„Ein Gebäude nicht mehr zu nutzen, nur weil Hitler dort war, funktioniert nicht“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HAM5FYEXMWSGO247RZBLXCUIJY.jpg)
Thomas Albrecht vor den ersten Mauerstücken der künftigen Kirchturms. 800 Ziegelschichten sind geplant, 16 haben die Maurer bisher geschafft.
© Quelle: Varvara Smirnova
Innenstadt. Es ist eines der umstrittensten Bauprojekte der Stadt: der Wiederaufbau der Garnisonkirche. Thomas Albrecht ist der Architekt und glaubt fest daran, dass der fertige Turm alle in Potsdam versöhnen wird. Warum, darüber spricht er im Interview.
Herr Albrecht, Sie haben für Hasso Plattner das Museum Barberini gebaut, nun die Garnisonkirche. Was wollen Sie als nächstes in Potsdam bauen?
Thomas Albrecht: Das Schiff von der Garnisonkirche.
Aber noch ist gar nicht klar, ob das überhaupt gebaut wird.
Das kommt, ganz bestimmt. Schauen Sie nach Paris, da haben wir gerade erlebt, wie sehr die Menschen an Kirchen hängen.
Sie meinen den Brand von Notre-Dame… Was ist in Ihnen bei dem Anblick vorgegangen?
Meine Frau ist Französin, ich war in den letzten fünf Jahren mindestens 30 Mal im Gottesdienst in Notre-Dame. Wenn ich in Paris bin, gehe ich jedes Mal um acht Uhr früh zur Messe, habe eine sehr enge Beziehung zu dieser Kirche. Dennoch glaube ich, dass der Brand gar nicht so tragisch ist. Viele große Gebäude der Welt sind mal abgebrannt und wiederaufgebaut worden. Und man wird auch Notre-Dame wieder fantastisch restaurieren.
In Potsdam erleben Sie als Architekt gerade etwas, was heute nur wenige erleben dürfen. Sie bauen eine Kirche nach historischem Vorbild wieder auf. Was ist das für ein Gefühl?
Ein sehr, sehr schönes Gefühl. Und es ist mit keinem anderen Bau, auch keinem Museum, vergleichbar, einfach weil es ein spiritueller Ort ist und man hier die Kraft der ganzen Gesellschaft spürt. Der Wiederaufbau wird zum großen Teil durch Spenden finanziert, der Bund fördert mit zwölf Millionen Euro und die Evangelische Kirche gibt ein Darlehen von fünf Millionen Euro. Der Bundespräsident ist Schirmherr. Zu sehen, wie die ganze Gesellschaft dieses Projekt nach vorne bringt, das ist einfach wunderbar. Das Gleiche erleben wir jetzt in Paris – nur auf internationaler Ebene.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VONDW35GHI4S3PSWRGW3BL2BBA.jpg)
So soll die Kapelle im Turm der wiederaufgebauten Garnisonkirche eines Tages aussehen. Visualisierung: Hilmer Sattler Architekten.
© Quelle: Hilmer Sattler Architekten
Ein Vergleich, der bei Gegnern des Wiederaufbaus der Garnisonkirche vermutlich Protest hervorrufen wird.
Es ist richtig, dass es eine Auseinandersetzung wie um die Garnisonkirche bei Notre-Dame nicht gibt. Ich habe auch eher den Prozess der Begeisterung verglichen. Dennoch hat die Garnisonkirche in Potsdam eine überragende Stellung, genau wie Notre-Dame in Paris.
Wie würden Sie diese überragende Stellung beschreiben?
Die Garnisonkirche war eine Art räumlicher und spiritueller Gegenpol zum Schloss. Das städtebauliche Bild des historischen Potsdams war geprägt vom Schloss und der Kirche – der König und der liebe Gott. Die beiden wichtigsten Könige hatten ihr Grab in der Garnisonkirche. Das ist eine symbolische Welt, wie wir sie nur an wenigen Stellen der Welt finden. Die Garnisonkirche hat auch eine wichtige historische und kunsthistorische Bedeutung.
Aber muss man sie deswegen wiederaufbauen?
