Zehn Jahre „Game of Thrones“: So hat die Serie das Fernsehen verändert
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Die Macher von „Game of Thrones“ wussten mit den Details umzugehen: Jede Lederrüstung sieht so aus, als wäre sie auch wirklich im Einsatz gewesen – wie hier bei Jon Snow (Kit Harington).
© Quelle: imago/ZUMA Press
Westeros. Wenn Streamingdienste ihre neuen Produktionen besonders anpreisen wollen, dann schreiben sie gerne: „Das neue ‚Game of Thrones‘!“ – wahlweise mit noch mehr Ausrufezeichen. „Game of Thrones“, diese mittelalterlich angehauchte Parallelwelt ist der noch immer unerreichte Serienerfolg. Es ist die Messlatte der Qualität: Ja, eine Serie kann gut gewesen sein. Aber besser als „Game of Thrones“? Darauf warten wir auch zwei Jahre nach dem Finale immer noch.
Am 17. April 2011 wurde die erste Folge des Epos in den USA bei HBO ausgestrahlt. Zehn Jahre später ist das Finale zwar schon passé, doch die Serie lebt mit ihrem immensen Einfluss auf die TV-Produktionen weltweit weiter. „Game of Thrones“ hat mehr Emmys nach Hause gebracht als jede andere Serie zuvor – davon allein drei Mal für das beste Drama.
Suche nach einer Serie diesen Kalibers
Auf der Suche nach einer Serie diesen Kalibers, einer Serie, die eine solche Masse an Publikum über Jahre bindet, die so exklusiv ist, dass selbst Synchronsprecher die Serie nicht vorab sehen dürfen, stecken die Streamingdienste Millionen in neue Serien – immer auf der Suche nach dem Gold, nach dem nächsten „Game of Thrones“. Doch was hat die Serie, was andere nicht haben? Das Lied von Eis und Feuer, wie die Buchreihe von George R. R. Martin, auf der die Serie basiert, hat das TV revolutioniert. Und das in mehr als nur einer Hinsicht.
Geld
„Game of Thrones“ hat es allen vorgemacht: Damit Fernsehen wie Kino aussehen kann, braucht es auch ein kinomäßiges Budget. Die Folgen hatten mit etwa einer Stunde Dauer beinahe Spielfilmlänge. Allein die Pilotfolge verschlang fünf bis zehn Millionen US-Dollar. Die Episoden der finalen achten Staffel benötigten schon 15 Millionen US-Dollar (12,5 Millionen Euro).
Zum Vergleich: Eine „Tatort“-Folge kostet zwischen 1,5 bis 1,7 Millionen Euro. Die Produktion der Netflix-Serie „The Crown“ verfügt über 6,5 bis 13 Millionen US-Dollar, um die opulente Welt der Royals darzustellen. Vor „Game of Thrones“ wäre dies undenkbar gewesen. Auch die Serienneuauflage von „Der Herr der Ringe“ bei Amazon Prime hat für die Produktion gar 1 Milliarde US-Dollar zu Verfügung – nur um den Erfolg von „Game of Thrones“ imitieren zu können.
Dass sich die Ausgaben gelohnt haben, zeigt ein Blick auf die Zahlen: „Game of Thrones“ wurde in 170 Ländern ausgestrahlt. Der Sender HBO hat 2019, im Jahr des Serienfinales, 2.335 Millionen US-Dollar Gewinn gemacht. 2020, das erste Jahr ohne „Game of Thrones“ stürzte der Gewinn auf 286 Millionen US-Dollar hinab – in den acht Jahren, in denen die Serie lief, war dieser Wert nie so niedrig gewesen.
Doch kann man als Streamingdienst-Inhaber nicht einfach nur einen Riesenhaufen Geld in einen verhältnismäßig guten Plot versenken. Das Geld muss auch Früchte tragen – und sinnvoll eingesetzt werden.
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Ausstattung
Fernsehen war vor „Game of Thrones“ häufig als kleine Schwester des Kinos angesehen worden. Klar, es gab Erfolgsserien wie „Sex and the City“ oder „Die Sopranos“, sie waren ebenfalls hochwertig ausgestattet (in einem Fall mit einer unendlichen Anzahl von Designerschuhen), doch ein solches Ausmaß an Detailversessenheit wie in der Mittelalterserie war bis dato nicht bekannt.
Es ist ja auch nicht nur die Ausstattung: Auch die Drehorte waren über ganz Europa verstreut. Wenn Eis gezeigt werden sollte, wurde auch bei Schnee und Eis in Island gedreht – und nicht in einem Studio. Wenn die Hitze flimmern sollte, dann wurde in Kroatien gedreht. Die Macher der Serie haben es geschafft, ihr üppiges Budget in Authentizität umzusetzen: Die Figuren und die Welt sahen – bis auf ihre fantastischen Elemente – wirklich realistisch aus.
Kostüme
Kostüme waren bei „Game of Thrones“ nicht einfach ein dekoratives Element: Sie sind in dieser an Symbolen nicht armen Sendung ein weiterer Symbolträger. Jedes Haus hat eine eigene bis ins Detail ausgeklügelte Art und Weise, sich zu kleiden. Doch wenden sich die Charaktere nach und nach von ihrem traditionellen Stil ab und legen martialischere uniformartige Kleidung an – wie es bei Cersei Lennister (Lena Heady), Sansa Stark (Sophie Turner) und Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) der Fall ist.
