Liebe statt Lästern! Warum das Dschungelcamp seine Zeit gehabt hat
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Die zwölf „Dschungelcamp“-Insassen 2022: (oben von links) Eric Stehfest, Linda Nobat, Janina Youssefian, Filip Pavlovic, Christin Okpara (inzwischen gegen Jasmin Herren ausgetauscht), Lucas Cordalis sowie (unten von links) Tara Tabitha, Peter Althof, Harald Glööckler, Anouschka Renzi, Manuel Flickinger und Tina Ruland.
© Quelle: RTL / Arya Shirazi
Gerade erst hat RTL mit branchenüblichem Gepränge und Geklingel angekündigt, seriöser werden zu wollen – weg vom Rattazong-Fernsehen, hin zu Wärme und Relevanz. Man hat Dieter Bohlen geschasst, ein neues Logo entworfen, die ARD-Gesichter Pinar Atalay und Jan Hofer eingekauft, sich den einst stolzen Magazinverlag Gruner + Jahr („Stern“, „Geo“, „Brigitte“) einverleibt, teure Hochglanzserien wie „Sisi“ hergestellt und sich positive Energie auf die pastellfarbenen Fahnen geschrieben. Doch nun gibt es ein Problem: Das „Dschungelcamp“ startet.
Wie passt das zusammen? Was haben der fünfzehnte Aufguss dieser längst in Elendsroutine erstarrten Knalltütensause und das „neue RTL“ gemeinsam? Was haben nächtliche Schlepphodenspaziergänge zum Donnerbalken und der sturzöde Verzehr irgendwelcher Wildgenitalien mit der pompös versprochenen RTL-Qualitätsoffensive zu tun? In etwa so viel wie Harald Glööcklers Augenbrauen mit natürlichem Haarwuchs: nichts. Als werbefinanzierter TV-Sender aber verzichtet man eben ungern auf fünf bis sechs Millionen Elendstouristen pro Abend. Die Quote ist einfach noch zu gut, um konsequent das Werk des Herrn zu tun und die Sache abzublasen.
Trash-Haubitzen aus der Todeszone des Boulevard
Nein, Dschungel muss sein. Statt nach Australien geht es diesmal pandemiebedingt auf eine frühere Farm im südafrikanischen Dungay, und statt Prominenter sind diesmal Trash-Haubitzen aus der Todeszone des Boulevard dabei, deren Namen selbst eingefleischte Realitygucker überfordern dürften: Eric Stehfest (32), Linda Nobat (26), Filip Pavlovic (27), Tara Tabitha (28), Janina Youssefian (39), Manuel Flickinger (33) und Peter Althof (66). Jemand? Es ist, als wolle RTL sagen: Nun ist es auch wurscht – Hauptsache, da bewegt sich was Buntes im Fernsehen.
Einzig „Manta, Manta“-Veteranin Tina Ruland (55), Schauspielerin Anouschka Renzi (57) und Schönheitspionier Harald Glööckler (56) weisen eine gewisse Milieuprominenz auf. Auch Sänger Lucas Cordalis wäre den meisten Zuschauern und Zuschauerinnen bekannt gewesen – der kann nun zumindest zu Beginn nicht einziehen, da er positiv auf Corona getestet wurde. Kandidatin Christin Okpara (25), nicht bekannt aus Funk und Fernsehen, hat sich „wegen Unstimmigkeiten zum Impfstatus“ (RTL) bereits vor dem Sendestart selbst ins Aus katapultiert. Die Rede ist von einem gefälschten Impfpass. Nachrückerin ist Jasmin Herren, die sich bisher überwiegend als Witwe von Willi Herren hervortat. Der ehrlichste Satz zum „Fernsehereignis des Jahres“ (niemand) kam bisher von Frau Ruland: „Ohne Geld wäre ich nicht gegangen.“
Erschlaffende Empörung über das Ekelfernsehen
Insgesamt scheint das Genre Reality-TV auserzählt. Spätestens, seit sich wirkliche Prominenz verweigert und die Fremdschämwochen nur noch als Festival der Talentlosigkeit für arme Hascherl taugen, denen keine andere berufliche Perspektive offensteht, als sich niedrigschwellig zum Horst zu machen. Das letzte reguläre „Dschungelcamp“ im Januar 2020 war so interessant wie ein Teller Reis und Bohnen. Gewiss ist die erschlaffende Empörung über das Ekelfernsehen immer Teil der Inszenierung. Inzwischen aber hat eine Pandemie die Welt im Griff.
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Ob Schadenfreude in diesen nervösen, überreizten Zeiten, in denen sich die Welt nach Harmonie und Normalität sehnt, tatsächlich ein tragfähiges Sendeprinzip ist, darf man anzweifeln. In saturierten, vorpandemischen Zeiten konnte das TV-Ritual einmal im Jahr dazu beitragen, dass „uns Zivildienstleistenden nicht fad im Schädel wird“, wie der österreichische Krimiautor Wolf Haas einmal sagte. Inzwischen ist die Welt aber dermaßen in Aufruhr, dass künstlicher Krawall wirkt wie aus der Zeit gefallen. Angesichts der täglichen Anschreierei in den sozialen Medien können die Lagerfeuershitstorms der Dschungelinsassen doch höchstens wirken wie laue Lüftchen.
Andererseits ist es ja nicht undenkbar, dass der Dschungel die eskapistischen Neigungen manches pandemiemürben Zuschauenden befriedigen wird. Ablenkung kann auch therapeutische Wirkung haben. Dann geht es halt mal 14 Tage nicht um Christian Drosten und Karl Lauterbach, sondern um Glööcklers Lippen. Die Frage ist nur, ob ein Quatschformat, das vor zehn Jahren mal kurz als gesellschaftlicher Zeitenspiegel und geistiger Escape Room für Freizeitfeuilletonisten interessant war, aber seinen Zenit längst überschritten hat, die Menschen glücklicher oder trauriger macht. Ist der reale Wahnsinn nicht schon wahnsinnig genug? Braucht es da noch Krokodilklötengeknabber? Ist Telegram nicht längst ein Ganzjahresdschungel und der Wendler sein Schwurbelkönig?