Wie die Bundesregierung über die nationale Sicherheitsstrategie streitet
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Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz, hier im Januar beim Besuch des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg, ringen um die Nationale Sicherheitsstrategie.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Die erste Frist für ihre neue Sicherheitsstrategie hat die Bundesregierung bereits gerissen: Der Koalitionsvertrag sieht die Vorlage „im ersten Jahr der neuen Bundesregierung“ vor, also bis zum Herbst 2022. Der Angriff Russlands auf die Ukraine kam dazwischen. Er hat nicht nur den Blick auf Russland verändert, sondern auch dem Militärischen eine neue Bedeutung gegeben: Die Bundesregierung warf das bisherige Prinzip über Bord, keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern.
Nun hat sich die Koalition einen neuen Termin gesetzt: Im ersten Quartal des Jahres soll die neue nationale Sicherheitsstrategie fertiggestellt werden, heißt es in der Regierung. Sechs Wochen sind also noch Zeit dafür, bis zum 31. März. Es passt, dass sich zum Ende dieses Zeitraums die Nato-Außenminister treffen – Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Sicherheitsstrategie als eines ihrer Kernprojekte definiert.
Gestritten wird um Geld und um Einfluss
Die Zeit bis März scheint allerdings auch nötig zu sein: Zwar gibt es bereits einen Strategieentwurf von ein paar Dutzend Seiten – aber noch keine Einigkeit in der Regierung. Gestritten wird um Geld und um Einfluss. Baerbock ringt vor allem mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Und die Bundesländer sind auch noch nicht überzeugt.
Drei Elemente hat Baerbock genannt, als sie mit der Arbeit an der Strategie vor knapp einem Jahr offiziell beginnen ließ: Schutz vor „akuter, konkreter Bedrohung“ durch Krieg und Gewalt, den Schutz der Freiheit und den Schutz der Lebensgrundlagen wie Klima und Ernährung. Nötig seien dafür „eine klare Haltung, gestärkte Handlungsfähigkeit und geschärfte außen- und sicherheitspolitische Instrumente“.
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„Du musst zurückbrüllen“: fünf Tipps für Pistorius
Wie muss man sein, um im Verteidigungsministerium Erfolg zu haben? Volker Rühe (CDU) und Peter Struck (SPD) entwickelten in diesem Amt einst ihre ganz eigenen Methoden. Zum Thema Führungsstil hinterließen sie – mal offiziell, mal inoffiziell – ein paar Bemerkungen, die man heute lesen kann wie eine Sammlung weiser Ratschläge an den Neuling Boris Pistorius.
Die Streitpunkte
Verhakt hat sich die Debatte an drei Punkten.
Da sind zunächst die Ausgaben für die Verteidigungspolitik. 2014 hat sich die Bundesregierung in der Nato verpflichtet, ihre Ausgaben dafür auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen. Solange die Wirtschaft nicht abstürzt, ist das ein kräftiges Plus. Deutschland ist davon trotz seit einigen Jahren wachsender Wehretats noch ein gutes Stück entfernt.
Die Frage ist, wie das Ziel in der Sicherheitsstrategie fixiert wird – und ob die Erhöhung des Etats für Entwicklungshilfe und Diplomatie festgeschrieben oder sogar an die Entwicklung der Ausgaben für Verteidigung gekoppelt wird. Im Koalitionsvertrag ist eine Kombination vorgesehen: 3 Prozent des BIP für alle drei Bereiche zusammen sind dort die Zielmarke, die einigen Interpretationsspielraum lässt. Wichtig sei es, dass die Ressorts die Finanzierung „miteinander abstimmen und nicht gegeneinander auf den Weg bringen“, so hatte es Baerbock vorgegeben. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), plädiert für den Vorrang des Wehretats. „Den massivsten Investitionsbedarf gibt es bei der Landes- und Bündnisverteidigung. Es ist sinnvoll, dies mit dem Bekenntnis zum 2‑Prozent-Ziel anzuerkennen. Eine statische Verknüpfung mit anderen Etats halte ich nicht für geboten“, sagte Roth dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
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„Die SPD will im Kanzleramt ein Schattenaußenamt einrichten“
Mit dem Kanzleramt streitet Baerbock um die Macht. Es geht dabei um ein Gremium, das die Unionsparteien im Bundestagswahlkampf gefordert haben. Ein Nationaler Sicherheitsrat aus mehreren Regierungsressorts soll Krisen erkennen und gemeinsam Strategien entwickeln. Baerbock will den Rat dem Vernehmen nach im Auswärtigen Amt ansiedeln, die SPD im Kanzleramt. Der Ton der Auseinandersetzung wird zumindest nach außen mitunter scharf: „Die SPD will im Kanzleramt ein Schattenaußenamt einrichten. Das wird es mit uns nicht geben“, zitiert das Magazin „Politico“ den außenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Jürgen Trittin. SPD-Außenpolitiker Roth widerspricht: „Den Rat im Kanzleramt anzusiedeln würde seine Autorität stärken. Ein Schattenaußenamt ist da nicht zu befürchten.“
Roth hat auch noch eine grundsätzliche Empfehlung: „Ein Nationaler Sicherheitsrat ist dann ein Mehrwert, wenn er Zeit und personelle Kapazitäten für vorausschauende konzeptionelle Arbeit hat“, sagt er. „Er muss entsprechend ausgestattet sein.“
Ein Nationaler Sicherheitsrat ist dann ein Mehrwert, wenn er Zeit und personelle Kapazitäten für vorausschauende konzeptionelle Arbeit hat.
Michael Roth, SPD-Außenpolitiker
Baerbock will Katastrophenschutz auf Bundesebene
Die Bundesländer kommen bei einem anderen Thema ins Spiel: Baerbock würde die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz gern von den Ländern auf den Bund verlagern. Im Bundestagswahlkampf war das bereits Thema, als nach heftigen Regenfällen Hochwasser Orte in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüstete und Menschen in den Tod riss. Die Länder waren schon damals wenig begeistert. Vergangenes Jahr hat ein gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz die Arbeit aufgenommen – die Zuständigkeiten blieben unangetastet.
Dass die Ressortabstimmung noch in den kommenden Tagen klappt – also pünktlich zur Münchner Sicherheitskonferenz –, gilt in der Koalition als unwahrscheinlich. Neben der Ressortabstimmung will auch der Bundestag informiert werden. „Wichtig ist, die Sicherheitsstrategie zunächst auch dem Bundestag vorzustellen“, mahnt Außenpolitiker Roth. Das Parlament kommt erst wieder im März zusammen.