Schimon Stein im Interview

Wenn Netanjahu sich durchsetzt, „wird Israel keine liberale Demokratie mehr sein“

Schimon Stein war von 2001 bis 2007 Israels Botschafter in Deutschland.

Schimon Stein war von 2001 bis 2007 Israels Botschafter in Deutschland.

Berlin. Herr Botschafter Stein, israelische Künstler haben wegen der geplanten hochumstrittenen Justizreform in Israel – sie soll dem Parlament die Aufhebung von Entscheidungen des Höchsten Gerichts mit einfacher Mehrheit ermöglichen und die Stellung des Regierungschefs stärken – Kanzler Olaf Scholz zur Absage des Besuches von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Berlin aufgefordert. Wie stehen Sie dazu?

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Ich teile die Auffassung nicht, auf den Besuch zu verzichten. Netanjahu ist immer noch der gewählte Premierminister Israels, eines – noch – demokratischen Staates, zu dem Deutschland besondere Beziehungen hat. Es sollte aber ein Besuch unter echten Freunden werden – und dazu gehört, dass der Bundeskanzler offen Kritik äußern und seine Besorgnis über die Entwicklung in Israel klar zum Ausdruck bringen sollte.

Wohin entwickelt sich Israel?

Wir befinden uns in einer kritischen Lage. Netanjahu hat eine Koalition zusammengestellt, die ihm helfen soll, eine Amtsenthebung wegen seines Korruptionsprozesses sowie eine Gefängnisstrafe zu umgehen. Das ist der einzige Grund für diese Justizreform. Und an dieser Koalition, die zum Teil missionarisch und faschistisch ist und ihn erpressen kann, hängt Netanjahus Schicksal. Und vom Schicksal dieser Einzelperson hängt wiederum das Schicksal des Landes ab.

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Welche Gefahr sehen Sie?

Israels parlamentarische Demokratie ist nicht stabil. Die liberale Demokratie in Israel ist ohnehin brüchig. Jetzt könnte sie unterwandert werden. Langsam erkennt das auch Deutschland. Das Land ist tief gespalten, jede Regierung ist auf mehrere Parteien angewiesen. Sonst kommen keine Koalitionen zustande. Ich sehe nicht, dass sich das in Zukunft grundsätzlich ändern wird. Die Spaltung zwischen ultraorthodoxen Juden, dem rechten und einem nicht existierenden linken Lager wird uns weiter begleiten. Nach dieser Krise wird aber wieder etwas Neues entstehen, das nicht unbedingt zum Besseren führen wird.

Und zwar?

Sollten sich Netanjahu und sein Lager durchsetzen, wird Israel keine liberale Demokratie mehr sein. Ob es so weit kommt, bleibt abzuwarten. Der innenpolitische Druck durch die Proteste, der Druck von außen und innere Konflikte innerhalb der Koalition – all das könnte Netanjahu dazu zwingen, Neuwahlen auszurufen.

Durch die ständigen Neuwahlen wurde die Spaltung des Landes bisher nicht überwunden.

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Und diese Spaltung hat auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens und auf unsere Sicherheit Einfluss. Wir leben in einer bedrohlichen Gegend. Unsere Gegner blicken auf uns. Zeichen der Schwäche sind in dieser Region nie belohnt worden. Deshalb haben wir nicht nur innenpolitisch, sondern auch außen- und sicherheitspolitisch ein Problem.

Erneute Proteste gegen geplante Justizreform in Israel
*** BESTPIX *** TEL AVIV, ISRAEL - MARCH 11:  Tens of thousands of Israelis attend a massive protest against the government's judicial overhaul plan on March 11, 2023 in Tel Aviv, Israel. The Netanyahu government is pushing ahead with proposed overhaul of the judiciary that would limit the Israeli Supreme Court's ability to review and strike down laws that it deems unconstitutional. Critics say the changes will undermine judicial independence and threaten Israel's democracy.  (Photo by Amir Levy/Getty Images)

Die Demonstrierenden forderten die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf, das umstrittene Vorhaben aufzugeben.

Deutschland hat wegen der Schoah und mit dem Existenzrecht Israels als Staatsräson eine unvergleichliche Beziehung zu Israel und eine besondere Verantwortung. Welche Kritik halten Sie von Kanzler Scholz an Netanjahu vor diesem historischen Hintergrund für möglich?

Wenn Deutschland seine historische Verantwortung ernst nimmt, muss Deutschland für Israels Sicherheit in solchen Zeiten Taten folgen lassen. Es geht dann nicht nur um die moralische Verantwortung wegen der Schoah. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock haben sich bereits kritisch geäußert. Diese Botschaft, dass sich Deutschland auch öffentlich sorgt über die Entwicklung Israels, ist im Land aufmerksam registriert worden. Wenn sich die liberale Ordnung zur Autokratie in Israel entwickelt, muss der Bundeskanzler eine Mahnung aussprechen. Er sollte keine Rote Karte zeigen, aber eine Gelbe. Macht Scholz das nicht, hat er seine Mission verfehlt.

Was bedeutet eine Gelbe Karte?

Freunde müssen sich erlauben, ihre Meinung und Besorgnis unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Das bedeutet Glaubwürdigkeit – aber nicht, dass es Sanktionen gegen Israel geben sollte.

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