Bewohnerinnen und Bewohner kritisieren späte Meldung

Amoklauf in Hamburg: Warum die Bevölkerung erst nach anderthalb Stunden gewarnt wurde

Die Warnapp „Nina“ hat nur verzögert ausgelöst.

Eine Benachrichtigung über die Warnapp Nina wurde von den Einsatzkräften erst anderthalb Stunden nach den Schüssen in Hamburg ausgelöst.

„Warnstufe: Extreme Gefahr. Am heutigen Tage gegen 21:00 Uhr schoss(en) ein oder mehrere unbekannte Täter auf Personen in einer Kirche. (...) verbleiben Sie an Ihrem derzeitigen Aufenthaltsort und begeben Sie sich vorläufig nicht ins Freie.“ Diese Meldung ploppte auf dem Handy zahlreicher Hamburgerinnen und Hamburger am Donnerstagabend auf, nachdem ein Mann rund um eine Veranstaltung der Zeugen Jehovas mehrere Menschen getötet hatte.

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Die Alarmierung über Warnapps wie Nina hilft, die Bevölkerung bei Großereignislagen oder im Katastrophenfall zu informieren. Doch im Fall des Amoklaufs in Hamburg zeigen sich einige Nutzerinnen und Nutzer irritiert. Statt einer zeitnahen Warnung, die es eigentlich geben soll, wurde die Mitteilung erst rund anderthalb Stunden nach den Schüssen gesendet, die insgesamt sieben Unbeteiligte töteten, bevor sich der Attentäter selbst richtete. Screenshots auf Twitter zeigen, dass bisweilen sogar mehr als zwei Stunden vergingen, ehe die Warnung auf den Mobiltelefonen zu sehen war.

Warnung per Warnapp binnen einer Minute möglich

„Technisch gesehen ist eine Warnung binnen einer Minute möglich“, sagt eine Sprecherin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Grundsätzlich sollte es so schnell wie möglich passieren, weil es im Falle einer beispielsweise anfliegenden Rakete auch extrem schnell gehen muss.“

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In diesem Zeitfenster nicht eingerechnet ist allerdings die Zeit, die bis zur Einschätzung der Lage vergeht – und die hat in Hamburg offenbar sehr lange gedauert. Denn gewarnt wird durch die Länder und deren Institutionen wie das jeweilige Innenministerium oder die Leitstellen von Polizei oder Feuerwehr. „Bei einem Brand beispielsweise entscheidet die Leitstelle, bei der der Notruf eingeht. Die Einsatzkräfte schätzen das Gefahrenpotenzial ein und entscheiden, in welchem Umkreis welche Personen auf welchem Wege gewarnt werden müssen“, sagt die Sprecherin. All das ist mit einem Klick im Warnsystem machbar – und geht dann binnen Sekunden an die Bevölkerung. Nebst Apps wie Nina gibt es auch die Möglichkeit, über Lautsprecher oder Radiomeldungen zu warnen.

Polizei ging erst von totem Attentäter aus – dann von einem zweiten, flüchtigen Täter

Genau jener Prozess verzögert die Warnung womöglich, wie im Falle von Hamburg. Warum genau es so lange gedauert hat, haben Innensenat und die Polizei Hamburg dem RND auf Nachfrage nicht beantwortet. Allerdings geben die ersten Erkenntnisse Anhaltspunkte. Um 21.04 Uhr am Donnerstag gingen erste Notrufe bei der Polizei ein, auch aus dem Gebäude des Amoklaufs selbst. Vier Minuten später, also um 21.08 Uhr, waren bereits erste Polizeikräfte vor Ort.

Als die Polizei in das Gebäude eindrang, rannte ein Mann davon, Richtung oberes Stockwerk, sagte Matthias Tresp, Leiter der Schutzpolizei Hamburg, bei einer Pressekonferenz am Freitag. Die Einsatzkräfte hörten noch einen Schuss, mit dem sich der Mann selbst tötete. „Aufgrund von Zeugenaussagen gingen wir davon aus, dass der Täter tot ist“, sagte Tresp. So bestand also zunächst für die Einsatzkräfte keine Gefahr mehr für die Bevölkerung. Erst im Laufe weiterer Zeugenbefragungen wurde auf einen möglichen zweiten Täter hingewiesen. Unterstrichen wurde das wohl von einem Video, das die Polizei früh zu sehen bekam. Auf dem pixeligen Handyvideo ist ein Mann mit Waffe zu sehen, der von außen in ein Gebäude schießt. Unweit ist eine vermeintlich zweite Person mit Waffe zu sehen – erst nach einer Weile stellte sich heraus, dass es der Schatten des mutmaßlichen Einzeltäters war.

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Augenzeugenvideo zeigt Schützen bei Amoktat in Hamburg

Der Schütze tötete bei seinem Amoklauf in Hamburg acht Menschen. Die Ermittler identifizierten ihn als Philipp F., der sich nach der Tat selbst richtete.

Neue Bewertung der Gefahrenlage sorgte offenbar für späte Warnmeldung

Die neuen Zeugenaussagen und das Video machten offenbar eine neue Bewertung notwendig – die Polizei ging nun von einem möglichen zweiten bewaffneten Täter aus, der hätte geflüchtet sein können. In diesem Fall hätte sehr wohl eine Gefahr für die Bevölkerung bestehen können. Erst „im Laufe des Abends“, so Tresp, konnte man unter anderem durch die Befragung der körperlich unverletzten Gottesdienstteilnehmenden einen zweiten Täter ausschließen.

Während einige Menschen in den sozialen Medien eine schnellere Warnung forderten, nehmen andere die Einsatzkräfte in Schutz. So würde es eben Zeit dauern, eine Situation und die Gefahrenlage zu bewerten. Zudem sei die Polizei zum Zeitpunkt der Warnung offenbar davon ausgegangen, dass es noch einen bewaffneten flüchtigen Täter gebe. „Der oder die Täter sind flüchtig und das Ziel ist jetzt primär, den oder die Täter zu fassen und bis dahin weitere Opfer zu verhindern“, schreibt ein Nutzer.

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