Kurz könnte vor Gericht kommen

Ex-Vertrauter von Sebastian Kurz packt aus – und bringt Österreichs ÖVP ins Wanken

Sebastian Kurz, damaliger ÖVP-Spitzenkandidat, jubelt nach den ersten Hochrechnungen zur Nationalratswahl in der ÖVP-Wahlzentrale.

Sebastian Kurz, damaliger ÖVP-Spitzenkandidat, jubelt nach den ersten Hochrechnungen zur Nationalratswahl in der ÖVP-Wahlzentrale.

Wer sich als Mutter manchmal die Sinnfrage stellt und darüber verzweifelt, dass offenkundig alle Erziehungsmüh gescheitert ist, der blicke nach Österreich. Dort hat sich ein angeblich reumütiger Sohn zu seinen Fehlern bekannt – Thomas Schmid, tituliert als „Mann fürs Grobe“ bei den mutmaßlich korrupten Machenschaften des einstigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hat Schmid ausgepackt und – aus seiner Sicht – dargelegt, wie Kurz etwa manipulierte Umfragen in Auftrag gegeben und er ihm dabei geholfen hatte.

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Der heute 46-Jährige war damals einflussreicher Amtschef im Finanzministerium und nutzte diesen Posten auch, um Kurz und die ihm hörige ÖVP zu sponsern. Wie kam es zum Sinneswandel, warum möchte Schmid nun Kronzeuge werden bei den Ermittlungen gegen den gefallenen jungen Shootingkanzler? „Wir haben dich so nicht erzogen“, hat ihm die Mutter laut dem Vernehmungsprotokoll gesagt. „Wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu, mit allen Konsequenzen.“

Das hat ein paar Jahre gedauert, zwischendrin war Thomas Schmid noch Vorstand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft Öbag, die den Besitz der Alpenrepublik an Unternehmen verwaltet. An seinen Ex-Spezl Kurz hatte er laut der geleakten Chatprotokolle einst geschrieben: „Du bist meine Familie.“ Und: „Ich liebe meinen Kanzler.“

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Der Tenor der jetzigen Reueaussagen – 15 Tage lang wurde Schmid vernommen, die Abschrift fasst 454 Seiten – lautet: Sebastian Kurz war in alle schmutzigen Geschäfte und Postenschacher in seinem selbst gezimmerten Reich nicht nur eingeweiht, er war Auftraggeber. Kurz präsentierte daraufhin ein nach seinem Sturz mitgeschnittenes Telefonat mit Schmid, in dem er diesen dazu bringen wollte, die Schuld auf sich zu nehmen. Er frage sich, so Kurz, welches „kranke Gehirn“ darauf komme, dass er hinter all dem stecke. Allerdings: Schmid wich in seinen Bemerkungen beständig aus. Nun wird in der Politik hitzig diskutiert, was die Schmid-Aussage wert ist.

Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht im Rahmen einer Pressekonferenz.

Österreichs Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz spricht im Rahmen einer Pressekonferenz.

29.09.2019, Österreich, Wien: Sebastian Kurz, damaliger ÖVP-Spitzenkandidat, jubelt nach den ersten Hochrechnungen zur Nationalratswahl in der ÖVP-Wahlzentrale.

29.09.2019, Österreich, Wien: Sebastian Kurz, damaliger ÖVP-Spitzenkandidat, jubelt nach den ersten Hochrechnungen zur Nationalratswahl in der ÖVP-Wahlzentrale.

Die ÖVP – als stärkste Regierungspartei stellt sie den Kanzler Karl Nehammer, die Grünen sind Juniorpartner – weiß gerade weder ein noch aus, wie sie mit ihrem vergifteten Kurz-Erbe umgehen soll. Bei einer Diskussionsrunde im ORF-Fernsehen am Sonntagabend wand sich Generalsekretär Christian Stocker. Bei Korruption gebe es „Verdachtslagen gegenüber einzelnen Personen“. Man solle aber bitte die Justiz arbeiten lassen und erst bei einer „erwiesenen Faktenlagen“ urteilen. Nicht etwa auf Kurz scheint die Wut in der ÖVP groß zu sein, vielmehr gilt Schmid als eine Art Verräter. Stocker sagt: „Ein Beschuldigter gibt Anschuldigungen.“ Mittlerweile ist es denkbar, dass Sebastian Kurz nach einem Prozess ins Gefängnis einziehen muss.

Beobachterinnen und Beobachter sehen die Lage der ÖVP weitaus kritischer als die Partei selbst. Franz Fiedler etwa, selbst einst ÖVP-Politiker, dann zwölf Jahre lang Präsident des Rechnungshofes, meint: „Es geht ums Systemische.“ Er vermisst bei den Konservativen die Selbsterkenntnis: „Hier ist etwas faul.“ Peter Filzmaier, Grandseigneur der österreichischen Politikwissenschaft, sagt über Schmid und Kurz: „Einer von beiden lügt wie gedruckt.“ Der Kanzler und Parteivorsitzende Nehammer distanziere sich zu wenig von dem früheren ÖVP-Denken. Politisches Fehlverhalten müsse vielmehr „proaktiv“ angegangen werden.

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Die Grünen als ÖVP-Partner verstecken sich im Mauseloch, sie sagen nichts und stehen weiter zur Koalition. Diese erzielt laut neuester Umfrage des Instituts Market-Lazarsfeld vom 20. Oktober aber nur insgesamt 32 Prozent. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einst Grünen-Politiker und von der Partei unterstützt, sah sich Ende vergangener Woche wieder zu einer TV-Erklärung verpflichtet. „Ich kann und will das so nicht hinnehmen“, sagte er. Die Affären gingen „an die Substanz unserer Demokratie“. Korruption sei ein „lebendes Gift“. Deshalb verlangt der Präsident eine „Generalsanierung des Vertrauens“.

Ihre Stunde sehen nun die oppositionellen Sozialdemokraten von der SPÖ und die linksliberalen Neos gekommen, sie verlangen Neuwahlen. Eigentlich müsste der Nationalrat erst in zwei Jahren gewählt werden. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner macht sich selbst Hoffnung auf eine Kanzlerschaft, im Bündnis mit den Neos und den Grünen könnte das schon drin sein. Rendi-Wagner kritisiert ein „desaströses Bild der Bundesregierung“ und die „Handlungsunfähigkeit der ÖVP“. Auf typisch österreichisch-lakonische Weise schreibt der „Standard“ über das politische Sittenbild: „Gut schaut‘s nicht aus im Gasthaus Österreich.“

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