Hohe Inflation, niedriger Lohn: Familie Sommer aus Potsdam-Drewitz kämpft um jeden Cent
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Nadine und Martin Sommer mit den beiden jüngsten Töchtern Rachel (5) und Amy (12): Die Eltern gehen arbeiten und doch reicht es kaum zum Leben.
© Quelle: Bernd Gartenschläger
Potsdam. Der Schrank. Müsste Nadine Sommer erklären, wie das Jahr 2022 für sie und ihre Familie war, sie würde auf den Schrank im Flur zeigen und eine der Türen öffnen – alles wäre gesagt. Der Schrank ist neu in der Plattenbauwohnung in Drewitz. Wie ein Mahnmal beherrscht der weiße Koloss den Flur. Und wie ein Mahnmal beherrscht er Nadine Sommers Gedanken.
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Noch vor ein paar Wochen hat die Familie so einen Vorratsschrank nicht gebraucht. Doch seit das Leben teurer und teurer und teurer wird und Nadine Sommer zusehen muss, wie sie ihre Familie satt bekommt, ohne am Ende des Monats Schulden zu machen, ist der Schrank unentbehrlich. Nadine Sommer verwahrt darin ihre Schätze: Waren des täglichen Bedarfs, die sie auf ihren Streifzügen durch die Supermärkte preisgünstig ergattern konnte. Nudeln zum Beispiel, aber auch Waschmittel und Duschgel. Dinge, die in einem Sechs-Personen-Haushalt schnell aufgebraucht sind und immer wieder nachgekauft werden müssen. „Wir hatten noch nie viel, aber es hat immer gereicht“, sagt Nadine Sommer. „2022 ist das Jahr, in dem wir zum ersten Mal Angst haben, dass wir nicht über den Monat kommen.“
So können Sie spenden
Mit der Sterntaler-Weihnachtsaktion sammelt die MAZ Spenden für Familien und Alleinerziehende, für Ältere und Kranke, für Geflüchtete – kurzum für Menschen aus Potsdam und dem Umland, die es schwer haben und denen wir eine Freude zu Weihnachten machen wollen. Das Spendenkonto wird von der Hoffbauer-Stiftung treuhänderisch verwaltet. Bitte geben Sie als Verwendungszweck an: MAZ-Sterntaler. Die Bankverbindung: Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank IBAN: DE74 3506 0190 0000 0056 57 BIC: GENODED1DKD Die Spendernamen werden veröffentlicht. Wer dies nicht möchte, weist bitte im Verwendungszweck darauf hin.
MAZ-Leser helfen Menschen aus Potsdam und dem Umland
Der Ukraine-Krieg, gestörte Lieferketten, teure Energie, die Inflation auf Rekordhoch: 2022 bringt Familie Sommer an die Grenzen ihrer finanziellen und emotionalen Belastbarkeit. So geht es vielen Menschen, die in der Landeshauptstadt Potsdam leben, die in Teltow zu Hause sind, in Kleinmachnow, Stahnsdorf, Werder, Beelitz, Michendorf und auf den vielen Dörfern im Potsdamer Umland. Ihnen möchte die MAZ mit ihrer weihnachtlichen Spendenaktion „Sterntaler“ den Alltag ein wenig erleichtern, eine kleine Freude machen, Herzenswünsche erfüllen.
Die Sommers machen den Anfang. Zur Familie gehören Mutter Nadine (42), Vater Martin (40) und die Kinder James (16), Laihla (13), Amy (12) und Rachel (5). Die Geschwister Andrew (19) und Lisa (21) sind schon ausgezogen und bestreiten ihren Lebensunterhalt allein.
Potsdamer Paar geht arbeiten und muss trotzdem bei allem rechnen
Die Sommers sind eine Familie mit geringem Einkommen. Beide Eltern gehen arbeiten: Vater Martin schiebt als Sicherheitsmann im Museum Zwölf-Stunden-Schichten, Mutter Nadine hat einen Mini-Job als Hauswirtschafterin. Die Kinder gehen zur Schule und in die Kita, am Nachmittag besucht Amy die Arche, James und Laihla schauen dort nur noch ab und zu vorbei. Am liebsten treffen sie sich draußen mit Freunden. Wie schwer es die Familie gerade hat, das ist dann kein Thema. James sagt: „Ich bin zufrieden. Ich habe mehr als viele andere Leute.“ Aber ja, wenn er der Mutter mit den Einkäufen helfe, dann sehe auch er, wie teuer alles geworden ist. „Ich rechne immer mit.“
Angebote aus den Prospekten sind in Potsdams Märkten schnell weg
Im vergangenen Jahr noch hat Nadine Sommer den Wocheneinkauf möglichst in einem Rutsch erledigt. Inzwischen geht sie jeden Tag in den Supermarkt. Sie hofft, so die Angebote abzupassen, die die Märkte spontan auspreisen – etwa wegen geringer Haltbarkeit – und nicht bewerben. „Die Angebote aus den Prospekten sind immer schon weg“, sagt Nadine Sommer. „Jetzt müssen viel mehr Menschen als zuvor auf den Preis schauen. Das ist beim Einkaufen zu spüren.“
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Familie Sommer kämpft um jeden Cent. Mutter Nadine fürchtet, dass es im kommenden Jahr noch härter wird für Familien mit geringem Einkommen. Foto:Bernd Gartenschläger
© Quelle: Bernd Gartenschläger
Frisches Gemüse und Fleisch – das geht für Familie Sommer nur, wenn der Preis deutlich heruntergesetzt ist. „Fisch ist gar nicht mehr drin.“ Nadine Sommer kann sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte mal an der Wursttheke angestanden hat. „Wir sparen, wo und wann es geht, um über die Runden zu kommen. Aber etwas ansparen, können wir schon lange nicht mehr.“ Als vor einem Monat der Herd kaputt ging, habe sie „ganz doll durchatmen“ müssen. Ja, für den neuen habe sie einen Zuschuss bekommen, zum Glück. „Aber noch so ein Ausfall und das war’s.“ Eine neue Winterjacke für James. Ein warmer Pulli für Laihla. Jeder Cent ist verplant. Und das Monate im Voraus. Die Rechnung geht nur auf, wenn alles glatt läuft – und wann tut es das schon?
