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RND-Kolumne „Von oben gesehen“

Wer wirklich seinen CO₂-Fußabdruck berechnen muss

Energie sparen ist nicht nur für den eigenen Geldbeutel, sondern auch für das Klima gut. Den Klimawandel aufhalten können Privatpersonen dadurch aber leider nicht.

Energie sparen ist nicht nur für den eigenen Geldbeutel, sondern auch für das Klima gut. Den Klimawandel aufhalten können Privatpersonen dadurch aber leider nicht.

Kürzer Duschen, nicht so häufig duschen, kälter duschen oder gemeinsam duschen – Duschen ist nicht erst seit der aktuellen kriegsbedingten Energiekrise ein heißes Thema. Dass die „morgendliche warme Dusche“ wegen ihres Energie- und Wasserbrauchs wenig nachhaltig ist, war schon eine konstante Mahnung meiner Kindheit. Erfolgreich! Wenn ich heute mal 30 Sekunden länger unter der Dusche stehe, duscht das schlechte Gewissen gleich mit.

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Das ist nicht nur beim Duschen so: Auto fahren; Rindfleisch essen; im Winter im T-Shirt in der Wohnung sitzen, anstatt den Pullover anzuziehen; der neue Kühlschrank hat nur Energieklasse „A+“ statt „A+++“; und im Büro hat übers Wochenende auch schon wieder niemand das Licht ausgemacht – das schlechte Gewissen ist stets dabei. Es hebt mahnend den Zeigefinger und zeigt auf jede einzelne Klimasünde. Das tut weh – und das ist ja auch richtig so: Wir alle müssen mehr tun, um die Auswirkungen des Klimawandels so gut es geht zu begrenzen.

Wieviel Einfluss hat eine Privatperson?

Werkzeuge, wie Rechner zum CO₂-Fußabdruck, sollen Menschen dabei unterstützen – dachte ich zumindest lange. Mit ihnen lässt sich ermitteln, wie viel CO₂ jeder und jede von uns ausstößt. Schnell kann man so einen guten Überblick über mögliche Einsparpotenziale gewinnen. Auch meine Familie nutzt die Rechner, denn selbstverständlich möchten wir unsere CO₂-Fußabdrücke so klein wie möglich halten – aus Überzeugung, und im festen Glauben, damit einen wichtigen und richtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Doch ein Artikel im Magazin „Mashable“ hat mir kürzlich einen eiskalten Schwall Wasser über den Kopf geschüttet.

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Darin wird gezeigt, wie perfide das Konzept des individuellen Fußabdrucks eigentlich ist: Der Begriff „carbon footprint“ wurde 2004 durch eine groß angelegte Marketingkampagne des Mineralölunternehmens BP in Umlauf gebracht. Der Konzern sorgte damit dafür, dass die Verantwortung für Klimaschutz charmant aber fälschlicherweise auf individuelle Verbrauchende abgeschoben wurde: Denn wieviel Einfluss haben wir überhaupt als Privatpersonen?

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen lässt sich also nicht durch kürzeres Duschen bewerkstelligen.

Weniger als man vielleicht denkt: 2020 konnte man pandemiebedingt beobachten, dass trotz immenser Einschränkungen insbesondere beim Reiseverhalten nur 8 Prozent weniger CO₂ ausgestoßen wurden als im Vorjahr – und diese 8 Prozent wären nicht mal annähernd genug, um unsere Klimaziele einzuhalten. In einer Sache ist sich die Wissenschaft nämlich einig: Das 1,5-Grad-Ziel kann nur durch eine komplette Abkehr von fossilen Brennstoffen erreicht werden.

Der eigene Fußabdruck darf nicht egal sein

Ja, BP investierte 2018 ganze 2,3 Prozent seines Budgets in erneuerbare Energien – und feierte gleich im Jahr darauf die größte Akquise von Gas- und Ölvorkommen in Texas. In Zahlen: BP emittiert im Durchschnitt 374 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr, eine deutsche Einzelperson dagegen 10 Tonnen – es fragt sich also, wer genau hier eigentlich den eigenen Fußabdruck berechnen muss.

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Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen lässt sich also nicht durch kürzeres Duschen bewerkstelligen. Die großen Stellschrauben beim Klimaschutz müssen von der Politik gedreht werden. Aber das heißt nicht, dass einem der eigene Fußabdruck egal sein darf: Nur, weil ein Unternehmen Millionen Liter Öl im Golf von Mexiko „verliert“, kippe ich mein Motoröl trotzdem nicht einfach in den nächsten Bach. Übrigens genügt aus dermatologischer Sicht zwei- bis dreimal Duschen pro Woche (gerne lauwarm, das ist besser für die Haut). Das spart nicht nur Energie, sondern auch Zeit: Die kann man perfekt dafür nutzen, Druck auf Politikerinnen und Politiker auszuüben.

Insa Thiele-Eich ist Meteorologin und forscht an der Universität Bonn an den Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Gesundheit. Seit 2017 trainiert sie im Rahmen der Initiative „Die Astronautin“ als Wissenschaftsastronautin für eine zweiwöchige Mission auf der Internationalen Raumstation – und wäre damit die erste deutsche Frau im All. Hier schreibt sie alle zwei Wochen über Raumfahrt, den Klimawandel und die faszinierende Welt der Wissenschaft.

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