Potsdam wird zur gespaltenen Stadt
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Blick vom Flatowturm auf die Potsdamer Innenstadt mit Plattenbauten und sanierten Wohnhäusern. Im Vordergrund das Strandbad Babelsberg.
© Quelle: Bernd Gartenschläger
Potsdam. Potsdam zählt zu den Städten Deutschlands, in denen Arm und Reich, Jung und Alt zunehmend weniger Tür an Tür leben. Das ist das Ergebnis einer Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB). Die brandenburgische Landeshauptstadt gehört demnach neben Rostock und Schwerin zum Spitzentrio ostdeutscher Großstädte, in denen sozial benachteiligte Schichten räumlich sehr deutlich getrennt von wohlhabenderen wohnen und in denen diese Kluft in den vergangenen Jahren immer breiter geworden ist.
Als „historisch beispiellos“ bezeichnet Marcel Helbig von der Universität Erfurt als einer der Autoren der Studie, wie die sozialräumliche Spaltung der Städte im Osten binnen weniger Jahre zugenommen hat. Ähnliches sei bisher „nur von nordamerikanischen Städten“ bekannt.
74 Kommunen wurden untersucht
Zusammen mit seiner Kollegin Stefanie Jähnen hat er die soziale Durchmischung in 74 größeren deutschen Kommunen für die Jahre 2005 bis 2014 untersucht. In rund 80 Prozent dieser Städte hat die räumliche Ballung von Menschen, die von staatlichen Sozialleistungen wie Hartz IV lebten, demnach zugenommen. In 36 Städten gibt es Quartiere wie in Potsdam, in denen mehr als die Hälfte der Kinder von staatlichen Zuwendungen leben. Dabei stellt sich die Situation in Ostdeutschland jeweils dramatischer dar als im Westen.
Die Studie zeigt aber auch, dass bestimmte Altersgruppen immer seltener Tür an Tür wohnen. So konzentrieren sich junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren zunehmend in bestimmten Wohnvierteln, in anderen wiederum alte Menschen ab 65 Jahren.
Soziale Spaltung als Problem
Auch die Kandidaten für die anstehende Oberbürgermeister-Wahl geben sich alarmiert durch die zunehmenden Risse und suchen nach Lösungen: Mike Schubert (SPD): Wir müssen als Stadt in Zukunft noch stärker korrigieren. Wir brauchen sozialen Wohnungsbau, der durch Bund und Land gefördert wird. Wir müssen als Stadt weiter zielgerichtet Wohnraum mit Mietpreis- und Belegungsbindungen an uns binden. Bei den Sätzen für die Kosten der Unterkunft prüfen wir eine Differenzierung nach Stadtteilen, was zur besseren Verteilung der Einkommensgruppen in der Stadt führen würde. Die soziale Durchmischung von Quartieren lässt sich auch durch Vorgaben gegenüber Investoren steuern. Martina Trauth (Linke): Die Überwindung der sozialen Spaltung und ihrer Folgen wie die Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen aus angestammten Quartieren ist ein wesentliches Ziel für mich. Ungesteuertes Wachstum und profitorientierte Veräußerung von Flächen führten zu sozialer Spaltung, Segregation und gefährden das Gleichgewicht von Natur und Stadt. Bekommen wir das durch bessere Planung eines sozialen Wachstums und durch nachhaltige Mietpreisbindungen in den Griff, sind auch Verdrängungsprozesse aufzuhalten. Götz Thorsten Friedrich (CDU): Nach der Wende stand zunächst einmal das Stadtbild und dessen Sanierung im Fokus. Inzwischen sollte die Politik aber darauf ausgerichtet sein, Stadtteile zu wirklichen Kiezen zu machen, die alles haben, was Menschen benötigen. Dazu gehört auch eine gute Durchmischung. Da besteht dringend Handlungsbedarf. Das habe ich mir auf die Fahnen geschrieben: Potsdam ist nicht nur die Innenstadt, sondern eine Stadt verschiedener Kieze. Jetzt, wo die Bevölkerungszahlen steigen, ist das eine der größten Herausforderungen. Janny Armbruster (Bündnis 90/Die Grünen): Wir müssen neuen Strategien folgen. Beim Bau neuer Viertel sollten wir Bauherren strikte Auflagen für Sozialwohnungen erteilen. Aber auch bei kommunalen Projekten sollte der soziale Wohnungsbau