Wie russische Influencer mit Putins Krieg umgehen
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Das Influencer-Netzwerk Instagram ist inzwischen in Russland gesperrt.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Hannover. Es ist still geworden auf dem Tiktok-Kanal von „babywhigga“. Naja, nicht ganz: In den Kommentarspalten auf dem Profil des russischen Influencers kommentieren Nutzerinnen und Nutzer weiter intensiv – zum Teil mit Spott und Hohn.
Rund 500 Wortmeldungen finden sich unter seinem vorerst letzten Post auf der Kurzvideoplattform. „Bye, bye“ ist da beispielsweise spöttisch zu lesen. „Endlich dein letztes Tiktok-Video“, schreibt einer. „Endlich keine Tänze mehr bei Ikea und Gucci“, meint ein anderer. „Hast du nichts Besseres zu tun als zu tanzen? Nutz deine Reichweite mal für was Sinnvolles“, fordert jemand. Und in mehreren Kommentaren ist die ukrainische Flagge zu sehen, manchmal mit dem Zusatz: „Stoppt den Krieg“.
Kein Wort zum Krieg
„babywhigga“ ist ein junger Mann um die 20, der im echten Leben Danya heißt. Bekannt wurde er auf Tiktok mit Tänzen zu verschiedenen Songs in seiner Heimatstadt Sankt Petersburg. Eines seiner bekanntesten Videos zeigt ihn, wie er zu „Rasputin“ von Boney M. auf der Straße tanzt – mitunter durch seine Videos erlebte der Song im vergangenen Frühjahr ein unverhofftes Comeback in den Charts. 1,5 Millionen Menschen folgen „babywhigga“ auf Tiktok.
Mit dem 24. Februar allerdings, dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, ändert sich die Sympathie für den jungen Russen auf der Plattform schlagartig. Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer beginnen, die Kommentarspalten mit ukrainischen Flaggen zu fluten. Er solle als Socialmedia-Star mit seiner enormen Reichweite endlich Stellung beziehen, fordern viele in den Kommentaren. „babywhigga“ verzichtet darauf. Den Krieg in der Ukraine verschweigt er auf seinem Profil gänzlich – und tanzt weiter. Als wäre nie etwas gewesen.
Allein am 24. Februar, dem Tag des Angriffs, postet der Influencer fünf Videos auf Tiktok, die ihn allesamt in coolen Posen an verschiedenen Orten in Moskau zeigen – jedoch mit keinem Wort den Angriffskrieg auf die Ukraine erwähnen. Tags drauf folgen vier weitere Videos mit ähnlichen Inhalten.
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Spott und Wut in den Kommentarspalten
Erst am Abend des 25. Februars fühlt sich „babywhigga“ offenbar gezwungen, doch etwas zur Thematik zu sagen. Er veröffentlicht ein Video, dass ihn beim Scrollen durch seine Tiktok-Kommentare zeigt. Im Hintergrund sind Nachrichtenschnipsel zu hören, die immer wieder das Wort „Ukraine“ oder „Wladimir Putin“ wiederholen. Die Überschrift des Videos lautet: „Kommentare unter jedem meiner Videos“. Anschließend geht es mit neuen Tanzvideos weiter.
Die Follower des Influencers besänftigt das nicht, im Gegenteil. Rund 700 Kommentare sind unter dem Beitrag zu finden, die meisten solidarisieren sich mit der Ukraine. „Glaubst du, dass das lustig ist?“, fragt einer. „Interessiert dich der Krieg überhaupt? Was bist du für ein Mensch?“, schreibt ein anderer. „Ich habe kein Mitgefühl mit dir“, meint ein anderer.
Am 6. März schließlich wird dann das vorerst letzte Video auf dem Kanal von „babywhigga“ veröffentlicht. Kurz darauf schränkt der Dienst Tiktok seine Funktionen in Russland ein und der junge Influencer kann nicht mehr senden. Der Spott in den Kommentarspalten ist groß.
Viele Influencer schweigen
Wie fühlt es sich an, als Socialmedia-Star plötzlich seiner Plattform und damit seiner Einnahmequelle beraubt zu werden? Wie geht man damit um, wenn das eigene Land einen Angriffskrieg führt, über den man aber nicht frei sprechen darf? Und warum entscheidet man sich in letzter Konsequenz, das Thema – trotz enormer Reichweite – einfach totzuschweigen?
Sowohl „babywhigga“ als auch andere russische Influencerinenn und Influencer lassen eine RND-Anfrage zum Thema unbeantwortet – ebenso wie die vielen Nachfragen von Followerinnen und Followern in den Kommentarspalten der Plattformen. Nur einige wenige trauen sich zu sprechen – zumindest auf ihren eigenen Kanälen.
Einer von ihnen heißt Roman – auf der Plattform Youtube ist er bekannt unter dem Namen NFKRZ. Roman ist kein klassischer Influencer – auf seinem Kanal postet er unterhaltsame Videos zur russischen Geschichte und Kultur, die eher Bildungscharakter haben. Das erfolgreichste Video seines Kanals mit einer Million Abonnentinnen und Abonnenten beschäftigt sich mit Fast-Food in der UDSSR, ein weiteres mit einem russischen Rapper und eines mit russischen Schimpfwörtern. Die Inhalte sind allesamt englischsprachig und richten sich weniger an eine russische Zuschauerschaft, sondern an ein internationales Publikum, das sich für Russland interessiert.
