„His Dark Materials”: Die zweite Staffel startet - Lyra Listenreich ist zurück
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Schritt in eine Welt, in der Erwachsene nicht leben können: Lyra „Listenreich“ Belacqua (Dafne Keen) und ihr Daemon Pantalaimon betreten die „leere“ Stadt Cittàgazze.
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Lyras Belacquas Blick ist dunkel, oberhalb der Nasenwurzel wird eine Falte sichtbar, die zunächst Sorge und Misstrauen spiegelt, später, als die zweite Staffel von „His Dark Materials“ (zu sehen ab 21. Dezember auf Sky) schon weit fortgeschritten ist, eine hasserfüllte Lossagung ankündigt. Das Waisenkind aus Oxford hat in der ersten Staffel eine Familie bekommen und ist zu Beginn der zweiten doch verlassener denn je.
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Lyra (Dafne Keen) hat nicht nur erfahren müssen, dass die mondäne Mrs. Coulter (Ruth Wilson) in Wahrheit ihre Mutter ist, sondern dass sie im Auftrag der diktatorischen Kirche nahe des Nordpols grausame Experimente an Kindern durchführen lässt. Und als ihr Vater stellte sich der abenteuernde Wissenschaftler Lord Asriel (James McAvoy) heraus, den sie verehrte, bis er ihren besten Freund Roger opferte, um ein Tor in ein Paralleluniversum zu sprengen.
Mit Flusszigeunern und dem König der Eisbären sowie der Hilfe eines Alethiometers, eines orakelnden Kompasses, war sie alldem auf die Spur gekommen. Wir sind, um das klarzustellen, in einer Welt, in der es keine Autos gibt, Zeppeline statt Flugzeugen über den Himmel gleiten und die Menschen ihre Seelen in Gestalt sprechender Tiere als Begleiter neben sich haben.
Wo Lyra herkommt, hat die Kirche das alleinige Sagen. Alles und jeder ist den in Schwarz gewandeten Männern des Magisteriums untertan, alles Wissen hat es schwer, alle Wissenschaftler arbeiten in Angst, denn jede der offiziellen Theologie vermeintlich zuwiderlaufende Forschung wird als Häresie gehandelt. Ein „Staub“ genanntes Phänomen, Partikel, die sich nur um Erwachsene zu sammeln scheinen, wird vom Magisterium als Manifestation der „Ursünde“ bezeichnet und bekämpft, von Lord Asriel indes als Vielweltenschlüssel begriffen. Alles ziemlich mittelalterlich, alles sehr komplex, alles zutiefst faszinierend.
Lyra landet in der Stadt der Elstern
Lyras fröhliche Kindheitstage über den Dächern von Oxford sind jedenfalls vorbei, ihre Gefährten im Kampf gegen die Gobbler genannten Kindsentführer sind ihr nach einem Sturz aus dem Ballon des Aeronauten Lee Scoresby (Lin-Manuel Miranda) abhanden gekommen. Durch ein Loch in den Wüsten der Arktis ist sie in eine sterbende Welt gerutscht, trifft in einer fast menschenleeren, ziemlich unheimlichen Stadt namens Cittàgazze (Stadt der Elstern), die wie eine altitalienische Variante von Tolkiens Minas Tirith anmutet, den Jungen Will Parry (Amir Wilson), der aus dem Oxford unserer Sphäre stammt und seinen Vater sucht. Zusammen finden sie ein besonderes Messer. Damit lassen sich Fenster in Abertausende Welten schneiden, Welten, die allesamt am Abgrund stehen.
Philip Pullmans Romantrilogie „His Dark Materials“ war mehr als ein Jugendbuch – eine schwindelerregende Vision, vielleicht der größte Fantasywurf seit dem „Herrn der Ringe“. Hexen, Engel, Eisbärenkrieger, Libellenritter, Klippenalpe rangen in einem gewaltigen Dreibücherkampf um den Himmel, den Lyra und Will schlussendlich nach über 1400 Seiten für das Gute entschieden. Um den hohen Preis des Lebensglücks. Der neue Verfilmungsversuch der Meisterhäuser HBO und BBC ist Fantasy deluxe: Philosophisch, utopisch, vortrefflich inszeniert und superspannend.
