Wenn Meryl singt, tanzt Netflix: Das Musical „The Prom“

Die „New York Times“ kommt gleich mit ihrem Verriss: Noch freuen sich Dee Dee (Meryl Streep) und Barry (James Corden) über den vermeintlichen Triumph ihres neuesten Broadwaymusicals „Eleanor!“.

Die „New York Times“ kommt gleich mit ihrem Verriss: Noch freuen sich Dee Dee (Meryl Streep) und Barry (James Corden) über den vermeintlichen Triumph ihres neuesten Broadwaymusicals „Eleanor!“.

Dee Dee Williams wird, so scheint es, erst dann lebendig, wenn Scheinwerfer auf sie gerichtet sind, wenn die Mikrofone angehen, die Klatschreporter erwartungsvoll dreinschauen. Dann wird die Maske zum Gesicht, dann blitzt ihr Paradelächeln auf, dann funkelt sie von Kopf is Fuß. Es ist ein großer Abend zu Beginn von Ryan Murphys Broadwaymusicalverfilmung „The Prom“: Dee Dees neueste Broadwayshow „Eleanor!“ über die Präsidentengattin Eleanor Roosevelt hat Premiere und soll ihr den dritten Tony Award ihrer Karriere bescheren.

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Mit ihrem Partner, dem eigentlich für die Rolle viel zu massigen Franklin-Delano-Roosevelt-Darsteller Barry Glickman, läuft Dee Dee Superstar am Premierentheater auf, und überschätzt sich selbst: „Die Leute müssen wissen, dass jeder die Welt verändern kann, ob man nun eine unscheinbare First Lady mittleren Alters ist – oder ein Broadwaystar wie ich – haha!“ Zu große Worte.

Der Verriss der „New York Times“ knickt Karrieren

Der Satz fällt ihr auf die Füße. Zwar ist die erste Kritik der „New York Post“ noch wohlwollend – es scheint schon mal gesichert, dass der „Eleanor!“-Tross so bald nicht – demütigend für Broadwayschauspieler – auf Tour gehen muss. Aber als im Restaurant gegenüber dem Theater die ersten Champagnerflaschen knallen, kommt die große „New York Times“ mit ihrer vernichtenden Review, in der Dee Dee mit einer „alternden Dragqueen“ verglichen wird, und Barry als „lächerlichster aller Darsteller von FDR“ ausgezählt wird. „Es geht nicht um die Show“, weiß ihr Manager Sheldon, „es geht um euch. Ihr seid nicht liebenswert. Niemand mag Narzissten.“

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Und so handeln die zwei Stunden und elf Minuten von „The Prom“ davon, wie jene Narzissten lernen, ihren Narzissmus zu bändigen. Meryl Streep und James Corden spielen die beiden Eitelpakete mit Karriereknick, ihnen zur Seite stehen bald schon zwei weitere von sich selbst überzeugte Showpferde – der kellnernde Trent (Andrew Rannells) und die arbeitslose Angie Dickinson (Nicole Kidman), die gerade den Cast von „Chicago“ verlassen hat.

Eine wahre zweite Geschichte wird an die erste angeschweißt

Eine zweite (wahre) Geschichte wird an die erste (fiktive) angeschweißt und man spürt die Schweißnaht. Im Städtchen Edgewater, Indiana, will die offen lesbische Schülerin Emma Nolan (Jo Ellen Pellman) gemeinsam mit ihrer Liebsten am Abschlussball teilnehmen. Das Elternkomitee weiß das spektakulär zu verhindern – weil die Ausgrenzung eines Paares rechtliche Konsequenzen haben könnte, wird der gesamte Prom abgesagt. Was Wut und Abscheu der Mitschüler noch verstärkt. Kein Spaß – und das nur wegen zwei Homos!

Hier sieht das Quartett aus New York seine Chance, Menschlichkeit und Mitgefühl – freilich zunächst nur zum Schein – unter Beweis zu stellen. Es geht um die gute Presse, nicht um die gute Tat, und so donnern die vier in die Provinz wie eine Regenbogenlokomotive. Und die Provinz ist nicht bereit, sich dem Dröhnen und Prusten der Popularität zu beugen. Sagt man Hinterwäldlern, sie seien Hinterwäldler, werfen sie mit Bäumen. Zugeneigt ist nur der Schuldirektor Hawkins (Keegan-Michael Key) – zufällig ein Die-hard-Fan von Dee Dee seit ihren Anfängen.

