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Sein Gefängnis wurde von Rebellen gestürmt

Rätselraten im Sudan: Wo ist der international gesuchte Kriegsverbrecher al‑Baschir?

Der ehemalige Präsident des Sudan, Omar al‑Bashir (Archivfoto).

Der ehemalige Präsident des Sudan, Omar al‑Bashir (Archivfoto).

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Mitglieder der paramilitärischen Gruppe RSF, die sich im Kampf gegen die Armee des Landes einen Bürgerkrieg liefern, haben am Sonntag die Kober-Haftanstalt angegriffen, in der auch der wegen Kriegsverbrechen mit einem internationalen Strafbefehl gesuchte Langzeitdiktator Omar al‑Baschir seit seinem Sturz 2019 einsaß.

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Zunächst hatten Militär und Polizei gemeldet, der Angriff sei abgewehrt worden. Doch eine Reihe von Gefangenen sei geflohen. Jetzt meldet der arabische Nachrichtensender Al Jazeera unter Berufung auf Augenzeugen, dass al‑Baschir aus dem Gefängnis verschwunden ist.

Möglich ist, dass die Sudanesische Armee (SAF) von General Abdel Fattah al‑Burhan ihn in Sicherheit gebracht hat. Eine anonyme Quelle innerhalb der sudanesischen Polizei informierte die „Sudan Post“: „Die Polizei hat die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit des ehemaligen Präsidenten Omar al‑Baschir und der Mitglieder seines Regimes zu gewährleisten, die an einen sicheren Ort gebracht wurden. Dieser Schritt soll auch verhindern, dass sie aus dem Gefängnis fliehen.“

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Denkbar ist aber auch, dass die paramilitärischen RSF-Milizen al‑Baschir befreit haben, denn es handelt sich bei dem ehemaligen Diktator um eine Schlüsselfigur. Sudanesische lokale Medien veröffentlichten am Sonntag ein Video, das Gefangene zeigt, die das Kober-Gefängnis verließen.

Das Video zeigte Menschen in ihren weißen Gefängnisuniformen, die mit ihren Habseligkeiten eine Gasse hinuntergingen. Gefangene hatten zwei Polizeifahrzeuge in Brand gesteckt und gegen den Mangel an Nahrung und Wasser protestiert.

2019 vom Volk gestürzt

Doch was macht diesen Mann, der 30 Jahre den Sudan regierte und 2019 durch einen Volksaufstand gestürzt wurde, so gefährlich? Nachdem al‑Baschir 1993 formell Staatspräsident geworden war, fanden islamistische Terrorgruppen im Land Unterschlupf – unter anderem auch Al‑Kaida-Gründer Osama bin Laden.

Folgenschwere Terroranschläge, wie jene vom 7. August auf die US‑Botschaften in Kenia und Tansania (insgesamt 224 Todesopfer), die vom Sudan aus gesteuert wurden, führten dazu, dass die USA das Land auf die Liste der „Schurkenstaaten“ setzten.

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Politik der Islamisierung

Gleichzeitig führte al‑Baschirs Politik der Islamisierung dazu, dass alte ethnische und religiöse Konflikte im Land wieder aufbrachen – mit der afrikanisch-christlichen Bevölkerung im Süden und in der westsudanesischen Provinz Darfur. Seit 2003 verantwortete das Regime vor allem in Darfur schwerste Menschenrechts­verletzungen – die USA stuften sie später als Völkermord ein.

Lokale Milizen aus arabischen Reiternomaden, sogenannte Dschandschawid, verübten Massenmorde. Eine UN‑Schätzung geht für Anfang 2008 von mindestens 300.000 Toten aus.

Mohammed „Hemedti“ Daglo, als Sohn tschadischer Viehhändler in Darfur aufgewachsen, stieg zu einem Anführer dieser Dschandschawid auf. 2013 gründete Diktator al‑Baschir aus diesen Reiternomaden die paramilitärischen Rapid Support Force (RSF, Schnelle Eingreiftruppe). Daglo wurde ihr Befehlshaber.

Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Dessen Gräueltaten bildeten auch die Grundlage dafür, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag 2009 erstmalig einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef beantragte – nämlich gegen Diktator al‑Baschir. Hier kommt erstmals Russland ins Spiel: Schon damals erklärte Moskau im UN‑Sicherheitsrat, den Haftbefehl nicht anzuerkennen.

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Russland wurde zum wichtigsten Waffenlieferanten des Sudan, trotz eines UN‑Waffenembargos. Jewgeni Prigoschin, Chef der Wagner-Gruppe, flog erstmals am 24. April 2018 nach Khartum, wie die damals noch unabhängige russische Zeitung „Nowaja Gaseta“ dokumentierte. Fortan war er im Sudan ein häufiger Gast.

Jewgeni Prigoschin, Chef der Wagner-Gruppe, unterhält intensive „Geschäftsbeziehungen“ in den Sudan.

Jewgeni Prigoschin, Chef der Wagner-Gruppe, unterhält intensive „Geschäftsbeziehungen“ in den Sudan.

Prigoschin begann eine innige geschäftliche Kooperation mit Daglos RSF-Milizen, welche seit 2017 die Goldminen im Distrikt Jebel Amer in Darfur kontrollierten, laut der World Peace Foundation größte Export­einnahme­quelle des Landes. CNN fand heraus, dass Alexander Kusnezow, ein ehemaliger hochrangiger Wagner-Kommandeur, offensichtlich als Verwalter der Goldminen im Sudan fungierte.

Moskaus Einfluss steht auf dem Spiel

Es gibt keine Beweise, dass Moskau oder Prigoschin hinter dem derzeitigen Aufstand stehen, den Daglo und seine RSF jetzt gegen die Regierung des Sudan und vor allem gegen die Armee von Oberbefehlshaber Abdel Fattah al‑Burhan angezettelt haben.

Fakt ist nur, dass Moskaus enormer Einfluss im Sudan auf dem Spiel gestanden hätte, wäre es zu dem mit politischen Oppositionspolitikern vereinbarten Umbau in eine Zivilgesellschaft gekommen.

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Seit dem Sturz und der Inhaftierung von Diktator al‑Bashir 2019 herrschten die Armeespitze und die RSF-Milizen gemeinsam. Eine jetzt geplante Integration der RSF in die offiziellen Streitkräfte sollte Auftakt zum Übergang des Sudan in eine Zivilgesellschaft sein. Die jetzt ausgebrochenen Kämpfe begraben jedoch diese Hoffnung auf eine sudanesische Demokratie.

Daglo und Burhan waren Vertraute al‑Baschirs

Sowohl Daglo als auch Armeechef Burhan waren einst Vertraute al‑Baschirs. Burhan bekennt sich heute allerdings zur legalen Regierung des Landes – und zur Transformation in eine Zivilgesellschaft. Daglo putscht dagegen.

Mit al‑Baschirs Befreiung würde Daglos RSF-Miliz die alten Verhältnisse wiederherstellen. Vor allem Russland, das auf einen Stützpunkt bei Port Sudan am Roten Meer hofft, würde davon profitieren.

Der 79‑jährige al‑Baschir wird bis heute vom Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, willkürlichen Verhaftungen, Folter und Vergewaltigung gesucht.

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Mit Material von dpa

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