Von der Leyen wirft China Nötigung vor – und will Verhältnis der EU zu Peking neu ausrichten
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Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat eine bemerkenswert direkte Rede zum Verhältnis der EU mit China gehalten.
© Quelle: Olivier Matthys/AP/dpa
Brüssel. Angesichts des rasanten Aufstiegs Chinas will die EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen das Verhältnis zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt neu ausrichten. „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden zunehmend durch Verzerrungen beeinträchtigt, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“, sagte von der Leyen am Donnerstag bei einer Ansprache in Brüssel.
„Daher müssen wir diese Beziehungen auf der Grundlage von Transparenz, Vorhersehbarkeit und Gegenseitigkeit wieder ins Gleichgewicht bringen.“ Es sei weder praktikabel noch im Interesse Europas, sich von China abzukoppeln. Ziel müsse stattdessen sein, besonders wirtschaftliche Risiken im Verhältnis zu China zu minimieren.
Beziehungen zu China „eine der kompliziertesten und wichtigsten der Welt“
„Unsere Beziehung zu China ist eine der kompliziertesten und wichtigsten in der Welt“, sagte von der Leyen. „Wie wir sie gestalten, wird ein entscheidender Faktor für den künftigen wirtschaftlichen Wohlstand und die nationale Sicherheit sein.“ Es sei daher von zentraler Bedeutung, „dass wir für diplomatische Stabilität und eine offene Kommunikation mit China sorgen“. Europa brauche dabei den „kollektiven Willen“, gemeinsam zu handeln. „Eine starke europäische China-Politik beruht auf einer starken Koordination zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen.“ Von der Leyen reist in der kommenden Woche gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Gesprächen nach Peking.
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Die Kommissionspräsidentin betonte, Teil einer neuen China-Strategie müsse unter anderem sein, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft und Industrie zu stärken. Handelsinstrumente der EU wie Exportkontrollen müssten effektiver eingesetzt werden. Chinas zunehmend aggressive Politik werde womöglich auch die Entwicklung neuer Instrumente zum Schutz von kritischen Bereichen erfordern. „Wir müssen sicherstellen, dass das Know-how und die Kenntnisse unserer Unternehmen nicht dazu verwendet werden, die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten derjenigen zu verbessern, die auch systemische Rivalen sind.“ Dazu werde die Kommission im Laufe des Jahres Ideen vorstellen. Als einen „systemischen Rivalen“ stuft die EU China seit dem Jahr 2019 ein.
Von der Leyen: Künftige Beziehungen auch davon abhängig, wie sich China zum Krieg verhalte
Von der Leyen unterstrich, zu einer neuen Strategie müsse auch eine engere Abstimmung mit Partnern bei Fragen der wirtschaftlichen Sicherheit gehören. Die EU werde sich darauf konzentrieren, Freihandelsabkommen mit Staaten wie Indien, Australien oder Neuseeland abzuschließen und bestehende Abkommen zu modernisieren. Mit Blick auf die massiven Kredite, die China an ärmere Staaten vergibt, sagte von der Leyen: „Wir bieten Entwicklungsländern eine echte Wahlmöglichkeit, wenn es um Infrastruktur, Investitionen und Finanzen geht.“ Zusammengenommen würden diese Maßnahmen dazu beitragen, „unsere Lieferkette widerstandsfähiger zu machen und unseren Handel zu diversifizieren, was ein zentrales Element unserer Strategie zur wirtschaftlichen Risikoreduzierung sein muss“.
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Von der Leyen sagte, die künftigen EU-Beziehungen zu China würden auch davon bestimmt werden, wie die Regierung in Peking sich zum russischen Überfall auf die Ukraine verhält. Als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat habe China eine Verantwortung, sich für Frieden einzusetzen. „Dieser Frieden kann nur gerecht sein, wenn er auf der Wahrung der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine beruht.“ China hat den russischen Angriffskrieg bislang nicht verurteilt.
„Die Frage, wie China seinen internationalen Verpflichtungen in Bezug auf die Menschenrechte nachkommt, wird ein weiterer Test dafür sein, wie und in welchem Umfang wir mit China zusammenarbeiten können.“
Ursula von der Leyen,
EU-Kommissionspräsidentin
Von der Leyen kündigte an, wirtschaftliche Kooperation auch von der Einhaltung von Menschenrechten abhängig zu machen. „Die Frage, wie China seinen internationalen Verpflichtungen in Bezug auf die Menschenrechte nachkommt, wird ein weiterer Test dafür sein, wie und in welchem Umfang wir mit China zusammenarbeiten können.“ Sie warf China zugleich vor, mit zunehmender militärischer Macht auch eine „Politik der Desinformation und der wirtschaftlichen und handelspolitischen Nötigung“ intensiviert zu haben.
Von der Leyen zeichnete in ihrer Ansprache auch den beeindruckenden Aufstieg Chinas nach. „In weniger als 50 Jahren hat sich China von weit verbreiteter Armut und wirtschaftlicher Isolation zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und zum Marktführer in vielen Spitzentechnologien entwickelt“, sagte sie. „Seit 1978 betrug das Wachstum im Durchschnitt mehr als 9 Prozent pro Jahr, und mehr als 800 Millionen Menschen wurden aus der Armut befreit. Dies ist eine der größten Errungenschaften des letzten halben Jahrhunderts.“