Wissen Sie, Mitte der 1960er-Jahre hatte man noch die Vorstellung, dass die Menschen vor der Umweltverschmutzung, dem Verkehr, dem Dreck und dem Lärm aus der Stadt aufs Land fliehen, dass in den Städten – übertrieben ausgedrückt – nur noch Pfarrer und Polizisten wohnen. Dann gab es den italienischen Architekten Aldo Rossi, der den Menschen mit seinem Buch „Die Architektur der Stadt“ ins Bewusstsein rief, dass das Wertvolle, was wir in Europa haben, unsere Innenstädte sind. Danach ist die Umwelttechnik gekommen, der Club of Rome hat uns drauf hingewiesen, dass wir vieles anders machen müssen. Man hat mit der Städtebausanierung begonnen, die Infrastruktur gestärkt. Heute ist das Wohnen dank vieler solcher Maßnahmen in den Innenstädten so attraktiv wie nie zuvor. Und zu dieser Entwicklung gehört auch, dass man die Schmuckstücke, die man in einer Stadt hatte, wiederherstellt. So wie jetzt die Garnisonkirche.
Sie bauen ein Gotteshaus. Darf ich fragen, ob Sie selbst religiös sind?
Ich komme aus einer sehr katholischen Familie, bin fromm und religiös, war selber Ministrant, mein Vater war Historiker und hat auch am Vatikan gearbeitet. Mein Großvater war sogar Botschafter am Vatikan. Dass ich nun in einer geistigen, zeitübergreifenden Dimension diesen Turm wiederaufbauen darf, bedeutet mir natürlich auch aus diesem Grund besonders viel.
Sie knüpfen an die Baukunst der alten Baumeister an, indem sie Ziegel auf Ziegel setzen lassen. Woher wussten Sie, wie damals eine Kirche gebaut worden ist?
Wir haben das große Glück, dass die Garnisonkirche in den 1920er-Jahren sehr aufwendig renoviert wurde und man damals sehr viele Fotos und Aufmaße gemacht hat, auf die wir zurückgreifen konnten. Im Inneren sind wir nicht zu einer Rekonstruktion verpflichtet. Dort wird eine Kapelle entstehen, ein Ausstellungsbereich, ein Schulungszentrum, Räume für den Pfarrer, ein Café, ein kleiner Laden, Aufzüge und eine Aussichtsplattform. Diese Nutzungen gab es früher nicht. Es wird also nicht nur ein altes, sondern auch ein modernes und zeitgemäßes Gebäude.
Die Kapelle wird sehr schlicht. Wie entsteht die Idee für so einen zentralen Raum?
Die Kapelle war unsere Idee, mit der wir auch in den Wettbewerb gegangen sind. Dabei war uns wichtig, dass dem Besucher beim Betreten der Kapelle sofort klar ist, dass es sich hier um ein modernes Innenraumkonstrukt und nicht um eine retrospektive Anheimelung handelt. Dafür haben wir bewusst Elemente gewählt, die bei jedem Besucher den Hebel sofort umlegen, sodass er weiß: Das ist ein moderner Raum. Ich weiß allerdings nicht, ob ich Ihnen diese Tricks jetzt verraten soll…
. . . unbedingt!
Im unteren Bereich wird die Wand mit Holz verkleidet, darüber haben wir eine horizontale Linie, eine sogenannte Lisene, eingeplant, die sich nach innen stülpt. Das gibt es in der historischen Architektur eigentlich nicht. Es gab nur einen einzigen Architekten, der sowas mal gemacht hat.
Und bei dem haben Sie abgeschaut?
Ja. Sir John Soane aus London hat diese Art von Lisene bei einer Brücke in einem englischen Garten eingesetzt... Das andere sehr moderne Element ist die Decke der Kapelle. Die zieht sich in der Fläche bis nach unten, der Himmel geht in den Boden über, das gibt es so nicht in Kirchen. Auch das haben wir uns abgeguckt bei einem amerikanischen Architekten, Philip Johnson. Es war uns wichtig, dass man spürt: Die Idee trägt in die Zukunft. Das ist bewusst auch so mit dem Bauherren abgestimmt.
Als Sie sich für das Projekt beworben haben, war schon klar, wie umstritten es ist. Hatten Sie keine Angst, sich ihren Ruf zu ruinieren?
