Deutschlands Hoffnungsträger sitzt in Chile
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Der chilenische Präsident Gabriel Boric.
© Quelle: IMAGO/Aton Chile
Insgesamt 41 Jahre trennen den chilenischen Präsidenten Gabriel Boric (36) und Brasiliens Staatschef Lula da Silva (77). Doch es ist nicht nur der Altersunterschied, der die beiden Linkspolitiker unterscheidet. Während der ehemalige Studentenführer aus Santiago für einen modernen Linkskurs steht, scheint Lula in alten Denkweisen zu verharren. Deutlich wird das vor allem in der Menschenrechtspolitik. Boric kritisiert offen und deutlich die Menschenrechtsverletzungen in den drei Linksautokratien Kuba, Venezuela und Nicaragua, fordert freie Wahlen und die Freilassung politischer Gefangener. Das ist – mit Blick auf die eigene Basis – ein mutiges und bisweilen auch einsames Vorgehen.
Lula dagegen hat sich für die ideologische Loyalität zu Havanna, Caracas und Managua entschieden und damit für eine Strategie, die im Blockdenken des 20. Jahrhunderts ihren Ursprung hat. Mehr noch: Jüngst kritisierte er offen die Unterstützung für den venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaidó. Der wurde aus Europa und den USA gestützt, blieb aber politisch erfolglos. Mit Boric haben Berlin und Brüssel einen Mitstreiter, der anders als Lula offen den Kurs für freie Wahlen zur Lösung der innenpolitischen Krise in den drei von Massenflucht betroffenen Ländern einfordert.
Auch in der Umweltpolitik gibt es Unterschiede. Lulas Versprechen einer Null-Abholzung-Strategie im Amazonas elektrisiert die Europäerinnen und Europäer. Als eine der ersten Maßnahmen will die Lula-Regierung laut brasilianischen Medienberichten aber nun eine Gaspipeline in Argentinien finanzieren. Das widerspreche eigentlich den eigenen klimapolitischen Zielen und Ankündigungen, kommentierte zuletzt die Tageszeitung „Estadão“ aus São Paulo überrascht. Lula gilt als ein Mann, der wieder verstärkt auf die Förderung der fossilen Brennstoffe Erdöl und Gas setzen will, weil der weltweite Markt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nach Ersatzlieferungen ruft und Brasilien durch seinen Konzern Petrobras hier eine Chance sieht.
Borics Sichtweise passt zur deutschen
Boric hingegen setzt auf einen klaren nachhaltigen Wirtschaftskurs, will ökologische Nachhaltigkeit fest in der Verfassung verankern. Dass sich die Regierung dabei auch den Mut gönnt, auf lukrative Bergbauprojekte zu verzichten, ist in Südamerika in dieser Form bemerkenswert.
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© Quelle: dpa
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Auch beim großem Zukunftsthema Lithium oder bei grünem Wasserstoff kann Boric zu einer Schlüsselfigur werden. „BMW hat sich in einem Vertrag mit dem amerikanischen Konzern Livent immerhin langfristige Lieferungen von Lithium aus Argentinien gesichert. Aber insgesamt ist die deutsche Industrie in der boomenden Lithiumindustrie Südamerikas noch wenig präsent“, sagt Carl Moses, Berater und Wirtschaftsexperte aus Buenos Aires, im Gespräch mit dieser Zeitung. Chile gehört zu jenen Ländern mit den weltweit größten bekannten Vorkommen des Rohstoffes, der für die Produktion von Akkus für die E‑Mobilität nach heutigem Stand der Wissenschaft unverzichtbar ist. Hier hinkt die Autonation Deutschland den Chinesen hinterher, die sich mit Milliardeninvestitionen im sogenannten Lithiumdreieck Argentinien, Bolivien, Chile in eine strategisch günstige Ausgangsposition gebracht haben. Spannende Projekte junger deutscher Unternehmen in Argentinien und Chile sind ein erster Anfang, haben aber noch nicht die Tragweite, um in der Lithiumversorgung unabhängig von China zu werden. Boric und die deutsche Regierung haben im Ansatz einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik durchaus ähnliche Denkweisen.
Wie sensibel das Thema ist, zeigt eine Forderung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Deutschland sollte keine Wirtschaftsprojekte fördern, die das Leben und die Gebiete indigener Völker und anderer Minderheiten beeinträchtigen“, fordert Dr. Eliane Fernandes, GfbV-Referentin für indigene Völker, mit Blick auf die Scholz-Reise. Auch für die Station Brasilien hat die GfbV eine klare Forderung: Bei der Wiederaufnahme der Förderung des Amazonasfonds müsse Deutschland vom brasilianischen Staat verlangen, dass indigene Projekte vorrangig behandelt werden, da die meisten Schutzgebiete auf indigenem Gebiet liegen.