Medikamenten-Engpass in Prignitzer Apotheken – vor allem Kinder und Ältere betroffen
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Christina Klan berät und bedient ihre Kunden in der Perleberger Roland-Apotheke
© Quelle: Antonina Zado
Perleberg. „Wir haben hier gerade ein Problem: Diese beiden Antibiotika sind so nicht vorrätig“, sagt die Apothekerin Claudia Schulz in Wittenberges Linden-Apotheke zum Familienvater mit drei Kindern. „Für das eine Kind kann ich ein Medikament mit gleichem Wirkstoff anbieten. Aber das müssen wir anders dosieren. Für das andere Kind habe ich nur den Fiebersaft da. Ich telefoniere mal mit den Kollegen, vielleicht hat eine andere Apotheke das Antibiotikum.“
Gespräche dieser Art führen Prignitzer Apotheker in der jüngsten Zeit täglich mit ihren Kunden. „Wir haben massive Engpässe in der Medikamentenversorgung“, sagt Jens Groschinski.
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Der Inhaber der Prignitz-Apotheke in Perleberg ist gleichzeitig Sprecher der Apotheker im Landkreis. „Es fehlt querbeet an Arzneien: Antibiotika, Blutdruck-Präparate, kortisonhaltige Augentropfen und viel mehr“. Er selbst wird besonders oft mit den Engpässen für urologische Medizin konfrontiert: Im Nachbargebäude ist eine Urologie-Praxis angesiedelt.
„Der Arzt verschreibt dem Patienten ein Kombi-Präparat mit zwei Wirkstoffen in einer Kapsel. Keiner der beiden Wirkstoffe ist lieferbar. Sie sind einfach nicht da, auch nicht im Großhandel. Ich telefoniere dann bei den Kollegen rum, vielleicht hat zum Beispiel die Apotheke in Lenzen zufällig das Präparat vorrätig, weil sie nicht so oft mit Urologie-Patienten zu tun hat“, sagt Jens Groschinski.
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Jens Groschinski von der Prignitz-Apotheke in Perleberg zeigt eine kleine Lieferung von dringend benötigten Medikamenten.
© Quelle: Antonina Zado
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„Wenn ein Kunde mit einem vom Arzt ausgestellten Rezept zu uns kommt, müssen wir ihn mit dem Medikament versorgen. Wir dürfen niemanden abweisen“, sagt Beate Scherke von der Prinzen-Apotheke in Perleberg. Sie zählt auf, welche Medizin häufig nicht vorhanden ist: Fiebersäfte für Kinder, Antibiotika, Insulin – alles Arzneien, deren Fehlen dramatische gesundheitliche Folgen für Patienten hat.
Prignitz: Es fehlt an Antibiotika und Fiebersäften für Kinder
„Medikamente müssen rechtzeitig beim Apotheken-Großhandel oder direkt beim Hersteller bestellt werden“, erklärt Claudia Schulz. „Wenn sie nicht sofort lieferbar sind, werden sie disponiert, als dringend erforderlich vermerkt. Wir kontrollieren unsere Dispoliste täglich. Täglich sehen wir viel mehr rote Balken für ’nicht lieferbar’ als grüne Haken für ’erhältlich’“, erzählt die Wittenberger Apothekerin. Sie berichtet von zwei bis drei Packungen Kinder-Antibiotika pro Woche, die sie mit Glück geliefert bekommt.
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Die Perleberger Apothekerin Beate Scherke vor dem Eingang der Prinzen-Apotheke.
© Quelle: Antonina Zado
Jens Groschinski tippt in den Computer die Bezeichnungen für verschreibungspflichtige Arzneien. Dann zeigt er Seite um Seite Lagerbestände von Lieferanten: Nur vereinzelt sind grüne Markierungen zu sehen, manche Listen sind durchgehend rot markiert. Danach zeigt er im Lager eine Handvoll Verpackungen mit Medikamenten. „Habe ich erbeutet“, sagt er. Es sind Antibiotika für Kinder.
„Wir versuchen alles, um unsere Kunden so zu versorgen, wie ihr Gesundheitszustand es erfordert“, sagt Christina Klan, Inhaberin der Roland-Apotheke in Perleberg. „Dafür jonglieren wir mit Verpackungsgrößen, Dosierungen und gleichwertigen Wirkstoffen“.
Sie beschreibt die gängige Praxis so: Ein Kunde braucht 30 Pillen eines Herstellers mit 0,05 Milligramm Wirkstoff, welche aktuell nicht lieferbar sind. Die Apotheke hat eine Packung mit 20 Pillen eines anderen Herstellers mit 0,1 Milligramm vom gleichen Wirkstoff. In diesem Fall hat der Kunde Glück, kann die Packung mitnehmen und 30 Tage lang je eine halbe Tablette einnehmen.
Wie oft kommt es vor, dass die Menschen die verschriebenen Medikamente nicht bekommen können? „Es ist oft genug keine Alternative da“, sagt Claudia Schulz. „Ich muss täglich etwa jeden zweiten oder dritten Kunden vertrösten oder zu einer anderen Apotheke schicken“. Manchmal müssen die Menschen in einen anderen Ort fahren, auch das merkt sie an.
