Weitere 50 Millionen Euro Hilfe versprochen

Faeser und Baerbock besuchen türkische Erdbebenregion: „Es hat einem gerade das Herz zerrissen“

21.02.2023, Türkei, Pazarcik: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, r), Außenministerin, und Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, besuchen die vom Erdbeben schwer getroffene Stadt Pazarcik in der Region Kahramanmaras. Das Epizentrum des ersten Beben am 06.02.2023 lag in Pazarcik. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

21.02.2023, Türkei, Pazarcik: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, r), Außenministerin, und Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, besuchen die vom Erdbeben schwer getroffene Stadt Pazarcik in der Region Kahramanmaras. Das Epizentrum des ersten Beben am 06.02.2023 lag in Pazarcik. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Pazarcik/Gaziantep. Ein leichtes Grün liegt über den Feldern um Pazarcik, die Berge in der Ferne sind schneebedeckt. Ein Idyll, wenn da nicht die Zerstörung wäre. Ein eingestürzter Supermarkt auf dem Weg in die Stadt – auf einem großen schief hängenden Schild steht noch die Werbung für Speiseeis. In einer Einkaufsstraße sind Häuser einfach verschwunden. Übrig geblieben sind von ihnen Berge von Schutt, aus dem Metallstelen ragen. Zwischen Betonteilen sind Stofffetzen erkennbar, Reste von Teppichen oder Vorhängen. Viele Häuser, die noch stehen, haben Risse, Fenster sind zerbrochen. Es knirscht, wenn man über die Straße geht.

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Vor einem der Schuttberge bleiben Außenministerin Annalena Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser stehen. Sie haben sich zusammen aufgemacht in die am schwersten von dem Erdbeben betroffene türkische Provinz Kahramanmaras. Über 10.000 Tote wurden allein in dieser Provinz geborgen, 15.000 Menschen verletzt. In Pazarcik war das Epizentrum der ersten Welle. „Das Ausmaß der Katastrophe kann man kaum in Worte fassen“, sagt Baerbock ernst. „Man spürt an jedem Ort, wie das Beben in den Menschen drinsteckt.“ Gerade hat sie mit Faeser eine Zeltstadt besucht, 1800 Menschen sind dort untergekommen, die bei dem Beben ihre Wohnung verloren haben, davon 240 Kinder. Viele haben Angehörige verloren. „Es hat einem gerade das Herz zerrissen“, sagt Faeser.

Schulen, Häuser und Kliniken müssen erst wieder aufgebaut werden

Die türkische Hilfsorganisation Afad hat die Zelte aufgestellt. Bis zu zehn Personen sind in jedem untergekommen. Vor den Zelten stehen einzelne Möbelstücke. Es stapelt sich Brennholz, nachts wird es kalt in Pazarcik, es herrschen dann Minustemperaturen. „Das ist natürlich eine extreme Belastung“, sagt die Ärztin Hansi Sobez von der deutschen Hilfsorganisation humedica. Bis zu 80 Patienten behandeln die ehrenamtlichen Ärzte der Organisation am Tag, vor allem gibt es Infekte, Durchfall und Atemwegserkrankungen. Dazu kommen psychische Probleme. „Viele sind traumatisiert“, sagt Sobez.

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Hüseyin Göcek in der Ruine des Hauses seines Bruders, er zeigt die Decke, unter der seine Mutter lag

Gerettet aus den Trümmern – das schwierige Weiterleben nach der Todesangst

Tausende Menschen sind beim Erdbeben in der Türkei und in Syrien gestorben. Viele der Überlebenden sind für immer gezeichnet. Im Krankenhaus berichtet einer von der Todesangst, als er stundenlang unter den Trümmern lag – neben seiner toten Mutter.

Baerbock trifft in dem Camp einen 16-Jährigen, der seinen kleinen Bruder aus dem Haus gerettet hat. Zwei Tage hätten die Geschwister im Schlafanzug verbracht, erzählt Baerbock. Es zeige sich, wie wichtig internationale Hilfe in Katastrophensituationen sei. Humedica wird Ende der Woche wieder nach Deutschland zurückkehren, die türkische Gesundheitsversorgung übernimmt. Aber die Unterstützung werde noch lange andauern, sagt Baerbock – „weil traumatische Erfahrungen aufgearbeitet werden müssen“. Außerdem müssten Häuser, Krankenhäuser und Schulen wieder aufgebaut werden.

Weitere 50 Millionen Euro Hilfe: Baerbock verdoppelt die Unterstützung

Weitere 50 Millionen Euro sagt sie der Türkei an Unterstützung zu, eine Verdoppelung der bisherigen Hilfe. Dazu kommen die Hilfsgüter, die seit dem Beben vor zwei Wochen aus Deutschland in die Türkei geliefert wurden. In über 20 Flügen sind nach Regierungsangaben 340 Tonnen Material in die Krisenregion gebracht worden, Decken, Feldbetten, Schlafsäcke und Zelte vor allem. Aber auch Lebensmittel und Wasser. Vor den Ruinen in Pazarcik kritisiert Baerbock, dass die Hilfe zwar in der Türkei, aber nicht im nahen Nordsyrien ankomme, das ebenfalls vom Erdbeben betroffen ist. Die syrische Regierung behindere diese Lieferungen.

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Für die Türkei hat sich die Bundesregierung noch zu einem weiteren Schritt entschlossen. Wer Kinder, Eltern oder Großeltern in Deutschland hat, kann für 90 Tage ein Visum bekommen. Es solle den Menschen ermöglichen, „zur Ruhe zu kommen“, sagt Baerbock. Migrantenorganisationen hatten in den vergangenen Tagen das Verfahren als unpraktikabel kritisiert, auch weil so viele Dokumente vorgelegt werden müssen. Faeser sagt, sie sei auch für die Sicherheit in Deutschland verantwortlich. 94 Visa seien inzwischen erteilt, zudem 15 Familienzusammenführungen ermöglicht worden. Damit alles künftig noch schneller geht, weihen die Ministerinnen in Gaziantep einen Visabus ein, der in die Erdbebenregionen fahren soll. „In Notsituationen gibt es nicht den perfekten Plan“, sagt Baerbock. Aber man bemühe sich, unbürokratisch und pragmatisch vorzugehen.

Und dann erleben die Ministerinnen den Schrecken auch noch am eigenen Leib. Während des Besuchs in der Zeltstadt bebt die Erde, kurz und fast sanft allerdings nur. „Sofort wurde alles leise“, sagt Baerbock.

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