„Ihr wisst nicht, wie sich das anfühlt“
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine haben sich die Inhalte auf Romans Kanal drastisch geändert. Schon am Tag des Einmarschs postet der Videoblogger einen Clip mit dem Titel: „Normale Russen sagen Nein zum Konflikt“. Er wolle deutlich machen, dass keine einzige Person in seinem Freundes- oder Bekanntenkreis den Krieg unterstütze, sagt der Youtuber. Und gleiches gelte auch für Millionen andere Russinnen und Russen.
Schon zu Beginn des Videos macht der Youtuber deutlich, dass er nicht offen sprechen kann. „Ich will keinen Ärger mit dem Gesetz“, sagt er. Ohnehin würde er seine Videos immer und immer wieder überprüfen, damit darin bloß keine Formulierungen auftauchten, die ihn mit den Gesetzen des Landes in Konflikt bringen. „Ihr wisst nicht, wie sich das anfühlt“, so der Youtuber. „Amerikaner wissen gar nicht, was für ein Privileg es ist, in einem Land zu leben und dort einfach sagen zu dürfen ‚Biden sucks‘“. In Russland könne man nicht einfach seine Meinung sagen oder gar gegen den Krieg protestieren. „Es ist verdammt beängstigend, das zu tun. Ihr könnt euch das nicht vorstellen.“
In den folgenden Tagen äußert sich Roman immer wieder auf seinem Kanal. In einem Video berichtet der Youtuber von den Sanktionen gegen sein Heimatland und wie diese ihn selbst betreffen. „Ich bin am Arsch“, sagt Roman. Er könne derzeit weder von Youtube noch von Patreon Zahlungen erhalten, da Russland vom Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen wurde. Derzeit lebe er von seinem Ersparten, das aber auch kontinuierlich schrumpfe, da der Rubel praktisch nichts mehr wert sei. Er sei ruiniert.
Youtuber verlässt das Land
Ein weiteres Video mit dem Titel „Russsland ist gecancelt“ beschäftigt sich mit dem Rückzug zahlreicher Marken und Unternehmen aus Russland. Auch das betreffe ihn persönlich. So bestehe etwa seine gesamte Wohnung aus Ikea-Möbeln – und seine technischen Geräte für die Videoproduktion seien von Apple. Beide Firmen hatten sich nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine aus Russland zurückgezogen.
Romans vorerst letztes Video aus seiner Heimat Russland beschäftigt sich schließlich mit den blockierten sozialen Netzwerken. Er selbst hat inzwischen einen Telegram-Kanal ins Leben gerufen, dem innerhalb weniger Tage 41.000 Menschen folgen. Eine Vorsichtsmaßnahme, wie er sagt. Nach dem Bann von Plattformen wie Tiktok, Instagram und Facebook sei es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis auch Youtube in Russland blockiert werde.
Nur wenige Tage später sitzt der Youtuber dann nicht mehr an seinem Schreibtisch in seiner Wohnung in Sankt Petersburg. Er habe das Land auf unbestimmte Zeit verlassen, erklärt er in einem Video. Sein vorläufiger Zufluchtsort: Tiflis, die Hauptstadt Georgiens.
Angst vor Haftstrafen
Der Hauptgrund für seine Flucht sei die Zensur der sozialen Netzwerke, erklärt Roman. „Ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass auch Youtube früher oder später blockiert wird. Und ich bin Youtuber, das ist ein großes Problem für mich.“ Der andere Grund sei die aktuelle Lage in Russland. Die Wirtschaft breche massiv ein, es gebe bereits Knappheit von Lebensmitteln. Und die Lage werde sich voraussichtlich noch verschlimmern.
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Auch habe er das Gefühl, dass er sich Russland nicht mehr zugehörig fühle. „Ich laufe durch Sankt Petersburg und sehe die Banner mit dem Z drauf. Ich weiß es wirklich nicht.“ Die Beschneidung der Redefreiheit habe weiter zugenommen und werde sich möglicherweise noch verschlimmern. „Das Land, in dem ich großgeworden bin, ist nicht mehr dasselbe“, sagt er.
In seinem aktuellsten Video bezieht sich der Youtuber schließlich auf das neue Mediengesetz in Russland, dass das Verbreiten vermeintlicher „Fake News“ mit 15 Jahren Haft bestraft. „Das ist kein Witz, das ist ein nationales Gesetz, das sie gerade verabschiedet haben“, so der Youtuber.