Wenn gar keine Medikamente lieferbar sind, muss der Patient ins Krankenhaus
Stressig wird es, wenn die Apotheker ihre Möglichkeiten ausschöpfen und dennoch das dringend benötigte Medikament nicht beschaffen können. „Dann hilft es nur, den behandelnden Arzt zu informieren, damit er seinen Patienten auf eine andere Medikation umstellen kann“, sagt Jens Groschinski. Er beschreibt gleichzeitig die Zusammenarbeit mit den Ärzten in solchen Fällen als kollegial und lösungsorientiert.
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Auf dem Computerbildschirm des Apothekers Groschinski aus Perleberg ist eine lange Reihe von nicht lieferbaren Medikamenten zu sehen.
© Quelle: Antonina Zado
Besonders dramatisch könnte es werden, wenn die Apotheker bei der Suche nach Antibiotika, Blutdruck- und Herzmedizin oder Insulin keinen Erfolg haben. In diesem Fall beschreibt Jens Groschinski den Weg ins Krankenhaus als oft einzige rettende Option. Denn die Krankenhaus-Apotheken verfügen über andere Reserven, oft in Form von Infusionen, die nur stationär verabreicht werden dürfen.
Wie konnte es so weit kommen? Die Pharmazeuten nennen mehrere Ursachen für dramatische Versorgungslage. Jens Groschinski spricht von dem Problem, das nicht von heute auf morgen entstand. Er verweist auf die fehlende Pharma-Produktion in Europa und die langen Lieferwege.
Christina Klan spricht von fehlenden Komponenten, die gebraucht werden, um Arzneien in der Apotheke herzustellen. „Wir können Salben und Mixturen selbst mischen. Aber immer öfter sind sowohl die Wirkstoffe nicht lieferbar als auch das Verpackungsmaterial“, sagt sie.
Die Hersteller und Krankenkassen sind sich nicht immer über die Preise einig
Claudia Schulz ordnet die zeitlichen Anfänge des heutigen Medikamentenmangels zum Beginn der Corona-Pandemie ein: „Anfangs hatten wir sehr viele Diskussionen mit den Menschen,“ erinnert sie sich. Mittlerweile lassen ihre Kunden keinen Frust mehr an ihr oder ihren Angestellten aus. „Die Leute begreifen, dass das Problem anderweitig verschuldet ist“, sagt die Apothekerin und verweist dabei auf die Preispolitik der Krankenkassen.
„Die Kassen handeln mit den Medikamenten-Herstellern die Einkaufspreise regelmäßig neu aus“, berichtet Claudia Schulz. „Dann kann es passieren, dass die Hersteller die Preisvorstellungen der Kassen nicht mittragen wollen. Als Folge werden Verträge nicht verlängert, oder Hersteller beliefern zuerst Abnehmer in anderen Ländern, die bereit sind, mehr zu bezahlen.“
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Christina Klan berät und bedient ihre Kunden in der Perleberger Roland-Apotheke.
© Quelle: Antonina Zado
„Wir kommen unserem öffentlichen Versorgungsauftrag nicht mehr nach“, sagt Christina Klan. Sie macht sich Sorgen, fürchtet um das Wohl ihrer Kunden, für die sie sich verantwortlich fühlt. „Es kann nicht sein, dass Herzkranke auf manche Medikamente bis zu mehreren Wochen warten müssen“, sagt Christian Richter von der Stadt-Apotheke in Bad Wilsnack. „Es ist unmöglich, dass die Allergiker Kortison-Augentropfen nicht mehr bekommen“, sagt Beate Scherke. „Das Problem verschärft sich zunehmend“, sagt Jens Groschinski.
Die meisten Prignitzer Apotheker kündigten an, sich am 14. Juni an dem bundesweiten Protest zu beteiligen, zu dem die Apotheker-Vereinigung Abda aufgerufen hat. Die Apotheken werden an diesem einen Tag flächendeckend den Verkauf einstellen, um auf ihre Sorgen hinzuweisen. Die Medikamente können dann nur in der notdiensthabenden Prinzen-Apotheke in Perleberg besorgt werden.
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Die Apothekerin Claudia Schulz hinter dem Tresen der Linden-Apotheke in Wittenberge.
© Quelle: Antonina Zado
„Ich habe mit den Kollegen von der anderen Apotheke hier in der Stadt telefoniert“, sagt Claudia Schulz zum Familienvater mit drei Kindern. „Sie haben das passende Antibiotikum für ihr Kind“. Sie reicht dem Mann das nicht eingelöste Rezept zurück und erklärt ihm den Weg zur anderen Apotheke. Diese ist zum Glück nur einige Hundert Meter entfernt. Die Inhaberin der Linden-Apotheke in Wittenberge ist erleichtert, dass sie an diesem frühen Morgen helfen konnte. Sie sagt, das wird immer schwieriger.
MAZ