Nein. Im Gegenteil. Alle Bauvorhaben, die wir machen, werden auch kritisch gesehen. Wir haben den Masterplan für den Potsdamer Platz in Berlin entworfen und damit 1991 den Wettbewerb gewonnen, da sind wir beschimpft worden. Ich kann gar nicht ausdrücken, was man uns da in die Schuhe geschoben hat. Beim Berliner Schloss war es genauso. Wenn das Gebäude dann aber fertig ist, kehrt sich diese Aufgeregtheit völlig ins Gegenteil. Ich habe noch nie eine kritische Stimme über den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden gehört. Und das ist ja vergleichbar.
Vergleichbar?
Das ist ja auch der Wiederaufbau eines verloren gegangenen Bauwerkes ...
… aber da haben sich Hindenburg und Hitler nicht die Hand gegeben.
Der deutsche Bundestag sitzt heute in dem Gebäude, in dem Hitler Reichskanzler war. Auch in Berlin sind die ganzen Ministerien nicht abgerissen worden, sondern weiterhin in Benutzung. Und es ist nicht nur Hitler in dieser Kirche gewesen, es gab viele andere wichtige Ereignisse, Bach war hier. Ich glaube, dieses Kapitel der Geschichte wurde kritisch hinterleuchtet. Außerdem wird es eine der modernen Funktionen dieses Hauses sein, sich mit seiner Geschichte bewusst auseinanderzusetzen. Das ist ja genau der Ansatz.
Aber ist es nicht etwas anderes, ein bestehendes Gebäude nicht abzureißen, als ein zerstörtes wiederaufzubauen?
Was ich sagen wollte: Ein Gebäude nicht mehr zu benutzen, nur weil Adolf Hitler mal dort gewesen ist, funktioniert nicht. Sonst wäre die Hauptstadt noch Bonn. Ein Blick in die Geschichte zeigt außerdem, dass Gebäude schon immer rekonstruiert wurden. Und zwar auf der ganzen Welt in allen Kulturen. Das erste Gebäude, das die Menschen detailgenau rekonstruiert haben, ist ein Tempel in Delphi. Der wurde im sechsten Jahrhundert vor Christus gebaut und dreihundert Jahre später nach Zerstörung rekonstruiert. Das ist im Grunde etwas völlig normales für die Menschheit, so wie es Familien gibt, Hochzeiten, Geburten und Begräbnisse, werden Gebäude wiederaufgebaut. Nur es passiert eben nicht so oft. Und der Mensch fürchtet oft das, was er nicht kennt. Ich glaube, wenn der Turm fertig ist, werden alle versöhnt sein.
Sind Sie auch persönlich angefeindet worden, dass Sie diese Kirche bauen?
Ja, aber das nehme ich nicht ernst. Wir haben Meinungsfreiheit, da passiert so etwas. Wir sind eine aufgeregte Zeit, die schnell urteilt. Das muss an einem abprallen.
Sie sind auch am Bau des Berliner Schlosses beteiligt. Die Kombination von historischer Fassade und moderner Rückseite ist stark umstritten. Sind Sie damit glücklich?
Ich bin damit sehr, sehr glücklich. Franko Stella, der das Schloss entworfen hat, hat für mich eine absolut geniale Fassade entwickelt, die er den barocken Fassaden gegenüber stellt. Ich persönlich glaube, dass es eine der besten Fassaden ist, die in den letzten 20 Jahren in Europa gebaut worden ist.
Können Sie sich auch beim Kirchenschiff der Garnisonkirche vorstellen, das historische Vorbild zu brechen und modern zu werden?
Eher nicht. Wir haben in den letzten 70 Jahren viele Gebäude gebaut auf diesem Planeten, die wir nach 30 Jahren nicht mehr sehen konnten. Die sind dann abgerissen worden. Ich glaube, der kleinste gemeinsame Nenner ist immer die historische Figur, vor allem bei einem qualitativ so hochwertigen Gebäude wie der Garnisonkirche. Das heißt nicht, dass ich gegen Moderne bin. Ich habe selbst bei einem wichtigen Mitarbeiter von Mies van der Rohe in Chicago studiert, baue hauptsächlich moderne Gebäude. Aber eine Kombination aus Alt und Neu ist äußerst schwierig und auf dieser Welt nur sehr selten geglückt. Es gibt diese Gebäude von Carlo Scarpa in Italien oder die alte Pinakothek in München von Hans Döllgast. Aber es ist sehr schwierig. Ich glaube, dass bei der Garnisonkirche für die Außenwirkung nur die historische Form richtig ist. Und auf die wird man sich am Schluss auch einigen.