Blogger flieht aus Russland
Er habe kein Verständnis für die Followerinnen und Follower, die ihn in den Kommentaren dazu drängten, etwas zum Ukraine-Krieg zu sagen. Man würde von ihm verlangen, sich wie ein Märtyrer zu verhalten und erwarten, dass er sein eigenes Leben zu zerstöre. „Ich tue es nicht, weil ich schlichtweg Angst habe“, so der Youtuber. „Ich will kein gesuchter Verbrecher in Russland sein. Ich habe Freunde und Familie dort. Ich will wieder zurückgehen können und meine Familie sehen. Wenn ihr in meiner Position wärt, würdet ihr genau dasselbe tun.“
Deutlich offensiver als Roman geht der russische Tiktoker Greg Mustreader mit dem Ukraine-Krieg um. Er beschäftigte sich vor der Invasion auf seinem Kanal mit Techniktrends und Transhumanismus – heute informiert er seine 130.000 Follwerinnen und Follower über die aktuelle Lage in seiner Heimat. Dazu sei auch er mittlerweile aus Russland geflohen.
„Ab heute kannst du für 15 Jahre ins Gefängnis gehen, wenn du die Invasion Krieg nennst“, so Mustreader in einem Clip. Er habe Russland verlassen müssen, um seine freie Meinung sagen zu können. Seither informiert er seine Anhängerschaft etwa über die schwierige Situation für Demonstrierende in Russland – und auch den Protest der russischen Fernsehmacherin Marina Owsjannikowa im Staatsfernsehen thematisiert er.
Zahlungen an Youtuber eingestellt
Gleichzeitig kritisiert Mustreader aber auch die Sanktionen gegen Russland – und bringt dabei die auch Szene der Youtuber und Influencer ins Spiel. „Die Sanktionen laufen gerade in die falsche Richtung“, so der Blogger. „Youtube hat beispielsweise Werbung in Russland gestoppt. Das betrifft vor allem russische Youtuber, die sich größtenteils gegen den Krieg aussprechen“, sagt Mustreader. „Es betrifft aber auch Youtuber aus der Ukraine, deren Zuschauerschaft zu 50 bis 80 Prozent aus Russland stammt.“ Sie würden jetzt einen großen Teil ihres Einkommens verlieren.
Nach dem Bann mehrerer sozialer Netzwerke in Russland waren bereits Mitte März Berichte über weinende russische Influencerinnen durch die sozialen Medien gegangen – zum Teil wurden sie mit viel Spott und Häme kommentiert. Eine der bekanntesten Instagramerinnen, Olga Buzowa, erklärte beispielsweise ihren 23 Millionen Followern unter Tränen: „Mein Leben wurde mir genommen.“
Sie habe „keine Angst zuzugeben, dass ich euch nicht verlieren will“, so Buzowa weiter. In dem sieben Minuten dauernden Video betont die 36-Jährige, dass dies nicht nur ein Job für sie gewesen sei, sondern ein Teil ihrer Seele. Sie würde jetzt weiterweinen. 2,4 Millionen Mal wurde das Video bis heute angesehen.
Influencer umgehen Instagram-Sperre
Andere Influencerinnen, wie etwa Waleria Tschekalina, kündigten an, auf andere Kanäle auszuweichen, vor allem Telegram. Der News-Kanal Nexta TV verbreitete ebenfalls das Video einer weinenden Influencerin und kommentierte: „Die Tausenden Toten, auch ihre Landsleute, sind ihr völlig egal. Offensichtlich ist ihre größte Sorge im Moment, dass sie keine Bilder von Speisen aus Restaurants posten kann.“
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Mittlerweile allerdings scheint sich die Lage in der russischen Influencerszene wieder etwas normalisiert zu haben. Insbesondere die Plattform Instagram kann aus Russland über VPN-Dienste erreicht werden. Ein russisches Gericht entschied zudem, dass die Bürgerinnen und Bürger des Landes die Plattform weiterhin legal nutzen dürfen, auch wenn sie auf regulärem Wege nicht aufgerufen werden kann.
So postet auch Influencerin Olga Buzowa inzwischen fleißig weiter. Schon kurz nach dem tränenreichen Video folgte ein Foto in Modelpose auf einem Berg, eines unter Palmen im Bikini am Strand und eines unter einem Sonnenschirm.
Tiktok erlaubt keine Posts aus Russland
Das Umgehen der Tiktok-Sperre scheint derweil etwas komplizierter zu sein. Der Dienst hatte nach dem neuen Mediengesetz in Russland selbst entschieden, russische Nutzerinnen und Nutzer vom Posten eigener Inhalte auszuschließen.
„babywhigga“ allerdings scheint inzwischen einen Weg gefunden zu haben, diese Sperre zu umgehen. Anfang der Woche postete er nach fast einem Monat ein neues Video auf seinem Tiktok-Kanal. Darin tanzt er zu dem Song eines belgischen Rappers, schneidet Grimassen, zeigt seine Klamotten und seinen Schmuck.
Zwischenzeitlich hatte auch der Influencer versucht, den Messenger Telegram als Alternative zu nutzen. Von seinen 1,5 Millionen Tiktok-Followern folgten ihm nur 2000 Menschen dorthin, auf Instagram sind es immerhin 200.000.
„I‘m back“ lautet die Überschrift des neuesten Videos. Zur Lage in der Ukraine verliert „babywhigga“ weiterhin kein Wort. Nur in den Kommentarspalten finden sich wieder dutzende wütende Wortbeiträge – und zahlreiche ukrainische Flaggen.