Austausch über jüdisches Leben und Musik
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Jalda Rebling und Daniel Weltlinger musizierten gemeinsam in Lindenberg.
© Quelle: Bernd Atzenroth
Lindenberg. Eine Geige wanderte um die ganze Welt. Sie gehörte einst dem Großvater von Daniel Weltlinger. Das Instrument ist dabei nur der Aufhänger, um Lebenswege im 20. Jahrhundert zu erzählen.
Daniel Weltlinger hat klassische Musik studiert, aber immer die Musik seines Opas im Ohr. Ihr hat er jetzt ein musikalisches Denkmal gesetzt. Der Geiger erzählt auf seiner neuen Veröffentlichung die Geschichte der Geige seines Großvaters. Das Album heißt „Szolnok“ – nach dem Geburtsort des Großvaters.
Immer weiter, immer die Geige im Gepäck
Am Samstag führte er das Werk zum ersten Mal auf – in der Dorfkirche von Lindenberg (Gemeinde Groß Pankow). Es war das erste diesjährige Frühlingskonzert, dessen Erlös für die Sanierung der Kirche verwendet.
Weltlinger, der seit sechs Jahren in Berlin lebt, ist in Australien geboren. „Ich bin australisch, aber jüdisch aufgewachsen. Draußen war ich Australier, drinnen gehörte ich der europäisch-jüdischen Gemeinde an.“ Einen ungarischen Reisepass hat er auch, auch wenn er selbst kein Ungarisch spricht.
Sein Großvater, aber auch noch seine Eltern stammen aus Ungarn. Der Großvater wanderte Anfang der 1920er Jahre von Budapest nach Wien und sah dort erstmals einen Aufmarsch von Hitler. Von dunkler Vorahnung beschlichen, zog er nach Frankreich weiter, immer die Geige im Gepäck.
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Daniel Weltlinger ließ seine Geige erzählen.
© Quelle: Bernd Atzenroth
Dort verbrachte er eine lange Zeit, bis der Krieg und die drohende Judenvernichtung eine weitere Flucht erforderlich machten, jetzt musikalisch dokumentiert in einem leicht sarkastischen Beitrag mit Kaffeehausmusik.
Nach vergeblichen Versuchen, von Spanien aus ein Schiff nehmen zu können, und einigen Erlebnissen in Nordafrika, etwa einer Verhaftung nach Algerien, ging es auf die Schiffsreise nach Australien.
Konzert auf den Originalsaiten des Großvaters
Der Musiker kann nicht sagen, ob die Geige an jede Station mitgewandert ist. Auf jeden Fall hat sie Australien erreicht, um nach 20 Jahren, die sie nach dem Tod des Großvaters im Schrank gelegen hatte, vom Enkel wiederentdeckt zu werden – drei der Saiten sind sogar noch von seinem Großvater gespielt worden.
Das Konzert war am Abend zuvor schon Anlass für ein Gespräch über jüdisches Leben in Brandenburg und jüdische Musik im evangelischen Gemeindehaus von Lindenberg in der Reihe „Lindenberger Gespräche“, die von der Landeszentrale für politische Bildung unterstützt wird. Organisator und Moderator war Fritz Habekuß, aus Lindenberg stammender Redakteur der Wochenzeitschrift „Die Zeit“.
„Musik kann Geschichten in allen Sprachen erzählen“
Daniel Weltlinger hatte dabei in Jalda Rebling eine kongeniale Gesprächspartnerin. Die jüdische Kantorin und der Geiger kennen sich bereits seit einigen Jahren, beide eigen ist die Liebe zur Musik.
„Was kann Musik, was Worte nicht können?“ fragte Fritz Habekuß. „Musik kann Geschichten in allen Sprachen erzählen“, antwortete Jalda Rebling, die bei der Veranstaltung auch gemeinsam mit Daniel Weltlinger musizierte. Es gibt nicht die eine jüdische Musik – sie ist immer von der Umgebung geprägt, in der sie gespielt wird, in Russland klingt sie russisch, in Marokko marrokanisch.
Die neue Erfahrung, angekommen zu sein
Jalda Rebling und Daniel Weltlinger, der zum vierten Mal in Lindenberg war, teilen auch eine weitere Lebenserfahrung: „Ich war eines der Kinder, das zu Hause eine andere Kultur gelebt hat als auf der Straße“, sagt Jalda Rebling.
Für Jalda Rebling ist erst spät in Brandenburg, wo sie seit einiger Zeit lebt, ein Wunder passiert. „Diese Erfahrung, dass wir hier angekommen sind, ist völlig neu für mich“, sagt sie. In Amsterdam geboren, hat sie große Teile ihres Lebens im Osten Berlins verbracht, immer notgedrungen, wegen der Mama, später wegen der Kinder.
Beim Studium in den USA begriff sie, wie europäisch sie denkt – und was es heißt zu trauern. „Wir haben alle nicht trauern gelernt“, sagt sie über die Zeit nach dem Holocaust für in Europa lebende Juden. Sie habe „in einem Haus mit lauter Seelen gelebt, die nicht wiedergekommen sind“.
„Israel ist für uns eine Lebensgarantie“
Als die Rede bei Fragen aus dem Publikum kurz auf den Staat Israel kam, schlug die zuvor fast harmonische Stimmung beinahe kurz um. Tenor einer Frage: Man könne Israel aus Deutschland heraus nicht kritisieren, ohne direkt in die Antisemitismus-Ecke gesteckt zu werden.
„Man muss das eine mit dem anderen diskutieren, weil Israel für uns eine Lebensgarantie ist“, sagte Jalda Rebling. Niemand, der danach geboren ist, sei schuld am Holocaust und müsse sich dafür schuldig fühlen, sie behaupte das auch nicht.
Wichtig ist Daniel Weltlinger und Jalda Rebling, nicht nur als Juden und unter dem Aspekt des Judentums wahrgenommen zu werden: „Wir sind Menschen, genau wie andere Menschen auch“, so Jalda Rebling.
Von Bernd Atzenroth
MAZ