In der Serie wird modernisiert, werden neue Akzente gesetzt
Das erste Buch erschien vor 25 Jahren. So gibt es in der Drehbuchversion der Hauptautoren Pullman und Jack Thorne zwangsläufg einige Modernisierungen – im Kleinen wie im Großen. Will hat selbstverständlich ein Smartphone, der in Mrs. Coulter verliebte, niederträchtige Carlo Boreal (Ariyon Bakare), der sich in unserer Welt eine zweite Existenz aufgebaut hat, fährt einen Tesla statt eines Rolls Royce und der Sitz des Magisteriums ist nicht mehr Genf, sondern der Ort, an dem in unserem England Queen Elizabeths Buckingham Palace steht.
Klimawandel und Gendergerechtigkeit werden gestreift: Von der Anomalie des Asriel’schen Risses in der Welt schmelzen die Eisberge auch in der Parallelarktis des Panzerbären Iorik. Schließlich erkennt Marisa Coulter während einer Stippvisite in unserer Welt bei der über „dunkle Materie“ forschenden Physikerin Mary Malone (die im Buch nicht stattfindet), wie demütigend ihr Dasein als Wissenschaftlerin unter der postkatholischen Magisteriumsherrschaft ist. Auch nach dem Ende des Papismus schließen die Kirchengranden Frauen vom inneren Machtzirkel aus.
Exkurs: Kirchen- und Religionskritik in „His Dark Materials“
Patriarchat und weibliche Unterdrückung waren Pullman, der generell Romanheldinnen bevorzugt, wichtige Themen. Kritiker verglichen seine Saga wiederholt mit C. S. Lewis‘ christlich verbrämten „Narnia“-Erzählungen, die Pullman aber verachtete, weil er sie für rassistisch, frauenfeindlich und frömmlerisch hielt. Pullmans Hauptinspiration kam vielmehr von „Paradise Lost“, John Miltons 1667 erschienenem, emanzipatorischem Gedichtepos über einen despotischen Gott, den einfach gestrickten Adam und seine wissbegierige (deutlich intelligentere) Gefährtin Eva. Und natürlich über den rebellischen Engel Luzifer, der als Satan lieber über die Hölle herrscht, „als im Himmel Diener zu sein“.
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Ein Jahrhundert später bezeichnete der englische Romantiker William Blake Milton als „unwissentlichen Parteigänger Satans“, sein Landsmann, der Literaturkritiker William Empson (1906 – 1984) wies Milton schließlich als Verdienst zu, „Gott als böse beschrieben zu haben“, weil der christliche Gott eben böse sei. Denn: Was immer Satans Plan mit Adam und Eva gewesen sei, müsse logischerweise auch der Plan des bei Milton allwissenden, allmächtigen Gottes gewesen sein.
Dass Pullman Gott, Religion und Kirche in seinen Büchern diskreditierte und sich selbst im Vorwort in provokanter Berufung auf Blake als „wissentlichen Parteigänger Satans“ beschrieb, dürfte dazu beigetragen haben, dass die geplante Kinotrilogie in den Nullerjahren nie über den ersten Film hinauskam. Die katholische Kirche in den USA lief 2007 massiv und erfolgreich Sturm gegen Hollywood. Vielleicht hielten sie den Schriftsteller fälschlich für einen Satanisten.
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Die zweite Staffel: Das Geheimnis des „Staubs“ wird gelüftet
BBC und HBO ficht solches nicht an, sie machen weiter. Und so erleben wir, wie die Heimat der Hexen um Serafina Pekkala verbrannt wird und die fliegenden Frauen zum Krieg gegen das Magisterium aufbrechen. Wir treffen unheimliche Gespenster, die Erwachsenen die Seele aussaugen. Wir hören, wie von Prophezeiungen bezüglich Wills und Lyras geraunt wird, und staunen, als schließlich offenbart wird, was „Staub“ alias „die dunkle Materie“ wirklich ist. Hauptdarstellerin Dafne Keens Nasenfalte ist süß, sie versetzt uns im Handumdrehen in Lyra-Rausch – in einer Fantasy, die „Game of Thrones“-Kaliber hat und gewiss kein Kinderkram ist wie Disneys „Narnia“-Filme.
Und die einen klaren Vorteil gegenüber „GoT“ aufweisen kann: Ihr (durchaus spektakuläres) Ende ist längst geschrieben. Auf die letzten beiden „Lied von Eis und Feuer“-Romane George R. R. Martins warten wir immer noch.
„His Dark Materials, Staffel 2“, bei Sky, sieben Episoden, von Philip Pullman, Jack Thorne, mit Dafne Keen, Ruth Wilson, Amir Wilson, Lin-Manuel Miranda (erste Folge streambar ab 21. Dezember).