Guck nicht, was da kommt! – Andy McKays stargespickte Kometensatire „Don’t Look Up“ bei Netflix

Die Überzeugungsarbeit klappt nicht so ganz: Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence, von links), Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) und Nasa-Abwehrchef Oglethorpe (Rob Morgan) versuchen im Oval Office, von der Gefahr durch den Kometen zu überzeugen.

Die Überzeugungsarbeit klappt nicht so ganz: Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence, von links), Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) und Nasa-Abwehrchef Oglethorpe (Rob Morgan) versuchen im Oval Office, von der Gefahr durch den Kometen zu überzeugen.

„Es ist, als würde ein gewaltiger Asteroid auf die Erde zurasen, und keinen interessiert’s“, ereiferte sich der Journalist David Sirota gegenüber dem Regisseur Andy McKay über die Gemächlichkeit der Regierungen der Welt. Und das war dann auch schon die zündende Idee. Monatelang hatte sich der Filmemacher („The Big Short“ und „Vice: Der zweite Mann“) zuvor alle möglichen Szenarien für einen Film über die Klimakrise aufgeschrieben. Der halbherzige Umgang der Weltpolitik mit dem Thema des Jahrhunderts befremdete und ängstigte ihn. Und nun nahm also der große Komet den Platz der Erderwärmung ein. Andere Apokalypse, selbe Borniertheit. Nur wird’s den von 1001 Klimanachrichten leicht vernebelten Massen mit dem großen Brocken viel klarer, wie viel vor zwölf es nun genau ist.

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Der Titel von McKays Sci-Fi-Satire sagt schon alles: „Don’t Look Up“ heißt „Schau nicht hoch“ und meint: „Dann kommt auch nichts“. Tatsächlich kommt was. Die Astronomiedoktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) entdeckt im Teleskop einen fünf bis zehn Kilometer breiten Felsklumpen. Ihr Chef, Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio), will nur noch schnell die Flugbahn berechnen, mit der das Ding an der Erde vorbeischwirrt. Und muss feststellen, dass es einen Volltreffer geben wird. In sechs Monaten und 14 Tagen passiert etwas, das zuletzt die Dinosaurier erlebten.

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Dafür gibt es einen Termin bei der Präsidentin (Meryl Streep). Die kommt erstmal viel zu spät zum Date, muss dann zum „Happy Birthday“-Singen für eine Angestellte und vertagt die Sache schließlich. „Sagen wir 70 Prozent Wahrscheinlichkeit“, erwidert sie den Astronomen und Astronominnen und dem Weltraumabwehrchef der Nasa (Rob Morgan) anderntags, „man kann den Leuten doch nicht sagen, dass sie in sechs Monaten zu 100 Prozent alle sterben werden“. Überhaupt seien die beiden Pferdescheumacher ja wohl aus dem tiefsten Michigan, belustigt sich der Chief of Staff (Jonah Hill) – als sähen die Leute dort Sterne und Kometen nur, wenn sie sternhagelvoll gegen Scheunentore laufen.

Politische Taktiken sind wichtiger als eine Apokalypse-to-be

Drei Wochen müsse man die Bekanntgabe sowieso noch verschieben, sonst verliere man den Kongress, wirft die First Woman noch ein, deren Laune gerettet scheint, als sie endlich ihre Zigarettenschachtel findet. Streep spielt die Präsidentin (von den Demokraten) als wäre sie eine noch mal zehn Jahre ältere Carrie Underwood aus „And Just Like That“. Der Mann und die Frau aus der Welt der Sternenphysik und Mathematik können nicht fassen, mit welcher Borniertheit ihnen die Politik das Wort im Munde umdreht. „Super classified“ sei all das übrigens, sagt ihnen der Chief of Staff noch zum Abschied. Also: Pst! Nicht weitersagen.

Die Presse macht Druck! Kate und Randall gehen also umgehend zum fiktiven „New York Herald“. Der akzeptiert die Wahrheit, aber den Boten wird sogleich ein guter Whistleblower-Anwalt empfohlen und ein Training besorgt, um den Medienwumms zu überstehen, der auf sie zurauscht. Während Kate sich vor dem Fernsehauftritt bei „The Daily RIP“ nicht von ihrem Norwegerpulli trennen möchte, bekommt Randall hochgradiges Lampenfieber. Und dann sind sie nach einem kosmisch aufgebrezelten Popsternchen dran, das sich live – samt Heiratsantrag – mit dem Ex versöhnt. Wen interessiert da noch so ein Armageddon?