Haben Sie Visionen für das Innere des Kirchenschiffes?
Ich glaube, wenn der Turm fertig ist, wird er das architektonische Empfinden der Potsdamer prägen und positiv beeinflussen. Dann sieht man auch historische Innenräume nicht mehr so kritisch. In Potsdam hat sich viel verändert, das Stadtzentrum, das Schloss, das Barbarini, das, was jetzt noch kommt. Das beeinflusst die Menschen, weil es eine sehr überlegte Städteplanung ist, wir haben da kaum Autoverkehr, eine Wohndurchmischung, das ist alles sehr klug ausgedacht. Das sehen die Menschen dann positiv. Das wiederum heißt aber nicht, dass man nicht an anderer Stelle hypermodern bauen kann. Im Gegenteil. Aber an dieser Stelle ist die Rekonstruktion schon mehr oder weniger gesetzt.
Die Stadt prüft nun, ob nicht ein Teil des Rechenzentrums stehen bleiben kann
– was halten Sie davon?
Ich bin immer dafür, gute Architektur zu erhalten. Zum Beispiel die Frankfurter Allee in Berlin, über die diskutiert niemand, weil sie einfach sehr gut ist. Ich finde sehr schade, dass man in Potsdam die alte Feuerwache abgerissen hat, aus meiner Sicht ein exzellentes Gebäude der frühen DDR. Das Rechenzentrum hat niemand als hochwertiges Gebäude qualifiziert. Generell: Die Menschheit erhält nur schöne Gebäude. Und wenn ein Gebäude nicht wirklich gut ist, wird es auf die Dauer abgerissen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FSXIPREZV6RV3AXXLSBHKLXAAQ.jpg)
Das Rechenzentrum grenzt direkt an die Baustelle der Garnisonkirche,
© Quelle: Anna Sprockhoff
Jetzt ist das Rechenzentrum vielleicht nicht schön, aber es steht für etwas ...
Ich glaube, dass die Schönheit über der Ideologie steht. Wenn es ein wirklich exzellentes Gebäude wäre, sagen wir mal von Mies van der Rohe, dann wäre das sehr, sehr viel schwieriger geworden für die Garnisonkirche. Auch der Palast der Republik wäre nicht abgerissen worden, wenn er exzellent gewesen wäre. Aber wenn ein Gebäude missfällt, die Menschen es nicht lieben können, dann verschwindet es irgendwann. Und das Rechenzentrum hat keine wirklichen Qualitäten. Genauso wenig wie die abgerissene Fachhochschule. Auch die war einfach nicht gut.
Kann die Kirche angesichts der verkehrsreichen Breiten Straße überhaupt jemals an die Wirkung des Originals anknüpfen?
Die Breite Straße ist ja schon verändert worden. Es gibt einen Bebauungsplan, der für die Garnisonkirche und das umgebende Quartier erstellt wurde. Die Straße wurde schmaler, die Baumbepflanzung ermöglicht. Da hat man sich sehr angestrengt.
Aktuell hoffen Sie, den Turm 2022 einweihen zu können. Was wünschen Sie sich für diesen Tag?
Dass Bundespräsident und Bundeskanzlerin kommen … Und dass die Menschen erkennen, was dort entstanden ist. Dieser Turm steht dann wieder in einer Linie mit den beiden anderen großen Kirchen der Stadt, alle Türme gleich hoch, dann wird auch der Drei-Kirchen-Blick wieder möglich sein. Und dass die Sonne scheint.
>>> Ein Turmbau mit Geschichte: Multimedia-Reportage
>>> Der Konflikt um die Garnisonkirche: in drei Minuten erklärt
>>> Erste Ziegel für die Garnisonkirche gesetzt
Von Anna Sprockhoff
MAZ