow. Sechs Generationen der Familie Willkomm sind aus ganz Deutschland und den USA nach Kleinmachnow gereist, um am Mittwochnachmittag ihrer Tante und Großtante Liesel Willkomm (15. Dezember 1912 bis 20. Oktober 1942) zu gedenken. Vor dem letzten Wohnhaus der jungen Frau am Zehlendorfer Damm, heute offizielles Zuhause des Rappers Bushido, verlegte der Künstler Gunter Demnig vor den Augen der rund 50 Angehörigen einen seiner Stolpersteine, mit denen er an die Opfer des Nationalsozialismus’ erinnern möchte. In Kleinmachnow ist es der 23. Stolperstein, auch Kirchenmitglieder und Nachbarn begleiteten die Aktion.
Das Schweigen in der Familie gebrochen
Liesel Willkomms Großnichte Hanna Gudemann nutzte den berührenden Moment und appellierte an alle Anwesenden:„Wir müssen offen darüber reden, dass das Leben von Menschen nicht wieder als unlebenswert verachtet wird. Wir müssen dagegenhalten und auf uns achten.“ Vor mehr als zehn Jahren hatte die junge Frau angefangen, ihre Mutter und ihre Großmutter nach der Geschichte ihrer Großtante Liesel zu befragen. „Ich habe damals in der Familie noch ein Tabu gebrochen“, erzählt sie. Über Liesel habe die Familie nicht gesprochen, „man schämte sich“.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VCB5X2R7ZAK5VRBSU7V7ZA2JYQ.jpg)
Sogar aus Amerika kamen Familienangehörige zur Gedenkstunde.
© Quelle: Gesine Michalsky
Elisabeth, genannt Liesel, Willkomm wurde im Elsass als 10. von 13 Kindern geboren. Das jüngste Kind starb zwei Wochen nach der Geburt. Nach Kleinmachnow zog die Familie 1924 mit zwölf Kindern, weil sie nach dem ersten Weltkrieg nach Deutschland geflohen waren.
Dort leitete Liesels Vater eine theologische Schule im ehemaligen Seemannserholungsheim. Die Kinder spielten viel im großen Garten und die Schwestern Marie, Käthe und Liesel waren fast im selben Alter und unzertrennlich – so hatte es Marie ihrer Enkelin Hanna erzählt.
Odyssee durch Heilanstalten
Über das schreckliche Ereignis allerdings, das dann passierte, redeten die Geschwister nie. Im Oktober 1942 wurde Liesel wegen psychischer Probleme von ihren Eltern in ärztliche Obhut gegeben. Man wies sie zunächst in die Nervenheilanstalt Wittenau in Berlin ein und verlegte sie dann in die Landesanstalt Neuruppin. Nach nur elf Tagen erhielten die Eltern die traurige Nachricht vom Tod ihrer Tochter.
NS-Staat ließ psychisch Erkrankte töten
Was mit ihr geschehen war, hatten die Angehörigen nun auf einem Informationsblatt zusammengefasst, das sie gestern an alle Anwesenden verteilten. Darauf zu lesen: Liesel wurde Opfer der NS-Ideologie, die psychisch Erkrankte systematisch als „lebensunwert“ behandelte, was einem Todesurteil gleichkam. Mit Medikamenten-Überdosis und Unterernährung habe man Patienten in Heil- und Pflegeanstalten getötet, als offizielle Todesursache Herzmuskelschwäche angegeben.
Vier neue Stolpersteine in Potsdam
Auch in Potsdam-Babelsberg wurden am Mittwoch Stolpersteine verlegt. Dort erinnern nun vier Mahnmale im Boden der Stahnsdorfer Straße an die jüdische Familie Wohl. Das Ehepaar Erna (*1895) und Siegfried Wohl (*1889), ihre Tochter Inge (*1924) und ihr Sohn Gerhard (*1928) wurden 1942 von den Nazis nach Riga deportiert. Sie überlebten die Shoah nicht. Gemeinsam mit der Familie wurden zwei Untermieterinnen ihrer Wohnung deportiert: Regina Hirschberg und Charlotte Henschel. Als einziges Familienmitglied erlebte die Tochter Hannelore (*1922) das Ende des Zweiten Weltkriegs, sie lebte in Palästina. Der erste Stolperstein in Potsdam wurde im Jahr 2008 verlegt. Auf der Homepage der Landeshauptstadt sind die Biografien hinter jedem der nunmehr 34 verlegten Steine zu finden.
Zum Schicksal ihrer Großtante geforscht hatte Hanna Gudemann unter anderem im Krankenhaus Neuruppin, dem Todesort von Liesel Willkomm. „Dort waren wir die ersten Familienangehörigen, die nach Unterlagen im Archiv gefragt haben,“ berichtet Gudemann. Allerdings blieben ihre Nachforschungen ohne Erfolg. Genau wie in Wittenau seien dort alle Akten über ihre Großtante vernichtet worden.
Liesel Willkomm wurde auf Wunsch ihres Vaters auf dem Waldfriedhof in Kleinmachnow beigesetzt. Damals sollen viele Menschen dabei gewesen sein, die die junge Frau gekannt haben. „Und vielleicht“, sagt Hanna Gudemann, „kann sich ja in Kleinmachnow heute noch jemand an Liesel erinnern“.
Von Gesine Michalsky