Chaotische Anreise zum Baumblütenfest
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Vor allem am Abend, wenn die teils stark betrunkenen Massen Werder über den Bahnhof wieder verlassen wollen, müssen die Bundespolizisten den Überblick bewahren.
© Quelle: Julian Stähle
Werder. Ein Fahrgast stützt sich an der Wand ab, schaut nach unten, ihm ist schwindelig. Die Luft ist stickig. Der eingefahrene Regionalzug am Potsdamer Hauptbahnhof platzt aus allen Nähten. Die Bitte, nicht in den Zug einzusteigen, wird einfach ignoriert. Die Menschen strömen trotzdem hinein. Gemecker im Zuginneren. "Steht doch auch überall, dass man nicht einsteigen darf", tobt ein Fahrgast. Im Regionalzug von Potsdam nach Werder stehen die Menschen dicht an dicht. Ihr Ziel: die Baumblüte. Barbara Heinze (55) aus Teltow ist verärgert:"Ich fahre so gut wie nie mit der Bahn. Aber das ist ein Unding. Schließlich zahlt man fast schon ein Vermögen für eine Bahnkarte. Wenn solch ein Event ins Haus steht, muss man sich eben etwas einfallen lassen."
Kaum in Werder, fallen die Gäste aus dem Zug und schnappen nach Luft
Kaum in Werder angekommen, fallen die Besucher aus dem Zug, schnappen nach Luft. „Es war voll, aber noch sind ja alle nicht ganz besoffen,“ sagt der 32-jährige Tim aus Berlin beim Ausstieg in Werder. Eine Gruppe Jugendlicher zieht vorbei und singt: „Saufen, morgens, mittags, abends – nur saufen“ dazu dröhnt laute Musik aus dem Rucksack. Der Sound des Abends, der noch mehrmals ertönen wird.
Um in die Blütenstadt zu gelangen, müssen sie die Absperrungen der Polizei durchqueren. Zwei Durchgänge, die wie ein Nadelöhr aufeinander zulaufen. Immer wenn eine neue Bahn aus Berlin kommt, bildet sich eine dicke Schlange. Die Polizistin greift zum Mikrofon. Glasflaschen sind auf dem Festgelände nicht erlaubt, sagt sie. Die Besucher sind einsichtig, stellen die Glasflaschen ab, scherzen mit den Polizisten – freuen sich bei klarem Sonnenschein sichtlich auf das Fest.
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Polizeioberrätin Ute John leitet den Einsatz der Bundespolizei zur Baumblüte am Bahnhof Werder.
© Quelle: Julian Stähle
Am späten Nachmittag wird es ruhiger, einige Besucher verlassen das Gelände, einige kommen. Polizeioberrätin Ute John trifft ein. Die 48-Jährige leitet den Einsatz der Bundespolizei während der An- und Abreise am Bahnhof. „Aus Erfahrung der letzten Jahre wissen wir, dass sich die Massen mit Ende der Baumblüte in Bewegung setzten, sie können hier nicht so abfließen und es staut sich,“ sagt John. Durch die langen Wartezeiten bis zu einer Stunde könne es auch zu gesundheitlichen Schwierigkeiten kommen. Einige Polizisten tragen dafür einen Erste-Hilfe-Rucksack. Auch auf den Ernstfall sind die Beamten eingestellt: „Wir sind immer vorbereitet und müssen immer mit einem Anschlag rechnen,“ sagt John. Für diesen Fall würden sie sofort das Einsatzkonzept wechseln.
Dann wird es langsam voller. Ab 19 Uhr drängen die Menschen wieder in Richtung Bahngleis. Schaffner Thomas Stahlberg nimmt es gelassen. Es ist seine 15. Baumblüte, zu der er sich sogar freiwillig gemeldet hat. „Klar ist es stressig, weil hier mehr los ist als sonst, aber es ist ein angenehmer Stress. Schwierig wird’s, wenn sie ans Gleisbett kommen“, sagt Stahlberg.
Die ersten Pöbeleien beginnen
Die ersten Pöbeleien beginnen. „Wichser“ – beschimpft ein angetrunkener Mann den Polizisten und weigert sich, seinen Rucksack kontrollieren zu lassen. Weiter hinten am Bahngleis spielen sich ähnliche Szenen ab: Ein Mann diskutiert mit dem Beamten, droht sogar, ihn anzuzeigen. Sofort filmt ein Polizei-Kollege mit der Überwachungskamera zum Beweis die Szene. Fast im Fünf-Minutentakt ziehen sie jetzt Männer und Frauen raus hinter die Absperrung. „Man muss sich darüber bewusst sein, dass die Leute teilweise stark alkoholisiert sind. Da muss die Kommunikation angepasst werden, damit keine Gefährdung eintritt,“ weiß John. Eine besondere Herausforderung am Bahnhof Werder: Der Bahnsteig ist schmal. „Ein Nachpressen muss verhindert werden, um zu gewährleisten, dass niemand in den Gleisbereich gedrängt wird,“ so John.
Vor dem Bahnhof kommt es jetzt nach Festende zu erheblichen Staus und Wartezeiten, bei Facebook werden die ersten Videos geteilt "Sowas habe ich noch nicht erlebt," kommentiert eine Frau. Die Polizei muss den Bahnhof tatsächlich wegen Überfüllung schließen. Auch der Einstieg in den Zug ist schwierig, zwei Bahn-Mitarbeiter sichern links und rechts die Tür, damit keiner ins Gleisbett fällt. "Hatten wir alles schon", sagt der eine. Zwischen die Menschen geklemmt, wird man in den Zug mitgetragen. Dort beruhigt sich dann die Lage – wer nicht mehr übermütig grölt, sitzt und schlummert vor sich hin.
Von Anne Knappe
MAZ