Ukrainische Geflüchtete im Visier von Menschenhändlern?
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Mornay, ehemaliger Angehöriger der französischen Fremdenlegion, geht am Grenzübergang im Südosten Polens spazieren. An der polnischen Grenze in Medyka ist Mornay einer von sieben ehemaligen Angehörigen der französischen Fremdenlegion, einer militärischen Elitetruppe, die freiwillig für die Sicherheit von Flüchtlingen sorgen und nach Menschenhändlern Ausschau halten.
© Quelle: Visar Kryeziu/AP/dpa
Siret. Ein in Polen festgenommener Mann steht im Verdacht, eine junge Ukrainerin vergewaltigt zu haben - nachdem er sie mit dem Angebot angelockt hatte, ihr nach ihrer Flucht aus der Heimat eine Bleibe zu geben. Ein anderer Mann wurde dabei gehört, wie er einer 16-Jährigen Arbeit und ein Zimmer versprach, bevor die Behörden einschritten. In einem Flüchtlingslager an der polnischen Grenze von Medyka wurden Leute misstrauisch, als ein Mann lediglich Frauen und Mädchen Hilfe anbot. Als die Polizei ihn befragte, änderte er seine Geschichte.
Millionen Frauen und Kinder sind vor der russischen Invasion aus der Ukraine geflohen, und Hilfsorganisationen sowie zuständige Behörden sorgen sich, wie man diese verwundbarsten Flüchtlinge vor Menschenhandel oder anderen Formen von Missbrauch schützen kann. Sie befänden sich in einer Lage, „nach der Leute wie Menschenhändler Ausschau halten, um sie auszunutzen“, sagt Joung-ah Ghedini-Williams, Chefin für globale Kommunikation beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, die Grenzen in Rumänien, Polen und Moldau besucht hat.
Bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet
Insgesamt sind der UN-Einrichtung zufolge bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet, darunter mehr als eine Million Kinder. In Ländern in ganz Europa, so in den Grenzstaaten Rumänien, Polen, Ungarn, Moldawien und der Slowakei, haben Freiwillige die Ankömmlinge begrüßt und Hilfe angeboten. Seien es kostenlose Unterkünfte, Beförderungen, Essen oder Kleidung: Die Hilfsbereitschaft ist groß. Aber so sind auch die Risiken.
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Der in Polen unter dem Verdacht der Vergewaltigung festgenommene Mann hat der Breslauer Polizei zufolge sein 19-jähriges Opfer mit einem Hilfsangebot via Internet angelockt. „Sie floh aus der vom Krieg zerrissenen Ukraine, sprach kein Polnisch. Sie vertraute einem Mann, der versprach, ihr zu helfen und sie unterzubringen. Leider stellte sich das als hinterlistige Manipulation heraus“, hieß es in einer Mitteilung vom Donnerstag. In Berlin warnte die Polizei Frauen und Mädchen mit Postings auf Ukrainisch und Russisch in sozialen Medien, keine Angebote einer Unterbringung über Nacht anzunehmen.
Katastrophe vorprogrammiert?
Tamara Barnett von der britischen Wohlfahrtsorganisation Human Trafficking Foundation sagt, dass bei einer derartigen rapiden Massenvertreibung von Menschen potenziell eine Katastrophe vorprogrammiert sei. „Wenn du plötzlich eine große Gruppe von wirklich verwundbaren Leuten hast, die unmittelbar Geld und Unterstützung brauchen, ist das eine Art Brutstätte für ausbeuterische Situationen und sexuelle Ausnutzung“, sagt sie. „Als ich all diese Freiwilligen sah, die ihnen Wohnungen anboten ... das hat bei mir Sorge ausgelöst.“
In Polen und Rumänien halten Geheimdienstoffiziere in Zivil nach Kriminellen Ausschau, wie Sicherheitsbeamte der Nachrichtenagentur AP sagten. In der rumänischen Grenzstadt Siret wurden den Behörden zufolge Männer weggeschickt, die Frauen eine kostenlose Mitfahrgelegenheit anboten.
Menschenhandel kann verschiedene Facetten haben
Menschenhandel kann verschiedene Facetten haben - von Prostitution über Zwangsarbeit und häuslicher Sklaverei bis hin zur Entfernung von Organen. In einem Bericht der Europäischen Kommission 2020 wird der globale jährliche Profit aus solchen Verbrechen auf 29,4 Milliarden Euro geschätzt. Sexuelle Ausbeutung sei in der EU die häufigste Form von Menschenhandel, fast drei viertel der Opfer seien Frauen, und bei fast jedem vierten Opfer handele es sich um ein Kind.
Madalina Mocan von ProTECT, einer Dachorganisation von 21 Gruppen, die gegen Menschenhandel kämpfen, sieht bereits Warnzeichen. Es gebe manche Flüchtlinge, denen Unterkunft im Gegenzug zu Diensten wie Putzen oder Babysitting angeboten worden seien, was zu Ausbeutung führen könne, sagt sie.
Großteil der Flüchtlinge will zu Freunden oder Familienangehörigen
Ein großer Teil der Flüchtlinge, die aus der Ukraine in Nachbarländer kommen, will zu Freunden oder Familienangehörigen woanders weiterreisen - und viele stützen sich auf Fremde, um ihre Zielorte zu erreichen. „Die Menschen, die die Ukraine verlassen, stehen unter emotionalem Stress, Trauma, Angst, Verwirrung“, sagt Cristina Minculescu, eine Psychologin bei der Organisation Next Steps Romania, die Opfern von Menschenhandeln hilft. Minculesco sieht auch „die Gefahr von Entführung, Vergewaltigung ... Ihre Verwundbarkeiten können auf verschiedene Weise ausgenutzt werden.“
An der Grenze von Siret arbeitet die Polizei mit der nationalen Behörde gegen Menschenhandel und anderen Stellen zusammen, um Verbrechen zu verhindern. „Wir versuchen, jedes Auto zu kontrollieren, das die Gegend verlässt. 100 Leute, die Transporte anbieten, haben gute Absichten, aber es ist schlimm genug, wenn einer sie nicht hat“, sagte der oberste Polizeikommissar im Bezirk Suceava, Inouit Epureanu, der AP.
„Kein Hilfsangebot als Freiwilliger oder für Unterkunft bleibt ungeprüft“
Vlad Gheorghe, ein rumänischer Europaparlamentarier, hat eine Facebook-Gruppe namens United for Ukraine gestartet, die 250.000 Mitglieder hat und Ressourcen zusammenführt, um Flüchtlingen unter anderem mit Unterkünften zu helfen. Auch er arbeitet eng mit Behörden zusammen, um Missbräuche zu verhindern. „Kein Hilfsangebot als Freiwilliger oder für Unterkunft bleibt ungeprüft, wir checken jede Offerte ..., bevor Hilfe akzeptiert wird“, sagt er.
An der polnischen Grenze von Medyka bieten sieben frühere Mitglieder der französischen Fremdenlegion Flüchtlingen ihren eigenen Schutz an und halten Ausschau nach Menschenhändlern. „Heute morgen haben wir drei Männer entdeckt, die versuchten, eine Gruppe von Frauen in einen Kleintransporter zu bekommen“, sagt einer der Ex-Legionäre, der aus Südafrika stammt. „Ich kann nicht hundertprozentig sagen, dass sie versucht haben, sie für den Sexhandel zu rekrutieren, aber als wir uns ihnen genähert haben, sind sie nervös geworden und haben sich sofort entfernt.“
RND/AP