Israelis und Palästinenser

Warum sich die Nahost-Konfliktparteien im Ukraine-Krieg in Zurückhaltung üben

Israelis und ukrainische Unterstützer versammeln sich Ende März auf dem Habima-Platz in Jerusalem anlässlich der Übertragung der Ansprache des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an die israelische Regierung und die Öffentlichkeit.

Israelis und ukrainische Unterstützer versammeln sich Ende März auf dem Habima-Platz in Jerusalem anlässlich der Übertragung der Ansprache des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an die israelische Regierung und die Öffentlichkeit.

Die Enttäuschung beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der jüdische Wurzeln hat, war groß: „Für die meisten Anfragen nach Hilfen, die wir Israel gesandt haben, können wir nicht sagen, dass wir die Unterstützung am Ende auch erhalten haben“, sagte er Ende Juni. „Warum wir Missverständnisse haben, Missverständnisse mit Vertretern der Regierung, weiß ich nicht“, bedauert Selenskyj – und meinte damit Israel.

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„Russland ist der Aggressor“

Für Israels Öffentlichkeit sei die Situation dagegen völlig klar: „Russland ist der Aggressor. Zudem ist die Situation für Juden in Russland seit Kriegsbeginn immer ungemütlicher geworden. So hatte der Oberrabbiner von Moskau bereits Anfang März Russland verlassen, weil er sich weigerte, diesen Angriffskrieg zu unterstützen“, sagt der Historiker Michael Wolffsohn im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Zudem haben seit Kriegsbeginn rund 50.000 Menschen Russland und die Ukraine in Richtung Israel verlassen. Der Konflikt hat für das Land eine große Bedeutung.“

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Ich hatte nicht das Gefühl, dass auch der israelische Premierminister in unsere Flagge gehüllt ist.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang März

„Ich habe an der Klagemauer ein schönes Bild von Juden gesehen, die in [ukrainische] Fahnen gehüllt waren“, sagte Selenskyj auf einer Pressekonferenz Anfang März. „Sie haben für uns gebetet, und ich danke ihnen dafür. Unsere Beziehungen zur israelischen Führung sind nicht schlecht, aber sie werden in Zeiten der Not auf die Probe gestellt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass auch der israelische Premierminister in unsere Flagge gehüllt ist.“

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Tatsächlich steht die breite Solidarität, die die angegriffene Ukraine in der israelischen Öffentlichkeit erfährt, im Kontrast zur Zurückhaltung der Regierung: „Israel hat ein pragmatisches, kein romantisches Verhältnis zu Russland, außenpolitisch seit 2015, dem russischen Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg, auf einem gegenseitigen Interesse basierend. Bis zum 24. Februar gab es eine pragmatische, gegenseitige Wertschätzung. Seit dem Überfall gibt es ein großes Sympathisieren mit der angegriffenen Ukraine“, erklärt Wolffsohn weiter. Was aber keineswegs bedeutet, dass Israel Kiew Waffen liefert.

Beim Luftschutz wird mit Rat und Tat minus Material geholfen, was bedeutet: Logistische Informationen der Luftaufklärung werden geteilt, der bekannte ‚Iron Dome‘ wird aber nicht geliefert.

Der Historiker Michael Wolffsohn

Wiederholt hatte Präsident Selenskij Israel aufgefordert, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschließen – bislang erfolglos. Das wird sich wohl auch unter Israels künftigem (neuen und alten) Regierungschef Benjamin Netanjahu nicht ändern.

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Wolffsohn: „Schon kurz vor dem Regierungswechsel in Israel hat es eine Änderung in der Art und Weise gegeben, wie die Ukraine von Israel unterstützt wird. War zunächst nur von der Lieferung humanitärer Hilfe und die Lieferung von lebensrettender Verteidigungsausrüstung die Rede, so wird jetzt beim Luftschutz mit Rat und Tat minus Material geholfen, was bedeutet: Logistische Informationen der Luftaufklärung werden geteilt, der bekannte ‚Iron Dome‘ wird aber nicht geliefert.“

„Auf Dinge vorbereiten, die bald auf uns zukommen …“

Doch besonders die Lieferungen von Drohnen von Israels Erzfeind Iran an Russland sorgen in Israel für Diskussionen, die Zurückhaltung aufzugeben. Die Historikerin Anna Getmansky von der London School of Economics and Political Science in einem Tweet: „All diejenigen in Israel, die gesagt haben ‚es ist nicht unser Krieg‘, ‚lasst uns das aussitzen‘, ,besser neutral sein‘ usw. sollten es sich noch einmal überlegen. Eine sinnvolle Luftverteidigungskooperation mit der Ukraine kann helfen, sich auf Dinge vorzubereiten, die bald auf uns zukommen könnten …“ Womit sie die Bombardierung ukrainischer Städte mit iranischen Drohnen meint.

