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Wissenschaft warnt vor überzogenen Erwartungen

Wird Kernfusion alle unsere Energieprobleme lösen?

Ein Techniker überprüft die Trägerstruktur des Vorverstärkers im Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore, Kalifornien. In der Forschungseinrichtung wurde im Dezember 2022 eines der bislang aufsehenerregendsten Experimente im Bereich der Kernfusion durchgeführt.

Ein Techniker überprüft die Trägerstruktur des Vorverstärkers im Lawrence Livermore National Laboratory in Livermore, Kalifornien. In der Forschungseinrichtung wurde im Dezember 2022 eines der bislang aufsehenerregendsten Experimente im Bereich der Kernfusion durchgeführt.

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Am 10. Mai 2023 tritt in Everett, einem Städtchen im US-Bundestaat Washington, eine unwahrscheinlich klingende Meldung ihren Siegeszug durch Technik- und Wissenschaftsportale auf der ganzen Welt an. Das Forschungsunternehmen Helion Energy hat soeben angekündigt, einen Vertrag mit dem Softwarekonzern Microsoft über die Lieferung von 50 Megawatt Strom ab dem Jahr 2028 abgeschlossen zu haben. Das entspricht ungefähr dem Volumen, das zehn moderne Windkraftanlagen produzieren. Das Besondere: Helion Energy möchte den Strom durch ein Verfahren erzeugen, das auch dafür sorgt, dass nachts am Himmel Sterne leuchten und tagsüber die Sonne scheint.

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Aus Kernfusion Energie zu gewinnen ist ein Traum, den viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrzehnten träumen. Einer von ihnen ist Robert Wolf. Der Experimentalphysiker forscht am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Für ihn klingt die Meldung aus dem fernen US-Staat Washington mindestens fragwürdig: „2028, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

Unter den Investoren ist auch OpenAI-CEO Sam Altman

Zwar kann Helion Energy auf die Unterstützung prominenter Investoren aus dem Silicon Valley zählen, unter anderem auf die von Sam Altman, dem Chef des ChatGPT-Unternehmens OpenAI. Doch über das Konzept des geplanten Reaktors sei bislang kaum etwas bekannt, sagt Robert Wolf. Zumal sich das Unternehmen nicht als einziges auf den Weg gemacht hat, um aus der Kernfusion jene Energiequelle zu machen, auf die auch aus der Politik – in Deutschland vor allem aus den Reihen der FDP und der CDU/CSU – viele hoffnungsvoll schauen.

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Denn die Vorteile wären immens. Klimaneutral soll sie sein, jederzeit verfügbar, sauber. Im Gegensatz zur Atomkraft, die Energie durch die Spaltung von Atomkernen erzeugt, funktioniert Kernfusion andersherum: Zwei Atomkerne verschmelzen zu einem. Die Radioaktivität, die dabei frei werde, zerfalle binnen vergleichsweise kurzer Zeit, sagt Robert Wolf.

Seit 2007 wird in der Provence an einem Versuchsreaktor gebaut – mit ungewissem Ausgang

Doch es gibt ein Problem. Denn Atomkerne verschmelzen nur höchst ungern miteinander. Auf der Sonne zwingen sie die Hitze und der Druck dazu, die im Inneren des Sternes herrschen. Um ähnliche Bedingungen auf der Erde herzustellen, existieren bislang zwei Verfahren: Magnet- und Laserfusion.

Bei der Magnetfusion werden Wasserstoffisotope auf mehr als 100 Millionen Grad erhitzt, sodass ein Plasma entsteht. Damit dieses nicht abkühlt, wird es durch ein Magnetfeld eingeschlossen. Fusionieren nun zwei Wasserstoffisotope, entstehen daraus ein Heliumkern – und Energie. Neben dem 2007 in der französischen Provence begonnenen Bau des Versuchsreaktors ITER, der bereits Milliarden an Euro verschlungen hat und dessen Fertigstellung auf sich warten lässt, beschäftigen sich auch Start-ups mit der Magnetfusion. Deren Versprechen lauten: kleiner, schneller, günstiger. Jedoch handele es sich bei den dahinter liegenden Ansätzen um unerprobte Technologien, sagt Robert Wolf, mit unkalkulierbaren Entwicklungsrisiken.

Das ist im Prinzip die Mini-Wasserstoffbombe.

Robert Wolf,

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

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Laser waren es hingegen, die Kernfusion im Dezember 2022 weltweit in die Schlagzeilen brachten, als es im US-amerikanischen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) erstmals gelang, durch das Verschmelzen von Atomkernen mehr Energie freizusetzen, als dazu Laserenergie aufgewendet worden war. Dabei war die Gesamtenergiebilanz jedoch immer noch negativ, wie die Direktorin des LLNL, Kim Budil, erklärte: Zwei Megajoule an Laserenergie hätten drei Megajoule an Fusionsenergie freigesetzt – in den Betrieb der 192 Laser seien insgesamt aber rund 300 Megajoule an Energie geflossen.

Allerdings steht die Energiegewinnung bei Laserfusion bislang ohnehin eher im Hintergrund. „Das ist primär Militärforschung“, sagt Max-Planck-Forscher Wolf: „Das ist im Prinzip die Mini-Wasserstoffbombe.“ Tatsächlich stammten 2022 fast 80 Prozent des Geldes des LLNL aus Mitteln der National Nuclear Security Administration, die sich mit der militärischen Nutzung der Kernenergie befasst.

Umweltorganisationen warnen vor überzogenen Erwartungen

Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) evaluiert zurzeit eine Gruppe um den Chef des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik, Constantin Häfner, die Potenziale der Laserfusion. Zwar sei es auch deshalb gut, diese Technologie verstehen zu lernen, „weil sie eine militärische Komponente hat“, sagte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Mai 2023. Die deutsche Forschung ziele jedoch auf die zivile Nutzung ab. „Wir können damit buchstäblich die Sonne auf die Erde holen“, schwärmte die FDP-Ministerin.

Allerdings warnen nicht nur Umweltorganisationen wie der BUND und Greenpeace vor überzogenen Hoffnungen und davor, in Erwartung einer Energiequelle, die derzeit noch Science-Fiction ist, den Umstieg auf erneuerbare Energien aufzuschieben.

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Auch in der Wissenschaft ist man sich weitgehend einig, dass es noch dauern wird, bis Menschen in nennenswerten Maßstäben Strom aus Kernfusion gewinnen. Sie rechne mit einer Kommerzialisierung innerhalb einiger Jahrzehnte, sagte LLNL-Direktorin Kim Budil im Dezember. Auch Fraunhofer-Forscher Constantin Häfner sagte im Mai, er gehe davon aus, dass „die Schlüsseltechnologien für das Design eines ersten Fusionskraftwerks innerhalb der nächsten zwei Dekaden entwickelt werden könnten“. Und Robert Wolf?

„Fusionsreaktionen zu erzeugen, ist ganz simpel mit heutigen Technologien“, sagt der. „Aber ein System zu bauen, das mehr Energie produziert als man zum Betreiben der Anlage benötigt, das ist eben wirklich eine Herausforderung.“ Wolfs Plädoyer: „Das versuchen, was geht – und dann die Zukunft entscheiden lassen.“

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