Brisantes Geheimdienstleak: FBI nimmt Verdächtigen fest
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Die Polizei blockiert im Zusammenhang mit einer Durchsuchung zum Geheimdienstskandal rund um geleakte Dokumente eine Straße im US-Bundesstaat Massachusetts.
© Quelle: Michelle R. Smith/AP/dpa
Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung brisanter US-Geheimdienstinformationen im Internet hat die Bundespolizei FBI im Bundesstaat Massachusetts einen Verdächtigen festgenommen. Dabei handelt es sich um einen Mitarbeiter des Militärs, bestätigte US-Justizminister Merrick Garland am Donnerstag in Washington.
Der Mann sei in Verbindung mit der „unbefugten Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen“ ohne Zwischenfall in Gewahrsam genommen worden. Er sei Angehöriger der Nationalgarde und heiße Jack T., sagte Garland. Weitere Details nannte er nicht.
Der Mann wurde am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) in North Dighton im US-Bundesstaat Massachusetts festgenommen. Der US-Sender CNN zeigte Videoaufnahmen der Festnahme im Fernsehen. US-Medien hatten zuvor erste Details zu den Ermittlungen und über den mutmaßlichen Maulwurf in Umlauf gebracht. Der Mann soll eine Chat-Gruppe auf der bei Videospielern beliebten Plattform Discord geleitet haben. Medien zufolge ist er 21 Jahre alt. Justizminister Garland machte keine Angaben zum Alter.
US-Präsident Joe Biden sagte am Donnerstag in Irland, es laufe eine umfassende Untersuchung vonseiten der Geheimdienste und des Justizministeriums zu den Hintergründen des Datenlecks. Biden sieht nach eigenen Angaben keine unmittelbare Gefahr. In den Unterlagen seien keine Informationen enthalten, die große Konsequenzen hätten. Allerdings bereite es ihm grundsätzlich Sorge, dass die Informationen nach außen gedrungen seien.
Spur führt ins Elternhaus des 21-Jährigen
Die Veröffentlichung der geheimen Dokumente von US-Nachrichtendiensten sorgt seit Tagen weltweit für Unruhe. In den mehr als 100 Dokumenten geht es neben der Lage in den Kriegsgebieten in der Ukraine auch um zahlreiche weitere Staaten, darunter Ägypten, die Arabischen Emirate und Südkorea. Bei den geleakten Papieren handelt es sich um mit dem Handy abfotografierte Powerpointfolien, die von US‑Diensten erstellt wurden und den Stand von Anfang Februar 2023 zeigen.
Die „New York Times“ berichtete, Details der Inneneinrichtung aus dem Elternhaus des 21-Jährigen, die auf Familienfotos in sozialen Medien veröffentlicht worden seien, stimmten mit Details am Rand einiger Fotos der veröffentlichten Geheimdokumente überein.
Erstmals waren die Fotos der Dokumente Anfang März auf Discord aufgetaucht. Dort gab es eine Diskussion unter Gamern des Spiels Minecraft, in deren Zusammenhang einer von ihnen die Bilder hochgeladen hatte, berichtet die Investigativgruppe Bellingcat. Inzwischen sind die Bilder und die Diskussion auf Discord gelöscht worden. Später verbreiteten sich die Fotos der Dokumente im Internetforum 4Chan, ehe sie in russischen Telegramgruppen und bei Twitter verbreitet wurden.
Bericht: US-Militär-Mitarbeiter für Leaks verantwortlich
Zwei Mitglieder der Chatgruppe auf Discord sagten der „Washington Post“, dass sie den Mann, der für die Veröffentlichung der Geheimdienstpapiere verantwortlich sein soll, unter dem Namen „OG“ kannten. Er habe die Chatgruppe geleitet. Viele ihrer Aussagen stimmen mit dem Bericht von Bellingcat überein.
Laut Angaben der Chatmitglieder habe „OG“ in einem abgesicherten Bereich einer Militärbasis gearbeitet, wo weder Mobiltelefone noch andere elektronischen Geräte erlaubt seien. Die ersten von ihm geteilten Dokumente waren daher Abschriften. Er soll bereits im vergangenen Jahr damit begonnen haben, immer wieder klassifizierte Dokumente in der Chatgruppe zu veröffentlichen. Damit habe er die Chatmitglieder „auf dem Laufenden halten“ wollen, sagte eine der Personen gegenüber der „Washington Post“.