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Mit Netanjahu, der sich mal als Putin-Freund bezeichnet hat, wird sich laut Wolffsohn an der proukrainischen Haltung Israels nichts ändern. „Er ist ein Pragmatiker, der immer geschaut hat, wer ein hilfreicher Partner sein kann. Wenn er früher Trump und Putin als ‚Freunde‘ bezeichnete, heißt das nicht automatisch, dass er heute eine prorussische Politik einleitet, zumal die Amerikaner sich hier eindeutiger positioniert haben. Auch wenn er in Deutschland oft anders dargestellt wird, er ist eben Pragmatiker und kein Ideologe.“

Die palästinensische Führung in Ramallah hat – trotz europäischen und US-amerikanischen Drängens – die russische Invasion der Ukraine nicht verurteilt.

Die Politologin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik

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Ähnliche Situation – unter umgekehrten Vorzeichen – auf palästinensischer Seite: „Die palästinensische Führung in Ramallah hat – trotz europäischen und US-amerikanischen Drängens – die russische Invasion der Ukraine nicht verurteilt. Wegen ihrer ausgeprägten Außenabhängigkeit ist die Positionierung für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ein Drahtseilakt. Deshalb hat sie zunächst versucht, ihre eigenen Interessen zu wahren und weder die EU und die USA noch Russland zu verärgern“, erklärt Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gegenüber dem RND.

„Einerseits sind westliche Finanzhilfen entscheidend für das Fortbestehen der PA. Andererseits pflegt die PA enge, historisch gewachsene Beziehungen mit Moskau und schätzt Russland als zuverlässiges Gegengewicht zu den israelfreundlichen USA. Zudem ist sie auf Weizenimporte unter anderem aus Russland angewiesen“, so die Politologin und Nahostexpertin.

Asseburg: „Zunehmend enttäuscht von der Biden-Administration, die die angekündigte Wiedereröffnung des US-Konsulats in Ostjerusalem und der palästinensischen Vertretung in den USA nicht umgesetzt hat, hat der palästinensische Präsident Mitte Oktober 2022 Putin getroffen und dabei unter anderem Russland als Land gepriesen, das für Gerechtigkeit und Völkerrecht stehe. Die Aussagen bezogen sich zwar auf den Nahostkonflikt, muteten aber angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine bizarr an.“

Politik der Nichteinmischung

Und auch die De-facto-Regierung in Gaza und die Hamas-Führung haben sich auf eine „Politik der Nichteinmischung“ festgelegt, so die SWP-Expertin, „einer der Beweggründe dafür ist eine Erfahrung aus dem Arabischen Frühling: Damals unterstützte die Hamas die syrische Protestbewegung, woraufhin ihr Hauptquartier in Damaskus vom Assad-Regime geschlossen wurde.“

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Die Positionierung der beiden palästinensischen Führungen wird von der palästinensischen Bevölkerung weitgehend geteilt. Muriel Asseburg: „Mitte März 2022 sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 71 Prozent der Befragten für eine neutrale Haltung der PA aus. Und dies, obwohl sich die palästinensische Zivilgesellschaft stark mit der Situation der ukrainischen Bevölkerung identifiziert, schließlich sieht sie sich ebenso als Opfer von Besatzung, Annexion und militärischer Gewalt.“

Wobei laut der Politologin Zivilgesellschaft und politische Vertreter gleichermaßen „die Doppelzüngigkeit des Westens“ kritisieren würden: „Während dieser den ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion als heldenhafte Selbstverteidigung feiere, werde der palästinensische Widerstand gegen Israels Besatzung und Diskriminierung als terroristisch diffamiert. Während er gegen Russland Sanktionen und einen weitgehenden Kultur- und Sportboykott verhänge und sich westliche Firmen aus Russland zurückzögen, werde die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, and Sanctions) gegen die israelische Besatzung als antisemitisch denunziert und zunehmend kriminalisiert“, gibt Muriel Asseburg einen unter Palästinensern sehr verbreiteten Vorwurf wieder.

„Keine Überzuckerungssoße“: Michael Wolffsohn sprach vor rund 500 Besuchern  in der Marktkirche.

Der Historiker Michael Wolffsohn während eines Vortrags in der Marktkirche in Hannover.

Die Zurückhaltung auf israelischer und palästinensischer Seite, was den Krieg in Osteuropa betrifft – sie wird sich mutmaßlich auch in Zukunft nicht ändern: „Wie sein Vorgänger Lapid und dessen Verteidigungsminister Benny Gantz wird auch Benjamin Netanjahu der Ukraine die Unterstützung gewähren, die Israels Sicherheitsinteressen nicht gefährden, also sind Waffenlieferungen an Kiew eher nicht zu erwarten“, ist Wolffsohn überzeugt.

Und auf palästinensischer Seite geht es um klare politische Interessen: „Russland spielt heutzutage de facto keine zentrale Rolle, wenn es um die finanzielle oder humanitäre Unterstützung der Palästinenserinnen und Palästinenser oder das Vorantreiben einer Konfliktregelung geht. Die Zunahme von Spannungen zwischen Russland und dem Westen wirkt sich aber insgesamt negativ auch auf die Situation in Israel-Palästina aus, weil multilaterale Formate der Konfliktbearbeitung – etwa das sogenannte Nahostquartett – nicht mehr funktionieren“, konstatiert Muriel Asseburg.

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