Deutsche haben keine Lust auf Gendern
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Die Gender-Debatte zieht weite Kreise.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Hannover. Die Mehrheit der Deutschen sieht keine Notwendigkeit für geschlechtsneutrale Sprache. Das hat eine repräsentative Umfrage des Vereins Deutsche Sprache ergeben, aus der die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zitiert.
80 Prozent der Befragten lehnen die Nutzung von gegenderter Sprache ab, auch die Debatte darüber hält eine Mehrheit für überflüssig und übertrieben. Auf die Frage „Wie wichtig oder unwichtig ist Ihrer Meinung nach gendergerechte Sprache für die Gleichstellung der Frau in Deutschland?“ antworteten laut „FAZ“ nur 27,1 Prozent der befragten Männer bzw. 27,9 Prozent der befragten Frauen mit „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“, jeweils über 60 Prozent dagegen machten ihre Kreuz bei „sehr unwichtig“ oder „eher unwichtig“ (der Rest entfällt auf „weiß nicht“ oder „keine Angabe“).
Diese Ergebnisse sind über Bundesländer, Geschlechter und Parteien ähnlich. Auch bei den Anhängern der Grünen bewerteten 60,1 Prozent der Befragten die Gendersprache mit „sehr unwichtig“ oder „eher unwichtig“.
Hannover führt Gendersternchen ein
Das Thema war wieder auf die gesellschaftliche Agenda gerutscht, als die Stadt Hannover jüngst die Verwendung des sogenannten Gendersternchens (Wähler*innen) zur Pflicht machte, wo in amtlichen Formularen keine andere geschlechtsneutrale Form möglich sei. Der Vorstoß hatte eine heftige Debatte ausgelöst.
Die Befürworter des Genderns sehen in derlei Konstruktionen den Versuch, nicht nur Frauen und Männer, sondern gleich alle denkbaren Geschlechter sprachlich zu berücksichtigen, statt sie auszuschließen. Für sie ist es ein Gebot der Fairness, die für sie männlich dominierten Sprachregeln zu überwinden.
Auch die Stadt Dortmund will künftig nicht nur Männer und allenfalls Frauen ansprechen, sondern sprachlich ein drittes Geschlecht einführen und damit ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts anwenden. Dortmund will eine individuelle Richtlinien erarbeiten, meldet die „Tagesschau“. Das Gleichstellungsbüro und die Koordinierungsstelle für Schwule, Lesben und Transidente seien noch in der Findungsphase.
Laut Bundesverfassungsgericht sollen bis Frühjahr 2020 behördliche Formulierungen kein Geschlecht mehr ausschließen. Das richtige sprachliche Instrument dafür ist jedoch umstritten – zumal die meisten Konstruktionen bisher höchstens männliche und weibliche Varianten einschließen, während etwa bei Facebook mehr als 60 potenzielle Geschlechter aufgelistet sind.
Denkbar sind etwa folgende Sprachvarianten:
• Die Paarform (Leserinnen und Leser)
• Die verkürzte Paarform (Leser/innen)
• Das Binnen-I (LeserInnen)
• Das Zusammenziehen mit Schrägstrich (ein/e Leser/in)
• Geschlechtsneutrale Formulierungen (die lesende Person)
Es ist vor allem das generische Maskulinum, das den Genderaktivisten in den Ohren klingelt, also der als männlich empfundene Regelfall („Lehrer“). Tatsächlich aber ist das Maskulinum sprachhistorisch gesehen gar nicht männlich. Explizit gemeint sind weder Männer noch Frauen. „Lehrer“ etwa sind nicht automatisch Männer, sondern „lehrende Personen“, denn das Wortgeschlecht (Genus) ist nicht deckungsgleich mit dem natürlichen Geschlecht (Sexus).
Auch deshalb scheiterte die 80-jährige Sparkassenkundin Marlies Krämer jüngst vor dem Bundesgerichtshof mit der Forderung, dass Bankformulare auch die weibliche Form enthalten müssten. Sie war es leid, als „Kontoinhaber“, „Sparer“ oder „Kunde“ angesprochen zu werden.
Das Lehrer, die Lehrerin, der Lehrerich
Sprachlich gesehen sind es in Wahrheit eigentlich die Männer, denen eine eigene Bezeichnung fehlt. „Lehrer“ sind lehrende Personen. „Lehrerinnen“ sind weibliche lehrende Personen. Und wie heißen männliche lehrende Personen? Die feministische Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp findet, man könne doch die neutrale Variante „Lehrer“ zum Neutrum machen und eine neue Endung („-ich“) für Kerle einführen. Also: das Lehrer, die Lehrerin, der Lehrerich.
Die überwiegende Ablehnung des Genderns in der aktuellen Umfrage ist für die Schriftstellerin Monika Maron keine Überraschung. Das Ergebnis belege die tägliche Erfahrung, sagte sie. „Nicht einmal Orwell ist auf die Idee gekommen, ein Staat könnte Hand an die Grammatik legen.“ Sie hatte zusammen mit dem Ökonom Walter Krämer, dem Journalisten Wolf Schneider und dem früheren Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus einen Aufruf gegen die geschlechterneutrale Sprache initiiert, der inzwischen von 61.000 Deutschen unterschrieben wurde.
Gegner werfen dem Verein vor, in der Sprachpflege reaktionär und rückwärtsgewandt zu agieren. Der Verein wurde 1997 gegründet und zählt nach eigenen Angaben 36.000 Mitglieder in mehr als 100 Ländern.
Die Grünen haben das Gendersternchen parteiintern 2015 zur Pflicht gemacht. Auch in österreichischen Lesebüchern für Sechs- bis Zehnjährige wird bereits heftig gegendert: „Eine/r ist Zuhörer/in, der/die andere ist Vorleser/in. Eine/r liest den Abschnitt vor, der/die Zuhörer/in fasst das Gehörte zusammen.“
Weiterlesen:
– NRW will „Schreiben nach Gehör“ abschaffen
– Gastbeitrag: Wo bleiben die feministischen Männer?
Von RND/Imre Grimm