Ein Jahr #MeToo: Was die Bewegung bewirkt hat
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ENLKTALQUACPK7VNYKVEEVNZ6E.jpg)
Mit ihm fing alles an: Im Oktober 2017 wurde Harvey Weinstein beschuldigt, mehrere Frauen vergewaltigt oder sexuell belästigt zu haben.
© Quelle: picture alliance/AP Images
Berlin. Es war der Tag der Beerdigung von Aretha Franklin. Der Bischof legte seinen Arm um Ariana Grande und griff dabei an ihren Busen. Nach öffentlicher Aufruhr entschuldigte er sich bei der Sängerin. Für Grande war es auf der Bühne ein peinlicher Moment. Sie hat die Hand des Mannes nicht zurückgeschoben.
Für viele Frauen war dies lange die Regel: Lieber nichts sagen, denn das bringt Ärger. Seit einem Jahr gibt es für Momente, wie ihn Ariana Grande erlebt hat, einen Ausdruck: "MeToo".
Am 5. Oktober 2017 erschienen die ersten Berichte über den Hollywoodmogul Harvey Weinstein, die das Bild eines skrupellosen und brutalen Mannes zeichneten, der Frauen gegenüber seine Macht schamlos ausnutzte.
Unter dem Hashtag #MeToo machten sich danach viele Frauen und auch einige Männer Luft, über das, was sie erlebten – von blöden Sprüchen, Grapschern über Machtmissbrauch bis hin zu jahrelanger Gewalt. Es wurde eine weltweite Bewegung mit Berichten aus den USA, China, Deutschland und Schweden.
In vielen Ländern hatte die Debatte heftige Folgen. Prominente stürzten über die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs, allen voran Weinstein und "House of Cards"-Star Kevin Spacey. In Deutschland spielte sich die Debatte bislang hauptsächlich in der Fernseh- und Filmbranche ab, größere Fälle aus der Politik oder der Wirtschaft: meist Fehlanzeige.
Deutschlands bekanntester #MeToo-Vorwürfe richten sich gegen Regisseur Dieter Wedel: Die "Zeit" veröffentlichte Anfang des Jahres die Anschuldigungen von mehreren Schauspielerinnen. Der Filme- und Theatermacher stritt alles ab und verlor seinen Posten als Intendant der Festspiele von Bad Hersfeld. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen eines Vorwurfs des sexuellen Übergriffs.
Nur ein Bruchteil der Opfer geht zur Polizei
Die Ausläufer der Bewegung reichen außerhalb der Öffentlichkeit bis in Büros, Familien und Freundeskreise. Viele nie gehörte Geschichten tauchten auf.
Doch wie groß ist das Problem überhaupt? Im Jahr 2017 wurden bei der Polizei in Deutschland mehr als 11.000 sexuelle Nötigungen und Übergriffe erfasst – die Mehrheit der Opfer ist weiblich. Eine EU-weite Studie aus dem Jahr 2014 kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass nur ein Bruchteil der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, überhaupt zur Polizei geht oder sich bei anderen Organisationen Hilfe sucht. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage ist jede vierte Frau in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz Opfer sexueller Belästigung geworden.
In Deutschland wird es künftig eine unabhängige „Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung“ geben. Dazu gründeten Verbände und Gewerkschaften der Film- und Fernsehbranche mit Produzenten, Sendern, Theatern und Orchestern einen Trägerverein. Im Oktober soll die Beschwerdeschwelle ihre Arbeit aufnehmen.
Das Dilemma der Debatte
Die Luft für skrupellose Akteure der Unterhaltungsbranche ist dünner geworden. Die neue Generation Schauspieler tickt anders. „Diese Generation praktiziert mehr Offenheit, wo früher vielleicht verschämt geschwiegen wurde“, sagt Sibylle Flöter vom Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater. Über die sozialen Medien könne heute über alles auch eine Öffentlichkeit hergestellt werden.
Doch nicht jeder sieht #MeToo so positiv – auch abgesehen von beleidigten älteren Herren, die sich kollektiv an den Pranger gestellt fühlen, gibt es Kritik. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler beobachtet im Zuge der Debatte eine extreme Verhärtung des Geschlechterverhältnisses. „Die gesamte Aggression richtet sich bei MeToo auf den Mann. Aber es wird nicht gesehen, dass Frauen Machtstrukturen, die sie beklagen, häufig stützen – durch kulturell anerzogene Passivität und Zurückhaltung“, sagt sie.
„Ich kritisiere natürlich nicht, dass Frauen ihre Stimme erheben und eine lang zurückliegende Vergewaltigung ans Licht bringen“, betont Flaßpöhler. Doch sie warnt vor öffentlichen Vorverurteilungen – sieht einen Anklagediskurs in der Debatte, einen Sexismus, der sich gegen den Mann richte.
Dieses Dilemma der Debatte lässt sich schwer auflösen. Am Anfang ist die Anschuldigung, durch #MeToo wird sie nun oft öffentlich. Was zwischen zwei Menschen in einem geschlossen Raum passiert, lässt sich oftmals im Nachhinein schwer aufklären. Das ist die Dramatik solcher Fälle – für beide Seiten. Es ist immer wieder ein Balanceakt, auch und gerade für Medien: Worüber berichten, worüber nicht? Denn selbstverständlich: #MeToo hat Menschen ihre Karriere und Reputation gekostet.
Für Gewaltforscherin Prof. Monika Schröttle überwiegt das Erreichte. „Um Gewalt im Geschlechterverhältnis abzubauen, braucht es viel – ein wichtiger Punkt ist aber das Bewusstsein.“ Ein solches Bewusstsein habe #MeToo geschaffen – eine junge Generation sei sensibilisiert worden. Sie hält das Argument, dass die Geschlechter im Umgang miteinander nun verunsichert seien, für „Augenwischerei“. „In der Regel wissen Männer und Frauen schon, wann die Grenze überschritten und was nicht mehr angemessen ist.“ Meist helfe der gesunde Menschenverstand.
Von Amina Linke/dpa/RND