Gartensparte wird zwangsgeräumt

Gerichtsvollzieher setzt Besitzwechsel durch

Am Montagmorgen hat ein Gerichtsvollzieher für die ersten sechs Parzellen der Gartensparte "Angergrund" an der Dieselstraße die Zwangsräumung eingeleitet.

Am Montagmorgen hat ein Gerichtsvollzieher für die ersten sechs Parzellen der Gartensparte "Angergrund" an der Dieselstraße die Zwangsräumung eingeleitet.

Babelsberg. An der Dieselstraße hat ein Gerichtsvollzieher am Montagmorgen eine Kleingartensparte unter Polizeischutz aufbrechen lassen und die Zwangsräumung der ersten sechs von 30 Parzellen eingeleitet. Ein knappes Dutzend Pächter protestierte vergeblich.

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Drei betroffene Gärtner waren anwesend und mussten hören, dass ihnen noch ein Monat bleibt, privates Eigentum zu sichern. Die drei anderen erfahren das offenbar schriftlich. Das Immobilienunternehmen Tamax aus Berlin ist Eigentümer der Flächen und sieht die Pachtverträge als ungültig an. Sie setzte sich am Montag in den Besitz der sechs Parzellen und die Nutzer außer Besitz. Auf Herausgabe der Parzellen verklagt sind alle 30 Pächter der Dauerkleingartenanlage.

Die Stadtverordnetenversammlung hat zwar die Aufstellung eines Bebauungsplanes beschlossen, der eine Überbauung der Gärten verbietet, doch er gilt noch nicht. Und die Berliner Immobilienfirma Tamax, der das Gelände seit Dezember 2014 gehört, lässt sich damit auch nicht von ihrem Weg einer Zwangsräumung der Anlage abbringen. Sie versucht offenbar, die Gärtner schrittweise zur Aufgabe zu nötigen, bis keine kleingärtnerische Nutzung mehr vorhanden ist. Dann verwildert das Areal. In einem rund 200 Meter breiten und etwa 50 Meter tiefen Streifen zwischen der Dieselstraße und der aktiven Sparte sind verlassene Parzellen und Gebäude inzwischen zugewuchert, so stark, dass vor ein paar Jahren erst nach einigen Wochen auffiel, dass in einer verfallenen Laube ein Toter lag.

Die Pächter im „Angergrund“ protestieren gegen die Räumung

Die Pächter im „Angergrund“ protestieren gegen die Räumung.

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Das Unternehmen Tamax will auf dem Gesamtgelände 500 Wohnungen errichten und wirbt dafür. Es könnte auf dem bereits brachen Streifen rund 200 davon bauen, falls sie entsprechende Anträge stellt und genehmigt bekommt; das war auch ein Kompromissvorschlag der Stadt. Doch ist das gesamte Areal im Flächennutzungsplan der Stadt als Grünfläche und Dauerkleingartenanlage festgesetzt. Dies ist laut Stadt eine so genannte "Angebotsplanung": Der Plan beschreibt, welche Nutzungen möglich sind, schreibt aber keine Nutzungen vor. An dieser Stelle schließt er Wohnbebauung aus. Ganz sicher würe das erst mit einem Bebauungsplan, der die Nichtbebaubarkeit festlegt. Dieser Plan muss erst noch aufgestellt werden.

Der rechtliche Status der Sparte ist unsicher, weil der Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) der früheren DDR den juristischen Übergang in den heutigen Verband der Garten- und Siedlerfreunde (VGS) nicht sauber vollzogen hat und die alten Pachtverträge damit nicht mehr gelten. Die daran schuldlosen Nutzer haben stets ihre Pachten und Betriebskosten bezahlt. Trotzdem stellte ihnen die Tamax das Wasser ab; so dass die Flächen nur noch mit Brunnenwasser versorgt werden können. Der Zugangsweg wurde mit dicken Baumstämmen blockiert. Lediglich sechs Parzellen im Zentrum der Anlage haben gültige Altverträge von vor 1990, doch auch ihre Gärten gehören der Tamax. Was mit ihnen geschehen wird, ist unklar.

Seit acht Uhr am Montagmorgen stand ein knappes Dutzend Kleingärtner mit Protestschildern vor der Brust und einem Transparent am Zaun vor dem verschlossenen Tor. Sie wollten nicht weichen und hatten angeblich keinen Schlüssel für das Tor dabei. Die Tamax-Leute suchten einen anderen Eingang in die Sparte, doch alle Tore waren zu. Sie riefen einen Schlüsseldienst und die Polizei, die gegen halb zehn mit fünf Beamten anrückte und sicherstellte, dass der Schlüsseldienst das Fahrradschloss am Haupttor mit einem Bolzenschneider öffnen konnte. Später wurde ein anderes Schloss eingesetzt, zu dem die Tamax und die Sparte Schlüssel haben.

