Die “Pille für den Mann”: Warum hormonelle Verhütung bisher nur Frauensache ist
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Schon seit den Siebzigerjahren versucht die Weltgesundheitsorganisation, die Pille für den Mann zu entwickeln.
© Quelle: Langbein & Partner/ZDF/dpa
Pille, Spirale, Ring oder Pflaster: Für Frauen gibt es zahlreiche hormonelle Verhütungsmethoden. Männer hingegen können nur zum Kondom greifen oder sich sterilisieren lassen, wenn sie eine Schwangerschaft verhindern wollen. “Ein zugelassenes hormonbasiertes Verhütungsmittel für den Mann gibt es nicht”, sagt Christian Leiber, Androloge am Uniklinikum Freiburg.
Anti-Baby-Pille stoppt Forschung
Zwar habe es schon in den 1930er-Jahren Forschung genau dazu gegeben, erzählt Leiber. Dann aber kam in den 1960er-Jahren die Anti-Baby-Pille für die Frau – eine Revolution. Ein ganz neuer Markt öffnete sich, der viel Geld für die Pharmaindustrie bedeutete – und das Interesse an Forschung etwa an der “Pille für den Mann” zurückgehen ließ.
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Die Anti-Baby-Pille war eine Revolution in den 1960ern.
© Quelle: Carsten Rehder/dpa
Der Medizinhistoriker Heiner Fangerau blickt noch weiter zurück. Mit dem Kondom sei schon im 17. Jahrhundert ein Pfad eingeschlagen worden, der durch die Erfindung des Gummikondoms noch verstärkt wurde: “Hier gab es ein nicht permanentes Verhütungsmittel, sodass der Innovationsdruck, noch eine andere Methode neben der dauerhaften Vasektomie zu entwickeln, gering war”, sagt der Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf.
Hormonelle Verhütung durch zusätzliches Testosteron
Bei der Zulassung der Pille für die Frau waren zudem die Sicherheitskriterien noch nicht so streng wie heute. Dass damals mehr Nebenwirkungen in Kauf genommen wurden als heute bei neuartigen Verhütungsmitteln, sei sicher auch ein Grund, warum es noch kein hormonbasiertes Mittel für den Mann gibt, sagt Eberhard Nieschlag, ehemaliger Direktor des heutigen Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Uniklinikum Münster.
Dabei sei die hormonelle Verhütung bei Männern kein Ding der Unmöglichkeit, sagt Leiber. “Die männliche Reproduktion lässt sich auch über Hormone beeinflussen.” Und zwar durch zusätzliches Testosteron. Normalerweise wird das Sexualhormon ebenso wie Spermien im Hoden produziert, sagt Leiber. Wenn man Testosteron aber zusätzlich “von außen” hinzufügt, merkt der Körper, es ist schon genug da – die körpereigene Produktion des Hormons und der Spermien wird eingestellt.
Wie viel Testosteron ist zu viel?
Die Frage, vor der die Wissenschaft im Moment jedoch steht: “Wie viel Testosteron muss man geben, damit Männer nicht mehr zeugungsfähig sind, das Ganze aber reversibel ist?”, sagt Leiber. Denn: Wenn das Testosteron zu hoch dosiert werde, schrumpften die Hoden – unumkehrbar.
Derzeit werde mehr oder weniger ausschließlich in den USA an hormonellen Verhütungsmethoden für den Mann geforscht, sagt Nieschlag. So würden in Kalifornien und dem Bundesstaat Washington derzeit Studien mit einem Gel gemacht, das die Hormone Testosteron und Gestagen kombiniert, erklärt der Experte.
WHO muss Studie abbrechen
Das Gel werde im Schulter- oder Brustbereich täglich auf die Haut geschmiert. Mehrjährige Vorstudien hätten bereits gezeigt, dass die Zahl der produzierten Spermien durch das Gel mehr oder weniger ohne Nebenwirkungen heruntergeht. Inwieweit das Gel einsetzbar ist zur Verhütung, werde derzeit untersucht.
Eine vielversprechende WHO-Studie wurde hingegen vor einigen Jahren bedauernswerterweise abgebrochen, wie Nieschlag sagt. 320 Studienteilnehmern wurde über mehrere Wochen hinweg eine Hormonspritze verabreicht. Im Hinblick auf die Verhütung sei das sehr erfolgreich gewesen.
“Der Pearl-Index, mit dem die Sicherheit gemessen wird, war so gut wie bei der Pille für die Frau”, sagt Nieschlag. Auf Empfehlung eines externen Sicherheitsausschusses wurde die Studie jedoch abgebrochen: Zu viele Männer hatten über Nebenwirkungen wie Akne, Schmerzen an der Injektionsstelle, erhöhte Libido und Stimmungsstörungen geklagt, heißt es in der Studie.
