So sollen Bürger die Landwirtschaft ökologischer machen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ANWY7V5NFROT5UVCPEPBVH7XZM.jpg)
Auf dem Biohof Werder setzt Landwirt Jochen Fritz auf Vielfalt. Die Wasserbüffel sind neben Hühnern, Obst und Ackerbau nur ein Standbein.
© Quelle: Gabriele Spiller
Werder. Es sind die kleinen Momente, in denen einem der Zusammenhang von Mensch, Tier und Landschaft so richtig bewusst wird: Dort grasen die Wasserbüffel auf einer Weide in Plessow, hier liegt ein Vorfahre als Büffelsalami auf dem Holzbrett. Die Kirschen sind reif, aber die Kirschfruchtfliege hat auf diesem Bioobstfeld ganze Arbeit geleistet, da wird nichts in den Verkauf kommen. Die viel beschworene Agrarwende ist nicht einfach, erst recht nicht in Brandenburg, wo es noch mehr Hindernisse zu bewältigen gebe als in anderen Teilen der Deutschlands, sagt Jochen Fritz.
Der Diplom-Agraringenieur betreibt den Biohof Werder im Nebenerwerb im vierten Jahr. Die Förderungspolitik mit einer zu kurzen zweijährigen Umstellungsprämie sei ein Problem, denn der Wechsel von der konventionellen Landwirtschaft zum Biobetrieb koste Zeit und Geld. Um Geld wird es noch ein paar Mal gehen, bei diesem Pressegespräch auf Einladung der Regionalwert AG. Denn diese sucht Kleinaktionäre, Menschen, die ihren Beitrag zwischen 500 und 10.000 Euro zur Agrarwende leisten möchten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RII5ZLSFQAKSNGP2EDLKCYBNJQ.jpg)
Sie kämpfen für eine Agrarwende (v.l.): Phillip Brändle, Timo Kaphengst und Jochen Fritz.
© Quelle: Gabriele Spiller
Berlin, der wichtigste Wachstumsmarkt für ökologisch produzierte Lebensmittel in Europa, liegt in Reichweite. Bio-Supermärkte und Food-Start-ups mit ethischem Anspruch suchen gesundes Essen mit kurzem Anfahrtsweg. Was nicht alle wissen: Die Region kann die Nachfrage bisher nicht decken. Es stehe zu wenig Brandenburger Fläche für die Erzeugung von ökologischen Lebensmitteln zur Verfügung, informiert die Broschüre der Regionalwert AG.
Die Anbaufläche für Bio-Gemüse habe 2017 bei nur 383 Hektar gelegen, also ungefähr der Fläche des Tempelhofer Felds mit dem Flughafen in Berlin. Jochen Fritz und Timo Kaphengst, beide im Vorstand der Regionalwert AG, sehen dringenden Handlungsbedarf. Das vor gut einem Jahr gegründete Unternehmen mit Sitz in Potsdam hat erste Projekte angeschoben, aber es braucht Geld. Anderthalb Millionen Euro Kapitalaufstockung schwebt ihnen bis 6. September vor.
Zu wenig Eigenkapital für Kredit
Mit diesem Volumen möchten sie Jungbauern wie Phillip Brändle unterstützen. Sein Wunsch ist, gemeinsam mit seiner Partnerin, einem Auszubildenden und später einer Fachkraft, einen Biohof zu gründen. Für die Übernahme eines konventionellen Betriebs, inklusive Fläche, Gebäuden, Tieren, Maschinen und Fahrzeugen, hat er rund 1,5 Millionen Euro veranschlagt. Die haben der 34-jährige gelernte Landwirt und Agrarwissenschaftler und seine schwangere Freundin nicht.