Später begann „OG“ jedoch damit, anstelle von Abschriften Fotos der Dokumente zu teilen, da es zu mühsam gewesen sei, die Papiere abzuschreiben. Es ist unklar, wie es dem Mann gelungen sein soll, die Bilder zu machen. Auf einigen sollen jedoch im Hintergrund auch persönliche Gegenstände erkennbar sein.
„Er wusste natürlich, was er tat, als er diese Dokumente veröffentlichte. Es handelte sich nicht um zufällige Leaks irgendeiner Art“, sagte ein Chatmitglied der US-Zeitung. In dem Bericht, wird „OG“ als jemand beschrieben, der eine düstere Meinung über die US-Regierung hat. Die gemeinsame Chatgruppe sei bereits im Jahr 2020 gegründet worden und drehte sich besonders um Waffen, Militärausrüstung und den Glauben an Gott. Etwa zwei Dutzend Personen sollen an dem Austausch auf Discord beteiligt gewesen sein. Gegenüber der „Washington Post“ gaben die interviewten Mitglieder an, den Wohnort und richtigen Namen von „OG“ zu kennen, wollten ihn jedoch nicht verraten.
Pentagon nennt Leak von Geheimdokumenten „sehr ernst“
Die Veröffentlichung geheimer US-Dokumente hat in Washington große Besorgnis ausgelöst.
© Quelle: dpa
Telegram-Fotos manipuliert
Bevor die Bilder jedoch in russischen Telegramkanälen veröffentlicht wurden, haben Unbekannte einige Fotos manipuliert. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) liegen von einigen Fotos mehrere Versionen vor, darunter ist auch ein manipuliertes Bild. Es zeigt eine deutlich geringere Todeszahl auf russischer Seite sowie viel mehr getötet ukrainische Soldaten. Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer bestätigte dem RND, dass es sich dabei „mit Sicherheit“ um ein manipuliertes Foto handelt.
Die Fotos der ausgedruckten Powerpointfolien und der Zeitpunkt der Veröffentlichung geben einige Hinweise darauf, wer die geheimen Papiere hochgeladen hat. „Ich nehme an, dass diese Dokumente für ein Anfang März in Wiesbaden von den USA und der Ukraine durchgeführtes ‚Wargaming‘ vorbereitet wurden“, so Reisner. Dabei handelt es sich um eine Kriegssimulation, bei der hochrangige Militärs die nächsten Schritte für den Krieg in der Ukraine durchgespielt hatten.
Mehr als vier Millionen Personen mit Zugang zu Geheimdienstinformationen
Es gibt jedoch noch eine weitere Schwachstelle: Der Kreis der Personen, die Zugang zu solchen sensiblen US-Dokumenten haben, ist sehr groß. Expertinnen und Experten kritisieren dies schon länger. Nach Angaben von Michael Orlando, Vizedirektor des National Counterintelligence and Security Centers, das die US-Spionageabwehr der Geheimdienste koordiniert, verfügen etwa 4,2 Millionen Personen über Zugriff auf Geheimdienstdokumente. Etwa jeder Dritte von ihnen hat sogar eine Freigabe für Papier mit höchster Geheimhaltungsstufe. Dabei sind viele von ihnen nicht einmal direkt bei einem der US-Dienste angestellt. Wie ist das möglich?
Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 boomt die Branche privater Konzerne, die für Geheimdienste tätig sind. Der frühere Chef der US-Geheimdienste CIA und NSA wollte durch ein Outsourcing von Aufgaben an externe Unternehmen die Geheimdienste modernisieren. Heute gehören der NSA nicht einmal mehr die eigenen Computer und Telefone, berichtet die „NZZ“. 70 Prozent des Budgets für die Geheimdienste fließt laut der Zeitung an die Privatwirtschaft, die mit Knowhow, modernster Technik und gut ausgebildetem Personal dem Geheimdienstapparat voraus sind. Einige Dienste lagern heute 60 bis 70 Prozent ihrer Arbeit aus, wie die NSA. Bei anderen sind es bis zu 95 Prozent, wie im Fall des National Reconnaissance Office, das für militärische Satellitenaufklärung verantwortlich ist.
Ist diese Entwicklung am Ende Schuld daran, dass die sensiblen US-Dokumente veröffentlicht wurden?
„Gut die Hälfte der Personen mit Zugang zu den geleakten Dokumenten soll bei externen Unternehmen angestellt sein“, erklärt der Politologe Thomas Jäger von der Universität zu Köln. „Dieses Problem lässt sich nicht schnell beheben, weil es gar nicht so viel gut ausgebildetes Personal gibt“, so der Experte im Gespräch mit dem RND.
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Das US-Justizministerium hat eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet, um die Hintergründe aufzuklären.
Mit dpa und AP