Ist der Freispruch für Kevin Spacey ein Schlag ins Gesicht der #MeToo-Bewegung?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/JBELALWFNZESXAVB5LRTWQ2EDM.jpeg)
Eine junge Frau hält ein Smartphone mit dem Hashtag #MeToo in der Hand.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Berlin. Der US-amerikanische Schauspieler Kevin Spacey hat in den vergangenen fünf Jahren so ziemlich alles verloren, was sich der heute 63-Jährige bis dahin aufgebaut hatte: Anerkennung, Bewunderung, neue Filmrollen, viel Geld – und Sympathie.
Die Ursache waren Vorwürfe, die im Zuge der #MeToo-Debatte erstmals mit Nachdruck öffentlich gemacht wurden. Ihnen folgten weitere Anschuldigungen. Es ging dabei immer um sexuelle Übergriffe, die sich vor Jahrzehnten oder zuletzt 2013 ereignet haben sollen. Spacey wurde vom Winner zum Loser.
Nun hat die elfköpfige Jury eines Zivilgerichts in New York für einen Fall aus dem Jahr 1986 einstimmig entschieden: Kevin Spacey ist nicht schuldig.
Was nun? Glauben wir angesichts der Fülle weiterer Anschuldigungen durch Kollegen oder Mitarbeiter, dass der Schauspieler doch kein notorischer Sextäter war? Oder zweifeln wir weiter an ihm, weil der verhandelte Fall 36 Jahre zurücklag? Oder halten wir gar den Ankläger, einen Schauspielkollegen, der damals 14 Jahre alt war, für einen Lügner?
#MeToo entfaltete Macht
Auslöser der Vorwürfe gegen Spacey und viele, viele andere Männer – nicht allein im Filmbusiness – in den folgenden Jahren waren ein Artikel in der „New York Times“ im Jahr 2017 und Ermittlungen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein. Der ist 2020 in einem ersten Prozess zu 23 Jahren Haft wegen verschiedener Sexualvergehen verurteilt worden.
Kevin Spacey von Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs freigesprochen
Ein New Yorker Gericht sah die Vorwürfe sexueller Belästigung, denen sich der Schauspieler in einem Zivilprozess stellen musste, als nicht ausreichend belegt an.
© Quelle: Reuters
Viele Opfer von bislang unbekannten Sexualvergehen fanden nun weltweit den Mut, öffentlich über das zu sprechen, was ihnen angetan worden ist. Es entstand eine Bewegung, die sich zunächst hinter dem Hashtag #MeToo versammelte – und plötzlich Macht entfaltete.
Denn Vergewaltigte, Bedrängte oder Begrapschte wurden nicht nur ernst genommen, ihnen wurde plötzlich nicht nur Glauben geschenkt. Nein, Ermittlungsbehörden machten auf einmal ihren Job.
Weinstein (70) beispielsweise muss sich ab Montag schon dem zweiten Prozess stellen. Seit dieser Woche Donnerstag steht die zwölfköpfige Jury aus neun Männern und drei Frauen. Der Ex-Filmmogul ist in elf Punkten angeklagt, darunter Vergewaltigung und andere sexuelle Übergriffe. Es geht um Vorwürfe von fünf Frauen in einem Zeitraum von 2004 bis 2013.
Weinstein drohen 140 Jahre Haft
Wie schon zuvor hat Weinstein auch in diesem Fall jede Schuld zurückgewiesen. Ihm drohen bis zu 140 Jahre Gefängnis, wenn er in allen Anklagepunkten verurteilt wird.
Beide Fälle – Weinsteins Verurteilung und Spaceys Freispruch – können als Funktionieren des Rechtsstaats gedeutet werden, wo im Zweifel für den Angeklagten entschieden wird. Wenn da nicht die Skepsis wegen des Furors der #MeToo-Bewegung wäre und es nicht – vor allem in den USA – letztlich um millionenschwere Entschädigungssummen ginge.
Durch Behauptungen von Juristen, nun sei Tür und Tor für Falschbehauptungen oder ‑beschuldigungen geöffnet, gerieten Opfer sexueller Übergriffe erneut in die Rolle, sich erklären oder rechtfertigen zu müssen. Was Anhängerinnen und Anhänger der #MeToo-Bewegung nur noch wütender machte.
Dabei ergeben Umfragen unter Frauen ein eindeutiges Bild. Die EU hatte zuletzt 2014 eine Studie veröffentlicht, für die 42.000 Frauen befragt worden waren. Ergebnis: Jede dritte Europäerin hat als Erwachsene körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren, jeder Zweiten ist sexuelle Belästigung begegnet.
Schwer zu klären ist, wie hoch der Anteil von Falschbehauptungen bei Anzeigen ist. Das liegt zum Beispiel an fehlenden eindeutigen Beweisen. Kriminologen sind überzeugt, dass bei schweren sexuellen Übergriffen das Dunkelfeld besonders groß ist. Der Weiße Ring gibt an, dass in Deutschland bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht einmal jeder 15. Fall angezeigt werde.
Also gibt es keinen Grund, an der Aufrichtigkeit derer zu zweifeln, die sich nach Jahren innerer Qualen entschließen, ihren Leidensweg zu offenbaren. Allerdings sollte das Spacey-Urteil auch Anlass sein, über die Folgen öffentlicher und in sozialen Netzwerken befeuerter Anschuldigungen nachzudenken – übrigens nicht nur für den Beschuldigten.
Soziale Netzwerke und ihre Bubbles sind keine Gerichte und keine Jurys – auch wenn sich Twitter und Co. als solche gerieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Justiz nicht wieder locker lässt:
- Kevin Spacey ist Ende Mai in Großbritannien wegen sexueller Übergriffe gegenüber drei Männern angezeigt worden. Es handelt sich um Fälle zwischen 2005 und 2013.
- Der US-Schauspieler Danny Masterson („Die wilden Siebziger“) steht aktuell nach Vergewaltigungsvorwürfen von drei Frauen in Los Angeles vor Gericht.
- Und in New York muss sich seit diesem Monat der kanadische Regisseur und Oscarpreisträger Paul Haggis („L. A. Crash“) wegen eines Vergewaltigungsvorwurfes vor Gericht verantworten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/L4WIL2542BD53HD3CYC6RUQZJE.jpeg)
Harvey Weinstein (Mitte), Filmproduzent aus den USA, trifft in einem Gerichtsgebäude ein.
© Quelle: Seth Wenig/AP/dpa
Die #MeToo-Bewegung hat Prozesse in den Gesellschaften vieler Kontinente ausgelöst, die längst über juristische Fragen und Ereignisse in Hollywood hinausreichen. Es geht darum, Frauen nicht länger als Objekte wahrzunehmen, Untergebene nicht als Freiwild zu betrachten und ein Klima zu schaffen, das es Fummlern, Grapschern, Vergewaltigern unmöglich macht, im Schweigen anderer unterzutauchen.
Das Spacey-Urteil ist jedenfalls kein Grund, hierbei nachzulassen.