Potsdamerin hat schon im August an Weihnachten gedacht
Im August hat Nadine Sommer begonnen, Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Überall in der Wohnung hat sie versteckt, was Heiligabend unter dem Baum liegen soll. Die Familie wird zusammensitzen, auch die Großen, auch die Oma und der Bruder mit Familie. Sie alle werden gemeinsam essen: Würstchen und selbst gemachten Kartoffelsalat. „Anderthalb Kilo Kartoffeln haben mal 1,29 Euro gekostet“, sagt Nadine Sommer. „Jetzt sind’s 2,49 Euro.“
Potsdamer Familie ringt mit steigenden Energiekosten
Der größte Luxus, den sich die Familie am Ende dieses fordernden Jahres leistet, sind 15 abgezwackte Euro, die mehr oder weniger im Nichts verschwinden. Der monatliche Abschlag für die Energiekosten ist von 65 auf 85 Euro gestiegen. Sommers zahlen freiwillig 100 Euro. Ihr größter Luxus, das ist ein dünnes Polster am Boden des Abgrunds namens Nebenkostenabrechnung. Im Januar steigt auch noch die Miete.
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Ohne Wohngeld wären die Mietkosten schon jetzt nicht zu decken. Familie Sommer lebt auf 81 Quadratmetern. Die beiden Jüngsten teilen sich ein Zimmer, die Teenager haben jeweils ihr eigenes und können die Tür auch mal hinter sich zumachen.Die Eltern schlafen in der Wohnstube. Das Bad ist klein und fensterlos. Der Spülkasten ist beschriftet, so dass jeder weiß, ob er links für viel Wasser oder rechts für weniger drücken muss. Im Sommer hatten die Eltern das Warmwasser am Waschbecken abgestellt. Sparen, sparen, sparen.
Potsdamer Familie hat noch nie gemeinsam Urlaub gemacht
Familie Sommer hat kein Auto. Familie Sommer macht auch keinen Urlaub. Ferne Strände und Metropolen bleiben unerreichbar und mit ihnen auch die nahen Ziele: die Ostsee, die Alpen, der Spreewald. „Das ist einfach nicht drin“, sagt Nadine Sommer. „Wir sind noch nie alle gemeinsam verreist.“ Dass die Kinder die Klassenfahrten mitmachen können, gehe nur über das Bildungs- und Teilhabepaket. Nadine Sommer erzählt das alles ohne Groll, ohne Bitternis, ohne Neid. Sie schildert ihre Lebensumstände, ihre Sorgen und Nöte als Fakt, mit dem sie leben muss. Niemand in dieser Familie beklagt sich. Aber: Wie lange noch kann Nadine Sommer die schlechten Gefühle fern von sich und ihren Lieben halten? „Natürlich mache ich mir Gedanken, wo das alles hinführen wird – ständig mache ich mir diese Gedanken“, sagt sie. „Ich fürchte, dass es uns nächstes Jahr noch härter treffen wird – uns alle.“
Potsdamerin will optimistisch bleiben: „Wir kriegen das in den Griff“
Ihren Kindern, ihrem Mann, sich selbst sagt sie immer wieder: „Wir kriegen das in den Griff.“ Aber wenn sie sich am Ende eines Tages voller Arbeit, Rennereien und Rechnereien, voller Nachrichten, die nichts Besseres verheißen ins Bett legt, dann will der Schlaf lange nicht kommen. „Dann denke ich über alles nach. – Was wird, wenn das Leben noch teurer wird?“ Sie komme erst zur Ruhe, wenn sich die Kleine aus ihrem Zimmer schleicht, durch den Flur am großen Schrank vorbei huscht und sich zu ihr unter die Decke kuschelt.