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Murphy, Schöpfer von populären Serien wie „Nip/Tuck“, „American Horror Story“ und zuletzt „Ratched“, zudem seit „Glee“ auch musicalversiert, hat einige Trümpfe in seinem Cast. Jo Ellen Pellman als unbeugsame Emma ist so hinreißend süß wie es Drew Barrymore in „E. T.“ war. Und indem er die Rolle der lesbenhassenden Elternratsvorsitzenden Mrs. Greene an Kerry Washington gibt, zeigt Murphy, dass Ressentiments gegenüber Homosexuellen nicht etwa exklusiv Weißen vorbehalten sind.

Musik ist Meryl Streeps Ding

Meryl Streep hat unter anderem mit „Last Radio Show“, „Mamma Mia!“, „Ricki“ und „Florence Foster Jenkins“ bewiesen, dass Musik total ihr Ding ist, und ist in „The Prom“ so attraktiv und beweglich, dass die 22 Jahre Unterschied zum „Love Interest“-Darsteller Key kaum ins Gewicht fallen.

Die Story von „The Prom“ – der Weg selbstsüchtiger Stars und vorurteilsbeladener Hinterwäldler zu Selbsterkenntnis und Demut – ist super simpel, unglaubwürdig, konstruiert, aber das ist nicht das Hauptproblem dieses Film. Die Botschaft der Toleranz ist ebenfalls schlicht, aber positiv und vonnöten, denn es gibt immer noch Menschen zuhauf, die erfahren müssen, dass die sexuellen Ausrichtungen der LGBTQ-Palette nur weitere Versionen von „normal“ sind. Auch die Songs von Matthew Sklar und Chad Beguelin, wiewohl keiner hängenbleibt, müssen nicht Murphys Hauptsorge sein. Sie sind immerhin recht temperamentvoll und halten die Chose in Schwung.

Die Kernschwäche sind die Figuren, die schablonenhaft und eindimensional wie die eines Slapstickstreifens aus Ben-Turpin- und Fatty-Arbuckle-Zeiten sind. Und ihre Gewichtung ist ebenfalls wenig überzeugend. Kidmans Charakter etwa gesteht in einer Szene, dass er im Broadwaygetriebe nur „zweite Reihe“ ist (der von der Bühnenversion geänderte Name Angie Dickinson stammt von einer Darstellerin aus Hollywoods zweiter Garde, die 1959 in Howard Hawks’ Edelwestern „Rio Bravo“ immerhin eine ikonische Rolle innehatte).

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Nicole Kidmans Rolle ist zu schwach entwickelt

Und auch Kidmans Part der Angie in „The Prom“ ist nur der einer Stichwortgeberin. Die große Kidman singt süß, zeigt „Antilopenbeine“, bleibt aber kaum im Gedächtnis. Man fragt sich, ob der schwul lebende Murphy die Vorlage wählte, weil er Intoleranz und Menschenverachtung der inzwischen abgewählten Trump-Ära einen Mittelfinger zeigen wollte. Das Musical „The Prom“ war kein Hit. Es lief nur ein knappes Jahr am Broadway, nach 309 Aufführungen war schon 2019 finito. Für Februar ist – so Corona es zulässt – der Tourstart geplant.


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Noch immer schließen wir uns dem Urteil von Cameron Tucker an, der in der Serie „Modern Family“ im Brustton der Empörung ausrief: „Es gibt keinen schlechten Film mit Meryl Streep!“ Streep kann sexy und seriös und ist auch dann streepissimo, wenn ihre Figur so grob skizziert ist wie hier. Auch dies ist nun ein Film, den sie rettet und der verloren wäre, wenn Meryl Streep nicht für ihn sänge und tanzte.

„The Prom“, bei Netflix, Regie: Ryan Murphy, mit Meryl Streep, Jo Ellen Pellman, Nicole Kidman, James Corden, 131 Minuten (streambar ab 11. Dezember)

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