In der Kleidung zeigt sich die Zuspitzung des Kampfes um den eisernen Thron. Aus drei Frauen in bunten, wallenden Kleidern, drei unterschätzte und zu Ehefrauen verdammte Charaktere, sind drei Generälinnen geworden, die erbitterte Schlachten um die Vorherrschaft führen.
Serien, die etwas auf sich halten, erhalten diese Detailverliebtheit aufrecht – und das nicht nur im Fantasygenre. Für die Romanze „Bridgerton“, im Übrigen zwar in Sachen Hype nicht mit „Game of Thrones“ vergleichbar, sehr wohl aber die bis dato erfolgreichste Serie bei Netflix, haben die Kostümdesigner 7500 Kleider von Hand genäht. Keine Stangenware, alles Handarbeit. Blautöne stehen für das Haus Bridgerton, grelle Farben für die neureichen Nachbarn Featherington.
Abgemurkste Hauptcharaktere
Mehr Sendezeit = höhere Überlebenschancen, das ist eine Gleichung, mit der viele Zuschauer vor „Game of Thrones“ gut leben konnten. Harry Potter überlebt Lord Voldemort und Frodo bringt den verdammten Ring nach Mordor – und kehrt auch wieder zurück. Der Held, der sich durch die Hindernisse kämpft, sticht Widersacher aus und überlebt am Ende, vielleicht verwundet, aber er überlebt. Wenn die Spannung zu groß wurde, konnte man sich vor „Game of Thrones“ als Zuschauer darauf verlassen.
Und dann kommt ein Ned Stark (Sean Bean) an, geht aufrecht durch die ersten Episoden. Er ist der einzig wichtige Sympathieträger, er verfügt über gefährliches Wissen – und bevor er überhaupt wirklich handeln kann, wird er getötet. Einfach so exekutiert. Und das noch nicht mal im Finale der ersten Staffel, sondern einfach mittendrin. Grauenhaft – aber realistisch. Danach war klar: In dieser Serie gibt es keine Gewissheiten. So können die Zuschauer nicht die Handlungen der Figuren vorhersagen – was weiter zur fesselnden Spannung des Plots beiträgt.
Fantasy
Die Figuren in „Game of Thrones“ sind nicht abstrakte Helden, die sich übermächtig fantastischen Hindernissen stellen. Es sind in erster Linie Menschen mit nachvollziehbaren Konflikten. Eine Cersei Lennister hat zwei Hauptanliegen: Sie will mächtig sein, und sie liebt ihre Kinder und will ihnen ebenfalls zur Macht verhelfen. Ein Jon Snow will mehr über seine Identität wissen. Daenerys Targaryen ist sich so sicher, als Mächtige gerecht zu sein, dass sie in ihrem gerechten Zorn alles untergehen lässt.
Während Fantasy vor „Game of Thrones“ den Nerds vorbehalten war, ist es nun absoluter Mainstream. „The Witcher“, „His Dark Materials“ oder eben die Neuverfilmung des Klassikers „Der Herr der Ringe“: „Game of Thrones“ hat Fantasy für die Hauptsendezeit salonfähig gemacht. Wo sonst kann man so hemmungslos von gefährlichen Abenteuern erzählen? Doch gerade diese opulente Welt in Verbindung mit authentisch gezeichneten Charakteren ist eine Mischung, nach der viele Drehbuchautoren noch immer streben.
Gewalt
Wann haben Sie das letzte Mal eine neuere Abenteuer-/ Historien-/ oder Krimiserie gesehen, wo nicht das Blut tonnenweise durchs Bild geflossen ist? Eine Serie, die authentisch sein möchte, zeigt auch, wenn Blut fließt – und das nicht im übertragenen Sinne. Ob „Vikings“ oder „Last Kingdom“ – angewandte Gewalt wird nicht ausgespart.
Doch spielt hier auch noch eine zweite Bedingung eine Rolle: Im linearen TV müssen die Sender Rücksicht auf das Alter ihrer Zuschauer und die entsprechen Freigaben nehmen. Splatterfilme oder -Serien konnten nur spätnachts laufen – ein Millionenpublikum ist damit ausgeschlossen. Streamingserien haben den Luxus, einfach einen Button anbieten zu können, mit dem Zuschauer zu jeder Tageszeit ihr Alter bestätigen können. Dadurch lässt sich ein Millionenpublikum auch mit gewaltintensiven Produktionen gewinnen.
Sexualität
Der Bruder schläft mit seiner Schwester. Der Kleinwüchsige schläft mit einer Hure. Und das wird auch alles gezeigt – inklusive extrem viel nackter Haut. Für ein amerikanisches Format war dies vor „Game of Thrones“ undenkbar. Jetzt zeichnet es sich zumindest im US-amerikanischen Markt als besonders progressiv aus, wenn die Macher sich trauen, den Sex nicht einfach zwischen zwei Blenden unter der Bettdecke verschwinden zu lassen, wie es sonst in den sonst eher prüde eingestellten USA die Regel ist.
Und wer all diese Aspekte berücksichtigt, findet das neue „Game of Thrones“? „Das ist genau der falsche Weg, um das nächste ‚Game of Thrones‘ zu finden“, sagte HBO-Programmchef Casey Bloys der „New York Times“. Deswegen setzt der Sender, der in Sachen Serien von der Streamingkonkurrenz Netflix, Amazon Prime und Disney+ überholt wurde, einfach auf Altbewährtes: Das erste Spin-Off, „House of the Dragon“, ist für 2022 geplant.