Staatsanwaltschaft will „Judenpresse“-Rufe nicht als Volksverhetzung einstufen
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Staatsanwalt Hans Christian Wolters gibt in den Räumlichkeiten der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Pressestatement ab.
© Quelle: Moritz Frankenberg/dpa
Braunschweig. Trotz Beschwerden und öffentlicher Empörung über „Judenpresse“-Rufe eines Rechtsextremisten bleibt die Staatsanwaltschaft Braunschweig bei ihrer Einschätzung, dass dieser Fall nicht als Volksverhetzung zu werten sei. „Ich gehe davon aus, dass wir das zutreffend beurteilt haben“, sagte ihr Sprecher Hans Christian Wolters am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen uns an die rechtlichen Gegebenheiten halten. Wenn die Voraussetzungen nicht vorhanden sind, sind uns die Hände gebunden, dann können wir das nicht vor Gericht bringen.“ In vergleichbaren Fällen hätten die Staatsanwälte sehr wohl derartige Äußerungen zur Anklage gebracht oder Strafbefehle erlassen, betonte Wolters.
Die Staatsanwaltschaft hatte im Februar ihre Ermittlungen wegen antisemitischer Volksverhetzung und Beleidigung gegen ein Mitglied der Partei „Die Rechte“ zum zweiten Mal eingestellt. Ausgangspunkt sind Äußerungen des Rechtsextremisten bei einer Demonstration der Partei am 15. November 2020 in Braunschweig, dem Volkstrauertag. Der Beschuldigte soll dort Pressevertretern die Worte „Judenpresse“, „Feuer und Benzin für euch“ und „Judenpack“ entgegengerufen haben. Der Vorfall ist durch ein Video dokumentiert.
Kritik von jüdischen Gemeinden und Antisemitismus-Beauftragten
Die Staatsanwaltschaft argumentierte, die Rufe hätten sich nicht direkt gegen die Juden gerichtet, sondern gegen die anwesenden Medienvertreter. Zwar erfüllten sie den Tatbestand der Beleidigung. Allerdings könnten nur die beleidigten Personen selbst innerhalb einer bestimmten Frist einen Strafantrag stellen. Dies sei nicht geschehen. Wolters sagte dem epd, im vorliegenden Fall sei aus Sicht der Staatsanwaltschaft insbesondere der Appellcharakter nicht gegeben, der nötig sei, um die Äußerung als Volksverhetzung einzustufen. Volksverhetzung bestehe, wenn dazu aufgerufen werde, andere zu verfolgen.
Die Anzeigeerstatter, ein Ehepaar aus Laatzen bei Hannover, hatten am Wochenende Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingelegt. Empörung äußerten auch die Gewerkschaft ver.di, Repräsentanten jüdischer Gemeinden und der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Niedersachsen. Sie forderten weitere Ermittlungen.
Oberstaatsanwaltschaft entscheidet
Laut Wolters muss nun die Oberstaatsanwaltschaft in Braunschweig darüber befinden, wie es weitergeht. Denkbar sei, dass sie der Staatsanwaltschaft zustimme, dann sei der Fall beendet. Es sei aber auch möglich, dass sie zu einer anderen Rechtsauffassung gelange. Dann müsse die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln - mit dem Ziel, Anklage zu erheben oder einen Strafbefehl zu erlassen.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen in dem Fall bereits 2021 ein erstes Mal eingestellt. Nach mehreren Beschwerden ordnete die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig damals jedoch neue Ermittlungen an, weil sie einen Anfangsverdacht für Volksverhetzung und Beleidigung sah.
Wolters unterstrich, dass die Staatsanwaltschaft erst kürzlich gegen denselben stadtbekannten Rechtsextremisten wegen ähnlicher Vorfälle Anklage wegen Beleidigung erhoben habe. In einem Fall habe er Journalisten als „miese Leute aus Israel“, „Bordsteinschwalbe“, „Idiot“, „Schwanzlutscher“ oder „Homo-Wichser“ beschimpft, in einem anderen Fall als „Kinderficker“. In einem dritten Fall habe er der hellhäutigen Mutter eines dunkelhäutigen Kindes „Rassenschande“ entgegengerufen. In allen diesen Fällen hätten die Beleidigten selbst Strafantrag gestellt.
RND/epd