Das erste, was der Moderator und die Moderatorin (Tyler Perry, Cate Blanchett mit sensationellen Kunstwimpern) dann wissen wollen: „Gibt es Leben da draußen?“ Was der nach seiner Entdeckerin benannte Komet Dibriasky anrichten wird, wird zerwitzelt, Hauptsache er trifft das Haus der Ex des Moderators. Ha-ha! Kate explodiert vor laufender Kamera – nicht gut für die Seriosität. In den sozialen Medien kursieren Memes von der Verrückten, Klicks gab’s auch kaum. Das US-Fernsehen wünscht den „Panikmachern“ einen „schönen Weltuntergang“.

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Dass es vielleicht doch etwas wird mit der Globusrettung liegt daran, dass die Präsidentin von einem Skandal ablenken muss – weil sie Fotos ihrer körpereigenen Niederlande an einen Ex-Lover verschickt hat. Mit ausgelutschten Satelliten und ausrangierten Raumfährten voller Atomsprengköpfen will man den dicken Brocken nun vom Kurs abbringen. Ein Held (Ron Perlman) soll das Paket im Herz des Kometen platzieren, was auch computergesteuert ginge, aber „Amerika liebt Helden“.

„I came from Alabama with my Banjo on my Knees …“, singt der vierschrötige Ex-Militär und kann während der Startphase gerade noch davon abgebracht werden, eine Botschaft an die Schwulen der Erde zu schicken. Homophobie, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Populismus, kapitalistische Ultragier, Hybris – McKays Kometenkomödie streift so gut wie jeden gesellschaftlichen Horror.

Eine prächtige Odyssee durch die menschliche Dummheit

Eine prächtigere Odyssee durch die wilde See der menschlichen Dummheit und Ignoranz gab es selten zu sehen – die Geheimdienstsatire „Burn After Reading“ (2008) der Coen-Brüder fällt einem ein oder der rabenschwarze Lobbyistenspaß „Thank You for Smoking“ (2005) von Jason Reitman. Nach dem Motto „Was man nicht sehen kann, gibt es auch nicht“ liefert McKay mit seinem Film auch gleich noch eine herrliche Parabel auf den Verschwörungsunsinn jener potenziell mörderischen Zeitgenossen und ‑genossinnen, die die Existenz des mikroskopisch kleinen Winzlings Corona respektive seine Gefährlichkeit bestreiten, dahinter eine Weltverschwörung zur Errichtung von Diktaturen oder bereits errichtete Diktaturen sehen (im Deutschland der Verquerdenkenden etwa wird derzeit die Merkeldiktatur von der Scholzdiktatur abgelöst) und die die rettenden Impfstoffe scheuen wie der Teufel das Weihwasser. „Woher wissen wir überhaupt, dass es einen Kometen gibt?“, prollt denn auch prompt ein Kometenleugner.

Wem mulmig wird – die Nasa erprobt demnächst das Asteroidenschubsen

McKays mit Stars gespickter Film (dabei sind beispielsweise noch Timothée Chalamet, Melanie Lynskey, Matthew Perry, Mark Rylance und Ariana Grande) hat optisch einen quasidokumentarischen Anstrich. Viel Wackelkamera, gelegentlich werden Bilder von der Schönheit der irdischen Fauna und Flora eingestreut, dann wieder der Silberschweif des steinernen Gasts, der stumm seinem Ziel entgegen rast.

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Wem bei alldem schrecklich mulmig wird, wer Angst hat, irgendwo in der ewigen Schwärze sei möglicherweise jetzt schon ein Mount-Everest-großer Klumpen unterwegs zu uns, der sei daran erinnert, dass die Nasa längst alles tut, um gewappnet zu sein. Vor knapp drei Wochen ist die Sonde Dart (Double Asteroid Redirection Test) von der Vandenberg Space Force Base in Kalifornien zu ihrer Mission gestartet, um einen Asteroiden ein bisschen zu schubsen, seine Umlaufbahn leicht zu verändern. Anfang Oktober 2022 wissen wir mehr.

Mal sehen, ob da oben was geht.

„Don’t Look Up“, 145 Minuten, Regie: Andy McKay, mit Jennifer Lawrence, Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Meryl Streep, Jonah Hill (ab 9. Dezember im Kino, ab 24. Dezember bei Netflix)

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