mit einem Drittel der Neubauten massiv verstärkt werden. In Verbindung mit guter infrastruktureller Anbindung und Jobs vor Ort, sind solche Quartiere für jedermann attraktiv. Die Kommune darf zudem nicht länger ihre Flächen so teuer wie möglich verkaufen, sondern muss wieder eigene beschaffen und die Vergabe politisch gestalten. Lutz Boede (Die Andere): Die Stadt hat das Problem sozialer Entmischung verschärft, indem Flächen außerhalb der Plattenbaugebiete ausverkauft wurden. Die Siedlungen sind (noch) keine sozialen Brennpunkte. Problematischer ist die Situation in den attraktiven Uferlagen. Dort kann nur noch die Oberschicht wohnen. Hier leben fast nur noch Millionäre, denen der Kontakt zur Lebenswirklichkeit abhanden kommt. Hier muss die Stadt wieder eigene Grundstücke erwerben und bezahlbare Wohnungen anbieten, um der Bildung von Parallelgesellschaften etwas entgegenzusetzen. Dennis Hohloch (AfD) Um der fortschreitenden sozialen Spaltung in unserer Stadt vorzubeugen ist es wichtig, hier an mehreren Schrauben zu drehen. Es muss ein Mix aus gefördertem Mietwohnungsbau (sozialer Wohnungsbau) für untere Einkommensschichten, aus konzeptionellem Mietwohnungsbau mit Belegungsbindungen und Aufteilungsverboten – um Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu verhindern – für mittlere Einkommen und freiem Wohnungsbau geschaffen werden. So gewährleisten wir die soziale Durchmischung in unseren Quartieren für alle Einkommensklassen. Wir orientieren uns hier an dem Münchner Wohnungsbaumodell und nennen dies die „Potsdamer Mischung“. Wichtig ist hierbei, dass für weitere Verkäufe städtischen Grundes für den Bau neuer Wohnungen keine Höchstbieterverfahren mehr stattfinden. Kurzfristige Haushaltssanierungsbestrebungen dürfen nicht die Entscheidungsgrundlage für die Entwicklung neuer Quartiere sein.
Überraschend fanden die Forscher heraus, dass der Anteil von Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit innerhalb einer Stadt verstärkt. „Sozialwohnungen sind in Gebieten zu finden, in denen ohnehin die Armen wohnen. Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Jähnen.
Für die unter dem Obertitel „Segregation“ laufende zunehmende Spaltung der Gesellschaft führen die Forscher vor allem zwei Gründe an. In vielen ostdeutschen Städten wuchsen zu DDR-Zeiten schnell Plattenbausiedlungen. In vielen Kommunen wie etwa in Potsdam wurden sie nicht unbedingt in den historischen Zentren platziert: Waldstadt, Schlaatz oder Am Stern/Drewitz sind da nur einige Beispiele.
Einer der Gründe dafür ist laut Studie die unterschiedliche Zerstörung im 2. Weltkrieg. Während etwa das Zentrum von Magdeburg während der Kampfhandlungen großflächig dem Boden gleich gemacht wurde und so nach dem Krieg Raum für den Bau neuer Siedlungen bot, waren die Zerstörungen in Potsdams Mitte weniger gravierend.
Plattensiedlungen wurden unattraktiv
Hinzu kommt: Zunächst waren die neu geschaffenen Wohnungen in Plattensiedlungen durchaus Anziehungspunkt für ein jüngeres, oft gebildeteres Klientel. So wohnte kurz nach der Wende bald jeder zweite Potsdamer in einer solchen Großsiedlung. Mit der deutschen Vereinigung wurden die Viertel aber vielfach unattraktiv.
Geblieben sind meist ältere Menschen oder Schichten, die sich die anziehenden Mietpreise in den vorwiegend nach vermeintlich ästhetischen Gesichtspunkten sanierten Innenstädten oder das berühmte Häuschen am Stadtrand nicht leisten konnten. So ist etwa nach Erkenntnis der Studie die Gettoisierung von Hartz-IV-Empfängern neben Schwerin, Rostock und Erfurt in Potsdam besonders ausgeprägt.
Hinzu kommt für die Landeshauptstadt ein relativ hoher Anteil privater Grundschulen, die auch nicht unbedingt in den Problemvierteln entstanden sind. Die Folge: Jüngere Familien der Mittelschicht mit Nachwuchs ziehen weniger in die entsprechenden Siedlungen.
Von Gerald Dietz