Klinische Studien sind zu teuer
In Deutschland tue sich derzeit nichts in der Forschung zu hormonellen Verhütungsmöglichkeiten, sagt Nieschlag. Warum nicht? “Das weiß ich auch nicht”, sagt der Mediziner im Ruhestand. Einen möglichen Grund nennt Androloge Leiber: Die nötigen klinischen Studien seien sehr teuer. Und: Die Pharmaindustrie habe kein Interesse. Geld lasse sich anders besser verdienen.
Tatsächlich entwickelten auf dem Gebiet der Verhütung nur noch wenige Unternehmen neue Produkte, wie ein Sprecher des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) auf Anfrage mitteilte. Unter den Mitgliedern des Verbands seien es zwei Firmen. “Bei beiden Unternehmen sind mir allerdings keine Projekte für Verhütungsmittel für Männer bekannt.”
Schwangerschaft als Motivation zur Verhütung
Ist Geld also der wesentliche Grund dafür, dass es seit Jahrzehnten zahlreiche Verhütungsmöglichkeiten auf Hormonbasis für die Frau gibt, jedoch keines für den Mann? Oder spielt es auch eine Rolle, wie von manchen Frauen beklagt, dass vorrangig Männer in der Forschung arbeiten?
Männer haben natürlich nicht unbedingt ein Interesse daran, Hormone einzunehmen und Nebenwirkungen und Risiken in Kauf zu nehmen.
Christian Leiber, Androloge am Uniklinikum Freiburg
“Ich glaube, man muss das anders sehen”, sagt Nieschlag. “Für eine Frau ist eine Schwangerschaft nach wie vor ein gefährliches Ereignis mit weitgehenden Konsequenzen”, sagt der Androloge. “Das gibt natürlich eine ganz andere Motivation, Verhütung zu betreiben.”
Auch Leiber sieht einen Grund für fehlende hormonelle Kontrazeption für Männer darin, dass eben die Frau schwanger wird. “Männer haben natürlich nicht unbedingt ein Interesse daran, Hormone einzunehmen und Nebenwirkungen und Risiken in Kauf zu nehmen.”
Keine Vaterschaftsnachweise bis in die 1930er
Medizinhistoriker Fangerau liefert eine weitere mögliche Erklärung: “Soziokulturell war es für unverheiratete Männer lange Zeit weniger wichtig zu verhüten, da nur die Mutter sicher zu bestimmen war und eine biologische Vaterschaft von unverheirateten Männern abgestritten werden konnte”, erklärt der Experte.
Vaterschaftsnachweise hätten in der Form bis in die 1930er-Jahre nicht existiert. “Kontrazeption wurde gesellschaftlich eher für eine Frauenverantwortlichkeit gehalten – mit dazu bei trugen unendlich viele Eheratgeber, in denen dieses Thema gerade als Frauenthema gehandelt wurde.”
Wann gibt es hormonelle Verhütungsmittel für Männer?
Die Nachfrage ist da und gender equality spielt eine immer wichtigere Rolle.
Heiner Fangerau, Medizinhistoriker
Ob sich das in absehbarer Zeit ändern wird – darüber sind Experten uneins. Da auch viele Frauen die Risiken und Nebenwirkungen hormoneller Verhütungsmittel scheuten, könne er es sich gut vorstellen, dass es aus Geschlechtergerechtigkeit bald ein Mittel für Männer gibt: “Die Nachfrage ist da und gender equality spielt eine immer wichtigere Rolle.”
Nieschlag ist zurückhaltender. Früher habe er immer gesagt, in fünf Jahren sei es so weit. “Heute gebe ich keine Jahreszahlen mehr an, weil man nicht weiß, was noch alles passiert.”
Größte Sicherheit gibt Verhütung mit Hormonen
Vielleicht ist auch die Zeit gekommen, sich komplett von hormoneller Verhütung wegzuorientieren? Schließlich treffen Nebenwirkungen Männer wie Frauen gleichermaßen. Als Endokrinologe könne er die ganze Abneigung gegen Hormone nicht verstehen, sagt Nieschlag. Hormone seien natürliche Produkte, passten eigentlich gerade deshalb in die heutige Zeit und hätten segensreiche Effekte. “Ich halte es für beide Geschlechter sinnvoll, mit Hormonen zu verhüten.”
Der wichtigste Effekt bei der Verhütung sei der Sicherheitsaspekt, sagt Leiber – und die meiste Sicherheit gebe es nun mal bei Verhütung mit Hormonen. “Wer etwas findet, was nicht hormonbasiert ist, keine Nebenwirkungen hat, aber genauso sicher und obendrauf umkehrbar ist, der hat ausgesorgt und bekommt wahrscheinlich den Nobelpreis.”
RND/dpa