Lily Braun – die vergessene Feministin
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Das historische Wohnhaus von Lily Braun in seinem Ursprungszustand (Gartenseite).
© Quelle: L. Krone (Repro)
Kleinmachnow. Wer dieser Tage den Erlenweg in Kleinmachnow passiert, kann die eingerüstete Kaiserzeitvilla nicht übersehen, die zurzeit rundumerneuert wird. Hier lebte bis zu ihrem Tod am 9. August 1916 die Sozialistin und Frauenrechtlerin Lily Braun, deren Grab sich wohl zwei Grundstücke weiter befindet. Das einstige Riesengrundstück ist inzwischen parzelliert und wurde mit weiteren Villen bebaut, so dass sich das mutmaßliche Urnen-Grab der Feministin und ihres Sohnes jetzt im Garten eines Nachbarn befindet.
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Das Grabmal für die Urnen von Mutter Lily und Sohn Otto Braun im Kleinmachnower Erlenweg.
© Quelle: L. Krone
Wie von der für Kleinmachnow zuständigen Denkmalschutzbehörde zu erfahren war, hatte der Heimatverein die Eintragung in die örtliche Denkmalliste angeregt und diesem Antrag wurde insofern stattgegeben, als dass der 1926 von Hugo Lederer geschaffene Gedenkstein nun in diese Liste eingetragen wurde. Ob sich hier auch die beiden Gräber von Mutter und Sohn befinden, ist urkundlich noch nicht nachgewiesen, aber sehr wahrscheinlich, da dieser Wunsch Bestandteil des Testaments der Feministin war. Zudem bezog sich laut Denkmalbehörde damals das Verbot von Bestattungen außerhalb von Friedhöfen nicht auf Urnenbestattungen. Leider fehlt auf dem Grabmal inzwischen die krönende henkellose Schmuckamphore. Auf einem Foto von 1950 ist sie noch zu sehen. Ihr rätselhaftes Verschwinden passt zur Biografie der adligen Generalstochter, die geradezu wundersam zur Schriftstellerin und mitreißenden Kämpferin für Frauenrechte wurde.
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Lily Braun satrb mit nur 51 Jahren in Kleinmachnow
© Quelle: L. Krone (Repro)
1865 in Halberstadt geboren, wuchs Amalie (Lily) von Kretschmann in einem erzkonservativen Elternhaus auf. Der General nebst hochwohlgeborener Gattin führten eine frostige Ehe und so floh das bildhübsche, von Hauslehrern geschulte Mädchen bis zum 25. Lebensjahr in die glitzernde Scheinwelt der kaiserlichen Bälle. Der Bruch mit diesem Leben im steifen preußischen Wertekanon kommt unerwartet und von außen. 1889 fällt das ungekrönte Oberhaupt ihrer Familie beim gekrönten Oberhaupt des Reichs in Ungnade. Der Entlassung ihres geliebten Vaters aus der kaiserlichen Armee folgt der wirtschaftliche Abstieg der Familie.
Lily zieht nach Berlin und schreibt erste literaturhistorische Arbeiten, mit denen sie sich eine eigene Existenz aufzubauen versucht. Dort lernt sie den gelähmten Universitätsprofessor Georg von Gizycki kennen, durch den sie mit so ungewohnten Themen wie Sozialismus und Feminismus in Kontakt kommt. Die beiden heiraten; sie arbeitet für die Zeitschrift „Frauenbewegung“ und wird Vorstandsmitglied im Verein „Frauenwohl“.
Nach dem Tod ihres Mannes 1895 sagt sie sie sich endgültig von ihrer adligen Herkunft los, bekennt sich auf dem Londoner Frauenkongress zur Sozialdemokratie und wird SPD-Mitglied. Sie besucht die Slums und Proletarierviertel von London und nimmt Kontakte zur Gewerkschaftsbewegung auf. 1896 heiratet sie den sozialdemokratischen Politiker und Publizisten Heinrich Braun. Noch im gleichen Jahr wird ihr Sohn Otto geboren. Trotz all ihrer Bemühungen, eine Brückenbauerin zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung zu werden, blieb sie beiden sich bekämpfenden Lagern fremd. Clara Zetkin lehnte sie als zu bürgerlich ab; den bürgerlich frauenbewegten Damen war sie zu radikal. Lily Braun befasste sich mit Themen wie Wöchnerinnenschutz und kämpfte für die Einbeziehung der Heim- und Landarbeit in die Sozialversicherung.
Die Braun-Villa
Das Sozialistenpaar Lily Braun (1865-1916) und Heinrich Braun (1854-1927) ließ sich in Kleinmachnow 1909 als eine der ersten Siedler außerhalb des Gutsbezirkes ein Landhaus bauen. Aus dem Haus, das die Erben nach 1945 für soziale Zwecke zur Verfügung stellten, wurde ein Kinderheim, das „Lily Braun Kinderheim“ als ihr Vermächtnis gegründet. Später wurde es die Förderschule „Albert Schweitzer“ für geistig behinderte Kinder – bis zum Sommer 2014. Kurzzeitig war das Haus als Flüchtlingsheim in Betracht gezogen worden. Im Oktober 2014 war vom Landkreis, Eigentümer der Immobilie, nicht-öffentlich der Verkauf der Villa beschlossen worden. Auf die Ausschreibung mit einem Mindestpreis von 1,2 Millionen Euro wurden mehrere Angebote abgegeben. Ein Immobilieninvestor überbot die Summe und kaufte das Haus.
Ihr frühzeitiger Tod war tragisch: Am 6. August 1916 ist sie auf dem Weg zum Postamt, um nach Feldpost ihres Sohnes zu fragen. Dabei erleidet sie einen Schlaganfall und stirbt zwei Tage später. Der zufällig zum Fronturlaub anreisende Sohn sieht seine Mutter auf der Totenbahre wieder. Im April 1918 fällt der Lyriker im finalen Weltkriegsgemetzel an der Somme (Frankreich).
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Lily Brauns Sohn, Otto. Der junge Lyriker fiel im I. Weltkrieg an der Somme.
© Quelle: L. Krone (Repro)
Mit der Restaurierung des Hauses geht nun eine Wiederentdeckung von Lily Braun und ihrer Familie einher. Axel Mueller vom Heimatverein wies in einem Aufsatz auf bislang vernachlässigte Aspekte ihrer Biografie hin. Für ihn ist die angestrebte Gewaltlosigkeit bei gesellschaftlichen Reformen, die einst zum Zerwürfnis mit den radikalen Sozialistinnen führte, eine wiederentdeckte Qualität Lily Brauns.
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Die einstige Braun-Villa lässt der neue Eigentümer gerade sanieren.
© Quelle: L. Krone
Von Lothar Krone