Der Anwalt der Pächter warnte das Unternehmen, das Tor aufzubrechen, das der Sparte gehöre; es geschah trotzdem. Nach Angaben des Spartenvorstands hat sich die Tamax vergangenen Freitag schon Zugang zur Sparte verschafft und einige Parzellen mir roten Kreuzen für irgendetwas markiert, das die Kleingärtner als Abriss-Signal werten; zumindest wird das so in einer Nachbarsparte gehandhabt, wo die Pächter fast komplett aufgegeben haben. Drei Männer brachen laut Spartenvorstand am Freitag ein Nebentor im „Angergrund“ auf, einer gehörte offenbar zur Tamax-Führung, die sich am Montag zum wiederholten Male gegenüber der MAZ nicht äußern wollte, weil sie sich eine Medienkampagne gegen sich ausgesetzt sieht.

Vier Nutzer im „Angergrund“ haben nach den ersten Räumungsdrohungen vom Frühjahr bereits aufgegeben. 20 Parzellen werden noch bewirtschaftet.

Die Sparte „Angergrund“ wird zwangsgeräumt

Die Sparte „Angergrund“ wird zwangsgeräumt. Foto: Rainer Schüler

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Zum ersten Räumungstermin am Montag waren weder Vertreter der Stadtverwaltung noch der Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung gekommen, was den Potsdamer Linken-Bundestagsabgeordneten Norbert Müller sauer machte und Spartenchef Andreas Fischer wütend: „Wir sind total enttäuscht“, sagte Fischer der MAZ: „Wir fühlen uns im Stich gelassen. Wieder werden die kleinen Leute bestraft für etwas, das sie nicht getan haben. Wir haben 1989 umsonst gekämpft. Da hätten wir doch besser die Mauer noch zwei Meter höher gebaut und heute unsere Ruhe.“

Die Stadt erklärte am Abend, es gehe um einen privatrechtlichen Streit. Sie sei weder Eigentümer des Grundstücks noch am Verfahren beteiligt.

Bereits über einen längeren Zeitraum habe man „intensiv versucht, mit der Eigentümerin ins Gespräch zu kommen. Ziel war und ist weiterhin eine gütliche Einigung. Die Eigentümerin lehnte bisher Gespräche ab, weshalb bedauerlicherweise auch die Suche nach einem Kompromiss bisher nicht möglich war.“ Die Stadt stehe jedoch weiter als Gesprächspartner für die beiden Parteien, auch in vermittelnder Position, zur Verfügung.

1979 war die Anlage als Ersatzfläche der Stadt für Kleingärten angelegt worden, die dem Bau der Nutheschnellstraße weichen mussten. Auch Kleingärtner vom Pfingstberg kamen hier unter; sie mussten dem Wiederaufbau der Villa Jacobs Platz machen. Nach DDR-Recht wurde der damalige Eigentümer des Angergrunds enteignet, weil er im Westen Deutschlands lebte, berichtet Fischer, doch bekam er 2001 die Flächen zurück und verkaufte schließlich an die Tamax. Die Stadt hatte Fischer zufolge ein Vorkaufsrecht für die Fläche, nutzte es aber nicht. Auch zu einem städtischen Bebauungsplan zur Nichtbebaubarkeit kam es nicht, weil die Stadt angeblich kein Geld hatte dafür.

Der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller kann das nicht verstehen. „Wenn man in Potsdam Semmelhaack heißt, braucht man kein halbes Jahr, um Baurecht zu bekommen“, sagte er vor Ort an der Sparte gegenüber der MAZ: „Den Plan zur Nichtbebauung hätte man schon vor einem halben Jahr haben können.“

Am Montag Morgen wurden die ersten Parzellen der Gartensparte "Angergrund" an der Dieselstraße durch Gerichtsvollzieher beschlagnahmt,einige Kle

Am Montag Morgen wurden die ersten Parzellen der Gartensparte "Angergrund" an der Dieselstraße durch Gerichtsvollzieher beschlagnahmt,einige Kleingärtner wollten das verhindern Foto:Bernd Gartenschläger

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Von Rainer Schüler

MAZ

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