Sie hätten 100.000 Euro Eigenkapital, womit ihnen – trotz eines gelobten Business Plans – keine Bank einen Kredit gab. „Uns wurde eine Rückzahlung bis zum 65. Lebensjahr vorgerechnet“, sagt Brändle, der aus Stuttgart zugezogen ist. Seit Monaten hatte er sich um die Übernahme eines Brandenburger Hofs bemüht, doch der Notartermin platzte, da sich der Verkäufer in letzter Minute für jemand anders entschied.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/O3F6XKUPXW632N2P75EMCN5AQU.jpg)
Hühnerhaltung auf dem Biohof in Werder.
© Quelle: Gabriele Spiller
„Wir brauchen viele junge Menschen, die in die Landwirtschaft gehen und Höfe übernehmen“, bekräftigt Fritz, der ebenfalls aus Baden-Württemberg zugezogen ist. “Die Regionalwert AG greift ihnen nicht nur finanziell unter die Arme, sondern auch mit Kontakten und Kooperationen zu Weiterverarbeitung und Handel.“ Denn hier tut sich die nächste Schwierigkeit auf: Wer Getreide, Mais, Kartoffeln kultiviert oder Mutterkühe hält, wie es Brändle geplant hatte, ist noch nicht in die Wertschöpfungskette eingereiht. Und in Brandenburg fehle es an Schlachtereien, Molkereien und Getreidemühlen.
Auch in diese Infrastruktur möchte die Regionalwert AG eines Tages investieren, oder in Restaurants und Catering wie andere Regionalwert AGs in Deutschland. Die derzeit 225 Aktionäre haben schon 324.500 Euro zusammengetragen. Ein sechsköpfiger Aufsichtsrat aus ökologisch versierten Landwirtschaftsexperten führt die Geschicke. Eine Dividende gab es bisher nicht und wird es auch kurzfristig nicht geben: „Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder und Enkel davon profitieren“.
Bodenpreise vom Markt entkoppelt
Eine Beteiligung besteht bisher an der Apfeltraum AG in Müncheberg, aus der die Regionalwert hervorgegangen ist. Dass sich mehr Bürger für eine Landwirtschaft ohne Billiglöhne, Pestizide, Massentierhaltung und Bienensterben einsetzen, gestalte sich auch deshalb kostspielig, weil der Boden zum Spekulationsobjekt geworden sei. „Das hat sich vom Markt entkoppelt“, sagt Timo Kaphengst, „die zu hohe Verschuldung ist durch die Produktion nicht reinzuholen“. Da würden zwar EU- und andere Agrarsubventionen greifen, doch diese förderten den Flächenanbau. Viel Geld gehe an wenige.
„Große LPG-Nachfolgebetriebe kämpfen für den Erhalt des Flächensystems“, fügt Brändle hinzu. Der Schlüssel sei, dass Gelder, auch aus der Lebensmittelindustrie, in Richtung ökologischen Landbau umgewidmet würden. Die erwachende Liebe der Discounter für Bioprodukte führe jedoch wiederum zu großen Handelschargen uniformer Produkte.
27 Wasserbüffel leben in Plessow
„Durch Spezialisierung kann man günstiger anbauen“, so Fritz, es habe sich aber gezeigt, dass Biolandwirtschaft aufgrund von Diversifizierung resilienter sei. Als Hof breiter aufgestellt zu sein, sei aber auch eine Risikominimierung angesichts des Klimawandels. „Irgendeine andere Kultur oder ein Tier federt dann Ausfälle ab.“
Er selbst hat sich für die inzwischen 27 Wasserbüffel entschieden, für die die Plessowschen Schlammlöcher ein ideales Habitat darstellen. Hinzu kamen zehn Sorten Tafelobst, Schafe, bodenverbessernde Luzerne und Weizen für seine 350 Hühner, die umgebaute Bauwagen bevölkern. Was Fritz in kurzer Zeit erreicht hat, ist auch ein Vorbild für Brändle. Dass der – landwirtschaftlich schlechtere – Boden nur ein Zehntel von dem in Nord-Rhein-Westfalen koste, mache seinen Gründungsgedanken erst möglich. „In Brandenburg gibt es noch was zu erobern“, begründet der Noch-Bauer-ohne-Hof seine Entscheidung.
Von Gabriele Spiller
MAZ