„Absurde Debatte“: Der Streit um das Verbrenner-Aus belastet den EU-Gipfel
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Eine Straße in Stuttgart: Wie geht es weiter mit dem geplanten Verbrenner-Aus in Europa?
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Brüssel/Berlin. Das Thema wird im Einladungsschreiben von EU-Ratschef Charles Michel nicht einmal erwähnt. Dennoch dürfte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Unmut mancher Amtskolleginnen und -kollegen anhören müssen, wenn er am Donnerstag und Freitag in Brüssel ist. Denn die deutsche Blockade des im Prinzip bereits beschlossenen Endes für den Verbrennungsmotor im Jahr 2035 droht den EU-Gipfel zu belasten, falls vorher nicht noch eine Einigung gefunden ist.
Es geht um einen in dem Beschlusskonvolut verankerten „Erwägungsgrund″, wonach die EU-Kommission einen Vorschlag machen soll, wie klimaneutral hergestellte sogenannte E-Fuels weiterhin eine Option für den Einsatz in Verbrennerautos nach 2035 sein können. Da dieser Vorschlag ausblieb, bremste Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Aus des Verbrenners aus. Formal ist er im Recht und bekommt von Scholz Unterstützung.
Brüssel fragt sich, was in Deutschland gefahren ist
De facto wundern sich Politiker, Diplomaten und Beamte in Brüssel, was ausgerechnet in Deutschland mit seinem Credo zur Klimaneutralität gefahren ist. Denn eigentlich war die Sache klar. Schon im vergangenen Herbst hatten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten darauf verständigt, dass in der EU ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. Anfang März hätten die EU-Mitgliedsstaaten den Deal abnicken sollen – normalerweise nur eine Formsache.
Doch Wissing verlangte, dass die EU-Kommission einen verlässlichen Weg aufzeigt, wie Pkw mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 neu zugelassen werden könnten, sofern sie nur mit sogenannten E-Fuels betrieben werden. Das sind synthetische Kraftstoffe, die ausschließlich mit erneuerbaren Energien erzeugt werden - was aber nur mit einem hohen Energieaufwand gelingt.
Im Schatten Deutschlands wagten sich Italien, Polen und Bulgarien aus der Deckung und opponierten offen gegen das Verbrenner-Aus. Damit war eine qualifizierte Mehrheit im Rat der EU-Staaten für den Verbrenner-Aus perdu.
Deutsche Verbrenner-Blockade: EU-Partner sind frustriert
Die anhaltende deutsche Blockade des geplanten Aus für neue Verbrenner ab 2035 stößt bei europäischen Partnern auf Unverständnis und Entsetzen.
Hinter vorgehaltener Hand ist von Erpressung die Rede
Nun hat die EU-Kommission einen neuen Vorschlag gemacht, der Wissing besänftigen soll. Es geht um eine neue Kategorie von Fahrzeugen neben Verbrennern und Elektroautos. Das sollen Autos sein, die ausschließlich mit CO2-neutralen E-Fuels betankt werden können und bei denen technisch sichergestellt sein muss, dass eine Betankung mit Diesel oder Benzin nicht möglich ist. Ob das den Durchbruch bringt, war am Mittwoch offen. Wissing und der EU-Klimaschutzkommissar Frans Timmermans verhandelten höchst vertraulich darüber, hieß es in Berlin.
Deutsche Diplomaten verwiesen nun darauf, dass Deutschland ja nicht isoliert sei mit seiner Meinung - auf die andere Länder aber wohl vorher nicht gekommen wären. Berlin sei nicht der Bremser, sondern sorge vielmehr dafür, dass der „Erwägungsgrund“ in großem Konsens umgesetzt werde.
Viele Entscheidungsträger im EU-Betrieb sind aber nachhaltig verschnupft wegen der plötzlichen Volte Wissings. Immerhin hatte er dem ursprünglichen Deal vom Herbst selbst zugestimmt. Von Erpressung ist hinter vorgehaltener Hand in der EU-Kommission die Rede, von Methoden à la Viktor Orbán.
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Die Gefahr von Nachahmungstaten ist real
Selbst Politiker, die auch gegen ein Verbrenner-Aus sind, verstehen die Welt nicht mehr. Der umweltpolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Peter Liese (CDU) sagte: Dass Wissing es sich plötzlich anders überlegt habe, sei „ein rein politisches Manöver nach dem für die FDP desaströsen Wahlergebnis in Berlin“. Und: „In Zukunft kann jeder Mitgliedsstaat nach Abschluss der Verhandlungen und nachdem er mehrfach zugestimmt hat, wieder alles in Frage stellen“, schimpft Liese.
„In Zukunft kann jeder Mitgliedsstaat nach Abschluss der Verhandlungen und nachdem er mehrfach zugestimmt hat, wieder alles in Frage stellen“
Peter Liese (CDU), umweltpolitischer Sprecher der Europäischen Volkspartei,
Die Gefahr von Nachahmungstaten ist real. Frankreich könnte dem Beispiel Deutschlands folgen und etwa die gerade beschlossene Energieeffizienz-Richtlinie (EED) im Verbund mit anderen Staaten blockieren. Paris, das ist bekannt, findet seine Atomkraft-Interessen in der EED nicht genügend berücksichtigt.
Neben dem institutionellen Problem könne der Verstoß der Bundesregierung gegen die Brüsseler Spielregeln auch Folgen für den Green Deal haben, sagt der Klimaexperte der Europa-Grünen, Michael Bloss, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Diese absurde Debatte muss ein Ende haben. Mit ihrem Verzögern riskiert die Bundesregierung, dass der Green Deal auseinanderfällt.“ Jetzt müsse der Kanzler ein Machtwort sprechen.
Klimaneutralität bis 2050 mit Verbrennern nicht zu erreichen
Der Green Deal ist das Prestigeprojekt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie will die EU bis 2050 klimaneutral machen. Das ist nach Expertenmeinung mit Verbrennungsmotoren nicht zu erreichen.
Der stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionschef Detlef Müller sagte dem RND: „Die Einführung einer neuen Fahrzeugklasse hätte allerdings keine flächendeckende Nutzung von E-Fuels im Straßenverkehr zur Folge. Synthetische Kraftstoffe sind, wenn überhaupt in ausreichendem Maße verfügbar, nur sinnvoll einzusetzen im Luft- und Schiffsverkehr.“ Die Koalition müsse an einem Strang ziehen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ließ in der ARD seiner Frustration freien Lauf: „Wir haben einen Auftrag, für die Menschen, für Deutschland was zu leisten und im Moment kommen wir dem nicht ausreichend genug nach.“